Im Abstimmungskampf haben die Brexit-Befürworter damit argumentiert, dass London jede Woche 350 Millionen Pfund nach Brüssel überweisen müsse und dass man dieses Geld doch besser für das einheimische Gesundheitswesen verwenden sollte. Das waren Fake News. Jetzt kommt die Retourkutsche: Rund 100 Milliarden Euro will Brüssel London als Preis für einen neuen Handelsvertag in Rechnung stellen. Vor ein paar Monaten waren es bloss 60 Milliarden Euro gewesen.
Die EU macht auch kein Hehl daraus, dass sie auf ihren Forderungen bestehen will. Am vergangenen Wochenende wurden an einer Sondertagung die Leitlinien zu den Brexit-Verhandlungen festgelegt. Zum Ärger der Briten herrschte unter den EU-Mitgliedern für einmal grosse Einigkeit: Brüssel will eine harte Linie verfolgen und erst dann einen neuen Handelsvertrag verhandeln, wenn die Abfindungsfrage geklärt ist.
Premierministerin Theresa May hatte ursprünglich auf eine gnädige Haltung der Deutschen spekuliert. Daraus wird nichts. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat unmissverständlich klar gemacht, dass sie voll hinter den Forderungen der Franzosen stehen wird.
Angefeuert von einer äusserst aggressiven Boulevard-Presse will Grossbritannien jedoch keinen Cent nach Brüssel überweisen. Das hat May an einem Dinner mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker unmissverständlich erklärt. Tags darauf hat die «FAZ am Sonntag» Details des Gesprächs veröffentlicht. So habe Juncker beklagt, dass er nun «zehn Mal skeptischer» sei, dass es zu einem neuen Vertrag kommen werde.
Die Reaktion aus London erfolgte umgehend. Sie werde eine «verdammt schwierige Frau» (a bloody difficult woman») in den Verhandlungen sein, liess May ausrichten.
Auf beiden Seiten des Kanals nehmen die chauvinistischen Emotionen zu. Gideon Rachman stellt sich in der «Financial Times» bereits vor, wie Theresa May ihren Landsleuten ein Scheitern der Verhandlungen verklickern werde. «Ein Land, das Hitler, Napoleon und die spanische Armada besiegt hat, lässt sich nicht von ein paar Brüsseler Bürokraten in die Knie zwingen.»
Das ist vorläufig noch Fiktion. In der Realität müssen die Briten sich damit anfreunden, dass der Brexit einen Preis haben wird. «Grossbritannien kann nicht erwarten, dass es die Bedingungen diktieren oder einen Deal abschliessen kann, der so günstig ist, dass andere Länder ermutigt würden, ebenfalls auszutreten», mahnt die Financial Times.