Sag das doch deinen Freunden!
Die Schweizerische Nationalbank hat vor gut einem Jahr Negativzinsen eingeführt, als Notmassnahme gewissermassen. Sie wollte damit den Schock mildern, der durch die Aufhebung des Mindestkurses des Frankens gegenüber dem Euro ausgelöst worden war. Inzwischen haben verschiedene Notenbanken ebenfalls die Negativzinsen entdeckt: Dänemark, Schweden und Japan.
Selbst die Europäische Zentralbank (EZB) setzt auf dieses Mittel und in den USA denkt Fed-Präsidentin Janet Yellen laut darüber nach. «Für mich sind nominale Negativzinsen eine wirksame Waffe für die Zentralbanken», erklärt denn auch der ehemalige Fed-Banker Naranya Kocherlakota.
Die Bank JPMorgan hat bereits ausgerechnet, dass Negativzinsen in der Höhe von mehr als vier Prozent grundsätzlich möglich wären. «Das zeigt, dass Negativzinsen ein mächtiges Instrument der Geldpolitik werden könnten», schreiben die drei JPMorgan-Ökonomen Malcolm Barr, David Mackie und Bruce Kasman in ihrem Monatsreport. «Es zeigt auch, dass die Macher der Geldpolitik gewillt sind, Negativzinsen als Mittel einzusetzen, und könnte zu signifikanten Senkungen der Zinssätze führen.»
Was heute als kleine Revolution in der Geldpolitik gefeiert oder bejammert wird, ist im Grunde sehr alt und bewährt. Geld kann auch als eine Ware betrachtet werden, beispielsweise als Getreide. Wer Getreide aufbewahren will, muss erstens dafür eine Gebühr bezahlen und muss zweitens damit rechen, dass sich dieses im Lauf der Zeit entwertet.
Nach diesem Prinzip handelten schon die alten Ägypter. Sie besassen zwei Arten von Geld: eines, das auf Gold und anderen wertbeständigen Sachen beruhte, und ein Geld für den Alltag, das ständig an Wert verlor, mit anderen Worten: ein Geld mit negativen Zinsen. Im Mittelalter kannte man die «Demurrage», eine Gebühr, die für das Aufbewahren von Geld verlangt wurde.
Entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil war das Mittelalter keineswegs immer finster. Im 12. und 13. Jahrhundert herrschte relativer Wohlstand. «Bemerkenswert ist vor allem, dass diese ‹erste Renaissance› mit der Zeit zusammenfällt, in der Währungssysteme mit Demurrage-Gebühren überwogen», schreibt Bernard A. Lietaer in seinem Buch «Mysterium Geld». Er war einst Zentralbanker in Belgien und gilt als führender Experte für Parallelwährungen.
Wenn Geld an Wert verliert oder wenn man für das Aufbewahren eine Gebühr entrichten muss, dann ist der Anreiz gross, es möglichst rasch auszugeben. Genau dies ist auch die Absicht hinter den Negativzinsen. Geld gibt es derzeit in Hülle und Fülle. Weil die Schwellenländer derzeit kriseln, werden die Industriestaaten derzeit geradezu mit zurückfliessendem Kapital überschwemmt. Die Notenbanken wollen nun mit den Negativzinsen erreichen, dass dieses Geld nicht gehortet, sondern investiert oder verkonsumiert wird und die Wirtschaft so wieder auf Touren kommt.
Im Mittelalter hatte diese Methode Erfolg:
Das Prinzip der Negativzinsen lag ursprünglich auch dem WIR-Geld zugrunde, das Silvio Gesell in den Zwischenkriegsjahren geschaffen hat und das bei uns nach wie vor weit verbreitet ist. Gesell sprach von Geld, «das rostet». Wer es nur bunkerte, konnte nicht mit Zinsen rechnen, sondern musste sich mit einem Wertverlust abfinden.
Das Negativzinsen-Prinzip liegt auch vielen lokalen und regionalen Parallelwährungen zugrunde. Diese Währungen dienen dazu, die Menschen zu animieren, im näheren Umfeld einzukaufen und so das einheimische Gewerbe zu unterstützen. Sie haben in jüngster Vergangenheit ein erstaunliches Comeback erlebt, vor allem in Deutschland. Die bekannteste Parallelwährung ist der Chiemgauer, benannt nach dem gleichnamigen See in Bayern. Dieses Geld «rostet» und trotzdem werden jährlich damit für rund acht Millionen Euro Waren und Dienstleistungen erworben.
Die Nationalbanken können ihr eigenes Geld, die Banknoten, nicht «rosten» lassen. Negativzinsen können deshalb dazu verleiten, dass Geld nicht mehr auf die Bank getragen wird, sondern in Form von grossen Noten gehortet wird. Die EZB überlegt sich deshalb, ob sie die 500-Euro-Note aus dem Verkehr ziehen wird. Auch hierzulande wird darüber diskutiert, die 1000-Franken-Note abzuschaffen, die weltweit höchst dotierte Banknote überhaupt.
Negativzinsen sind eigentlich als Notmassnahme gedacht. An einen Dauerzustand denkt niemand, und an «Geld, das rostet» schon gar nicht. Doch bereits wird befürchtet, dass aus der Notmassnahme ein Dauerzustand werden könnte und Negativzinsen uns noch längere Zeit begleiten werden.
Solange die Banken die Negativzinsen nicht auf ihre Kunden überwälzen, hält sich auch die Empörung darüber in Grenzen. Das könnte sich ändern. Die Alternative Bank Schweiz hat bereits eine Art Demurrage, ein kleine Gebühr für das Aufbewahren des Geldes eingeführt. Und weil der reiche Kanton Zug bereits zu viel Geld auf seinen Konten hat, darf man neuerdings die Steuern nicht mehr für das ganze Jahr mit einer einzigen Zahlung erledigen.