Die Experten des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) rechnen für 2020 wegen Corona mit einem Absturz des Bruttoinlandprodukts um 6,7 Prozent. Dies, nachdem sie vor fünf Wochen einen Rückgang um 1,3 Prozent prognostiziert hatten.
Schlägt der Corona-Rezessionshammer mit voller Wucht zu? Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann sieht nicht so schwarz:
Straumann ist vorsichtig optimistisch: «Ich glaube inzwischen, dass wir mit einem blauen Augen davonkommen. Ab Mai geht es mit den Lockdown-Lockerungen wieder aufwärts.» Die Wirtschaft stabilisiere sich rascher als noch im März erwartet. Globale Lieferketten seien wider Erwarten nicht unterbrochen worden. Trotz Lockdown laufe in der Schweiz der Grossteil der Wirtschaft weiter. «Keine Frage: Es gibt ein Quartal mit einem krassen Wirtschaftseinbruch. Der fällt in der Schweiz vielleicht sogar stärker aus als in China.» Dort stürzte das BIP wegen Corona zeitweise um rund 10 Prozent ab.
Abgerechnet werde jedoch erst Ende Jahr. Dann könne man sagen, wie viel unter dem Vorkrisenniveau sich die Wirtschaft tatsächlich einpendle.
In China haben die meisten Unternehmen ihre Produktion wieder hochgefahren. Aber im Reich der Mitte ist längst nicht alles wie vor Corona: Viele Menschen konsumieren weniger in Restaurants und Läden, weil sie immer noch Angst vor dem Virus und dessen Folgen haben.
Zu Zeiten der Finanzkrise 2009 hatten ausgabefreudige Konsumenten noch dafür gesorgt, dass die Wirtschaftsleistung in der Schweiz nicht noch stärker abgerutscht war.
In der Schweiz geht das Seco davon aus, dass der Konsum um satte 7,5 Prozent einbricht. «Einen derartigen Konsum-Schock hat es zwar noch nie gegeben», erklärt Straumann. Aber auch hier gäbe es keine Modelle, die eine verlässliche Prognose zuliessen.
Der Wirtschaftshistoriker sieht auch punkto Konsum nicht so schwarz wie das Seco. Vielmehr vermutet er, dass der Konsum rasch wieder anzieht – wenn es denn keine weitere Welle von Corona-Infektionen gibt.
In den USA schickt Trump allen Bürgern einen 1200-Dollar-Check, um die Wirtschaft anzukurbeln. In der Schweiz fordert die SP 200 Franken für alle. Aus Sicht von Straumann bringt das nichts: «Konsum kann man nicht einfach mit einem Check stützen.» Die vorhandenen Instrumente des Staates wie die Kurzarbeit seien viel wirksamer.
Nach dem Ölschock von 1973 geriet die Welt in eine Rezession. 1975 erwischte es die Schweiz dann mit voller Wucht: Das BIP sackte um 6,7 Prozent ab. Inbesondere wegen einer rigorosen Geldpolitik, die zu einer starken Aufwertung des Frankens führte, war die Schweiz damals im internationalen Vergleich viel stärker betroffen. Zudem befand sich die heimische Industrie im Hintertreffen zum Ausland.
Dann riss der Bundesrat das Steuer herum, wie Straumann erklärt:
Ein wichtiger Grund: Trotz des Totalabsturzes der Wirtschaft blieb die Arbeitslosigkeit damals unter der 1-Prozent-Marke. Aus einem einfachen Grund: Es kam zwar zu grossen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen. Als Reaktion darauf wurden über 200’000 Gastarbeiter aus der Schweiz ausgewiesen. So konnte die entstandene Arbeitslosigkeit in die Herkunftsländer der Saisonniers exportiert und die Arbeitslosenzahlen tief gehalten werden.
Die Coronakrise ist nicht vergleichbar: Arbeitslose können nicht einfach ausgewiesen werden. Die Seco-Experten rechnen im laufenden Jahr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 3,9 Prozent. Zum Vergleich: 2019 lag die Arbeitslosenquote im Jahresmittel bei 2,3 Prozent.
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Der Ölpreisschock von 1973 bedeutete eine Zäsur: Nach fast 20 Boomjahren mit Wachstumsraten von teils über vier Prozent ging es plötzlich bergab. Aus war der Traum vom ewig wachsenden Wohlstand.
Wie wird die Coronakrise die Welt verändern? Buchstabieren wir punkto Globalisierung tatsächlich zurück? Wenn die Krise länger dauere, sei das sicher einschneidend für das Selbstverständnis eines Landes. «Aber ich sehe keine Trendwende bei der Globalisierung», bilanziert Straumann.
Lowend
Das macht wirklich Hoffnung, dass wir sogar eine bedächtige, der Gesundheit verpflichtete Ankurbelung der Welt wirtschaftlich überleben könnten! 😉
Reto Schnurrenberger-Stämpfler
TheRealSnakePlissken
Erinnert mich an die sogenannte "Karl-May-Regel" in der Altphilologie, die besagt, dass, je genauer etwas beschrieben ist, desto mehr muss man vermuten, dass es komplett erfunden ist. Zum Beispiel der Baubeschrieb der Arche Noah in der Bibel.😅
Beim WirtschaftsHISTORIKER Straumann weiss man immerhin, dass er in grösseren Zeiträumen denkt als manche "Fachleute", die in Quartalen, bestenfalls Jahren, im Extremfall bis zu den nächsten Wahlen denken.