Vergesst Barcelona, Rom oder Paris. Die In-Destination in diesem Sommer heisst Lissabon. Die portugiesische Hauptstadt wird von Besuchern aus aller Welt geradezu überrannt. Die Touristen sind ein wichtiger Grund, weshalb sich die Zahl der Arbeitslosen halbiert hat.
Nicht nur Touristen haben Portugal entdeckt. «Im Beato-Quartier von Lissabon entsteht aus den Trümmern eine alten Militärfabrik ein riesiger Campus für Start-ups», meldet die «New York Times». «Bosch, Google und Mercedes-Benz haben kürzlich Büros und digitale Forschungszentren eröffnet, in denen Tausende neue Jobs finden.»
Nicht nur die digitale Wirtschaft hat Portugal entdeckt. Textilunternehmen und Papierhersteller haben ihre Fabriken auf den neuesten Stand gebracht und erzielen beachtliche Exporterfolge. All dies hat zum grössten Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) seit mehr als zehn Jahren geführt.
Das portugiesische Wirtschaftswunder hat vor drei Jahren begonnen. Damals wurde der Sozialist Antonio Costa zum Premierminister gewählt. Zusammen mit den Kommunisten und anderen Linksparteien hat er eine Koalition gebildet mit dem erklärten Ziel, die verhasste, von Berlin diktierte Austeriätspolitik zu beenden.
Costa hatte nicht nur die Moral, sondern auch den Segen von prominenten Ökonomen wie Paul Krugman oder Joseph Stiglitz auf seiner Seite. Vor allem die angelsächsischen Volkswirte warnen seit langem vor den Irrtümern des deutschen Ordoliberalismus und den katastrophalen Folgen des deutschen Spar- und Exportwahns.
Die neue portugiesische Regierung machte sich sogleich ans Werk: Die Löhne der Beamten und die Renten wurden erhöht. Gegen den Widerstand von Deutschland und dem Internationalen Währungsfond wurden selbst die Ferien verlängert. Die Wirtschaft wurde mit Subventionen und Steuererleichterungen unterstützt, vor allem die KMU.
Entgegen allen Unkenrufen führte dies keineswegs in den Staatsbankrott. Im Gegenteil: Portugals Defizit liegt mittlerweile bei einem BIP-Prozent. Spätestens im Jahr 2020 wird gar ein Überschuss erwartet.
Heute steht der Premierminister Costa als Sieger da. «Was in Portugal geschehen ist, beweist, dass zu viel Austerität eine Rezession verstärkt und einen Verelendungszyklus erzeugt», erklärt er gegenüber der «New York Times». «Wir haben eine Alternative gefunden, indem wir auf stärkeres Wachstum und bessere Jobs fokussiert haben.»
Massive Investitionen des Staates waren erstaunlicherweise gar nicht nötig. Allein die Absage an die Austerität hat in Portugal einen Kulturwandel ausgelöst. Die Unternehmen entdeckten ihre «animal spirits» wieder, die Lust zu investieren, und die Konsumenten sassen nicht länger auf dem Portemonnaie.
«Der eigentliche Stimulus war klein», sagt Joao Borges de Assunçao, Professor an der Catolica Lisbon School of Business and Economics. «Die mentale Einstellung hat sich vollkommen verändert. Das hat mehr bewirkt als die Änderung der Wirtschaftspolitik.»
In Deutschland treten derweil die Schattenseiten der Austeritätspolitik zutage. Man kann sich zwar rühmen, Exportweltmeister zu sein, doch die wenigsten können davon etwas kaufen. Die Deutschen haben den Gürtel enger und enger geschnallt, und bekommen nun gerade deswegen Problem.
Die deutschen Exporte liegen bei rund acht BIP-Prozent, ein irrer Wert. Der Ruf der angelsächsischen Volkswirte und Politiker, diesen Überschuss zu reduzieren, verhallt ungehört. Dabei hat Deutschland einen grossen Investitionsbedarf in die Infrastruktur und gibt zu wenig Geld für die Forschung und das Militär aus.
Das rächt sich nun. Am kommenden Mittwoch reist EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit einer Delegation nach Washington. Es gibt jedoch wenig Hoffnung, dass es gelingen wird, den Zorn von Donald Trump zu besänftigen. Der US-Präsident scheint wild entschlossen, nicht nur die chinesischen, sondern auch die europäischen Importe mit Strafzöllen zu belegen.
Deutschlands Industrie wird davon besonders hart betroffen sein, und Berlin hat kaum Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Gleiches mit Gleichem vergelten zu wollen, ist keine gute Idee. Weder Europa noch Deutschland sind für einen Handelskrieg mit den USA gerüstet.
Mit der Absage an die Austerität hat die portugiesische Regierung nicht nur die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht, sie hat auch den Populisten den Wind aus den Segeln genommen. In Deutschland hingegen hat das sture Beharren auf einer «schwarzen Null» einen übertriebenen Exportboom ausgelöst, der nun droht, in einen zerstörerischen Handelskrieg auszuarten.