Der Spruch ist so bekannt, dass ihn selbst meine Katze kennt: «Whatever it takes.» Er werde alles unternehmen, um die europäische Wirtschaft nicht absaufen zu lassen, versprach Mario Draghi vor rund sieben Jahren. Und der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt Wort: Mit quantitativem Easing und Negativzinsen hielt er das schaukelnde Euro-Boot über Wasser.
Vor zwei Monaten konnte Draghi gar stolz verkünden, die Kur habe angeschlagen. Die Wirtschaft in der Eurozone habe endlich an Fahrt aufgenommen, und der Patient könne aus der Reha entlassen werden.
Seit gestern geht er wieder an Krücken. Die Leitzinsen würden – wenn überhaupt – frühestens 2020 erhöht, erklärte Draghi. Zudem werde das Programm, das Banken erlaubt, günstige Kredite zu erteilen – ein Monster mit der Abkürzung TLTRO – wieder aufgenommen. Schliesslich werde die EZB ihr quantitatives Easing fortführen.
Gleichzeitig haben die EZB-Ökonomen ihre Wachstumsprognosen für die Eurozone drastisch reduziert. Höchstens 1,1 Prozent sollen es heuer werden, statt die zuvor in Aussicht gestellten 1,7 Prozent.
Drohender Brexit und Handelskrieg mit China werden als Gründe für die Kehrtwende genannt. Dazu kommt, dass sich die Weltwirtschaft nach Ansicht der Mehrheit der Ökonomen dem Ende eines Zyklus nähert. Eine Abschwächung liegt damit gewissermassen in der Natur der Sache.
Die Eurozone und die EZB sind schlecht darauf vorbereitet, denn die Leitzinsen befinden sich bereits auf einem Rekordtief. Für Zinssenkungen besteht daher kein Spielraum. «Furchterregend ist die Tatsache, dass die EZB keine Munition mehr hat», sagt der bekannte Ökonom und Geldpolitik-Spezialist Adam Posen. «Sollten wir in eine Rezession abgleiten, dann wird es wirklich gefährlich.»
Noch vor zwei Jahren feuerte die Weltwirtschaft aus allen Rohren. Die Ökonomen schwärmten von einem «synchronen Aufschwung», an den Börsen kannten die Aktienkurse nur eine Richtung: nach oben. Inzwischen hat sich die Stimmung eingetrübt. Obwohl die Weltwirtschaft im laufenden Jahr noch um etwa drei Prozent zulegen dürfte, mehren sich die pessimistischen Stimmen. Das Wachstum sei einseitig auf die USA verteilt, jammern die Wirtschafts-Gurus.
Tatsächlich wurden in Nordamerika in den letzten Monaten immer noch regelmässig rund 240’000 neue Jobs geschaffen. Es wird damit gerechnet, dass das Bruttoinlandprodukt mehr als zwei Prozent zulegen wird.
Doch erste Wolken zeigen sich auch hier: Weil der Effekt der Steuerreform verpufft ist, werden die Unternehmensgewinne die Rekordwerte des letzten Jahres nicht mehr erreichen. Stattdessen nimmt das Staatsdefizit rasant zu. Trumps protektionistische Handelspolitik schliesslich ist ein Desaster: Das Leistungsbilanzdefizit befindet sich auf Rekordniveau.
In den vergangenen Jahren waren die Schwellenländer für mehr als die Hälfte des Wirtschaftswachstums verantwortlich. Derzeit leiden viele von ihnen unter einem starken Dollar. China – der wichtigste Player – schiebt derweil eine hausgemachte Krise.
In Europa sind die Gewichte ebenfalls ungleich verteilt. Der sogenannte Club Med – Spanien, Italien, etc. – ist angeschlagen, die italienische Wirtschaft befindet sich bereits in einer Rezession.
Selbst Klassenprimus Deutschland befindet sich in Nöten. Der Dieselskandal hat der Autowirtschaft zugesetzt, der trockene Sommer der Schifffahrt auf dem Rhein. Dazu kommt, dass die beiden grössten Banken – die Deutsche Bank und die Commerzbank – ins Trudeln geraten sind. Die Gerüchte über eine bevorstehende Fusion wollen nicht verstummen.
Eine Rezession würde die Diskussionen um die EZB neu entfachen. Deutsche Ordoliberale kritisieren seit Jahren Draghis lockere Geldpolitik. Um die harten EZB-Auflagen zu umgehen, liebäugelt die populistische Regierung Italiens mit einer Parallelwährung. In Ökonomenkreisen geht das Gespenst einer neuen These namens MMT um.
Mario Draghis Amtszeit läuft im Oktober aus. Bis dahin hat er Zeit, zu retten, was zu retten ist. Von Sprüchen wie «whatever it takes» ist er weit entfernt. Bei der Bekanntgabe seiner Kehrtwendung am Donnerstag bekannte er kleinmütig: «Wir befinden uns in einem dunklen Raum. Da rennt man nicht, da macht man kleinste Schritte.»