Der Streit dreht sich um etwa 400 Produkte. Es geht um rezeptfreie Arzneimittel wie Hals- und Rachensprays, Rheumabäder, mild wirkende Abführmittel. Oder um Haarwuchsmittel auf Hirseextrakt- Basis, Ginseng-Präparate, Franzbranntweinund Melissengeist oder Zahngels mit hoher Fluorkonzentration. Auch Haut- und Wunddesinfektionsmittel gehören dazu.
Heute können solche Heilmittel nur in Apotheken und Drogerien abgegeben werden: Denn Fachberatung sei nötig, besagt das Heilmittelgesetz. Ab Anfang 2019 soll sich das ändern. Auch der Detailhandel, also etwas Migros oder Coop, soll derartige Produkte verkaufen können.
Doch im Hintergrund ist seit Jahren ein heftiges Tauziehen im Gang. Pharmakreise, Apotheker und Drogisten, aber auch Ärzte wehren sich mit Händen und Füssen gegen die Neuerungen, die den Konsumenten jährlich Einsparungen von Dutzenden von Millionen bringen könnten.
Zwar hat der Bundesrat am Freitag eine Reihe von Änderungen im Heilmittelgesetz verabschiedet, darunter den Grundsatz, dass der Zugang zu Medikamenten erleichtert werden soll. Welche Heilmittel ab nächstem Jahr auch ausserhalb von Apotheken und Drogerien erhältlich sind, steht aber weiterhin in den Sternen. Denn die Entscheide im Einzelfall müssen erst noch gefällt werden. Und bis jetzt sieht es für die Sache der Konsumenten nicht sehr rosig aus, da die vorberatende externe Fachkommission dem Vernehmen nach nur sehr wenige der Produkte für den Detailhandel freigeben will. Die Kommission wird von Vertretern von Pharma, Apothekern, Drogisten, Ärzten dominiert.
Die Gegner der erleichterten Abgabe führen ins Feld, dass Arzneimittel «keine normale Handelsware» seien. «Wenn der Kunde nicht beraten wird, kann grosser Schaden angerichtet werden», sagte der Präsident des Apothekerverbands Pharmasuisse, Fabian Vaucher, kürzlich zur «Neuen Zürcher Zeitung».
Auf der anderen Seite steht beispielsweise die Migros. Martin Schläpfer, Leiter Direktion Wirtschaftspolitik beim Migros-Genossenschaftsbund, sagt es so: «Die Lobby von Pharma-, Apotheker- und Drogistenverbänden blockt ab, obwohl Bundesrat und Parlament die Förderung der Selbstmedikation beschlossen haben.»
Die angeführten Bedenken der Bremser weist Schläpfer zurück: «Die Branche konnte noch kein Heilmittel nennen, das im freien Verkauf in Deutschland Probleme bereitet hätte. Sie betreibt reinen Branchenschutz auf dem Buckel der Konsumenten, die zu viel zahlen müssen. Dabei sind unsere Forderungen im Vergleich zu Regelungen im Ausland sehr moderat.»
Im Hintergrund läuft nach wie vor ein Seilziehen. Es geht darum, welche Mittel und Salben künftig beim Detailhändler erhältlich sein sollen. Auf Anfrage sagt ein Swissmedic-Sprecher, dass die lange erwartete und heiss umstrittene Liste der freigegebenen Arzneimittel im November veröffentlicht werden solle. Zu diesem Zeitpunkt werde durch Swissmedic auch der definitive Entscheid gefällt.
Befürworter des erleichterten Zugangs zu den Salben und Tropfen setzen jetzt einige Hoffnung in die politische Konstellation. Präsident von Swissmedic, dem Heilmittelinstitut des Bundes, ist mit Nationalrat Stéphane Rossini ein SP-Vertreter, der sich als Gesundheitspolitiker nachdrücklich für tiefere Medikamentenpreise einsetzte. Und Swissmedic ist im Departement von Bundespräsident Alain Berset angesiedelt, auch er ein SP-Mann. Und Berset hatte bereits im Parlament betont und versprochen, dass der Zugang erleichtert werden müsse.
Der Bundesrat kommt auch den Apotheken und Drogerien entgegen. So beschloss er am Freitag im gleichen Aufwisch der Heilmittelgesetzanpassung, dass Apotheken und Drogerien gewisse rezeptfreie Arzneimittel einfacher abgeben können. Gewisse bisher rezeptpflichtige Medikamente, etwa Heuschnupfen-Mittel, können Apotheken zudem künftig in eigener Verantwortung abgeben. (aargauerzeitung.ch)