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Der Weizenpreis steigt und steigt – und es ist kein Ende in Sicht

Der Weizenpreis steigt und steigt – und es ist kein Ende in Sicht

Weizen ist wegen des Ukrainekriegs auf den Weltmärkten ein knappes Gut. Er kostet daher so viel wie noch nie. Besserung ist nicht in Sicht – mit verheerenden Folgen für die Armen dieser Welt.
07.06.2022, 19:12
Kaspar Wolfensberger / AWP
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Der Klimawandel mit verheerenden Dürren sowie Versorgungsengpässe durch die Pandemie drohten bereits 2021 Millionen Menschen in den Hunger zu stürzen. David Beasley, der Chef des UN-Welternährungsprogramms, warnte daher vor der grössten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch jetzt ist es noch schlimmer gekommen.

Denn mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine fällt eine der Kornkammern der Welt aus. Experten und Politiker warnen vor Hunger in vielen Teilen der Welt.

Ukraine Weizen
Oben blau, unten gelb – genau wie die Flagge: Ein Weizenfeld in der Ukraine.Bild: imago-images

Wie knapp der Weizen auf den Märkten geworden ist, zeigt der Preis. Im europäischen Handel an der Börse Euronext in Paris kostet eine Tonne Weizen derzeit rund 397 Euro (Stand Dienstagmorgen). Im Mai mussten teilweise gar Preise von fast 440 Euro auf den Tisch gelegt werden. Zum Vergleich: Vor einem Jahr lag der Preis noch bei bloss 215 Euro.

Wegen ihrer fruchtbaren Böden ist die Ukraine einer der wichtigsten Weizenexporteure weltweit. Hinzu kommen hohe Weltmarktanteile bei Gerste, Mais und Sonnenblumenöl. Laut Uno-Angaben wurden in dem Land allein 2020 knapp 25 Millionen Tonnen Weizen geerntet.

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Russland und Ukraine produzieren viele Kalorien

Zusammen produzieren die Ukraine und Russland einer Studie zufolge 12 Prozent der weltweit gehandelten Kalorien. Ein Grossteil davon droht nun auszufallen. Denn viel ukrainisches Getreide wird über die Schwarzmeerhäfen verschifft. Weizen ging von dort im vergangenen Jahr etwa nach Ägypten, Tunesien oder Marokko.

Alternativen zum eigenen Seetransport hat die Ukraine de facto keine. Millionen Tonnen Korn mit Güterzügen zu exportieren und zum Weitertransport in Häfen anderer Staaten zu schaffen ist viel zu teuer. Ausserdem fehlt die entsprechende Infrastruktur.

Doch die Häfen, allen voran Odessa, werden jetzt von den russischen Streitkräften blockiert. Die Kiewer Führung traut dabei aktuellen Moskauer Zusagen einer sicheren Passage von Schiffen aus der Ukraine durch das Schwarze Meer nicht.

Russland macht Westen verantwortlich

In früheren Äusserungen hat der Kreml ein Ende der Getreideblockade mit der Aufhebung von Sanktionen gegen Russland verknüpft. Ausserdem beschuldigt Russland den Westen, mit seinen Sanktionen auch russische Weizenexporte zu verhindern, was armen Nationen schade.

Weil russische Frachtschiffe mit Sanktionen belegt seien, könnten diese kein Getreide exportieren, sagte der russische Aussenminister Sergej Lawrow. Der Westen behaupte zwar, dass Lebensmittel nicht mit Sanktionen belegt seien, verschweige aber zugleich, dass sie nicht transportiert werden könnten.

Aussenminister Lawrow soll nun am kommenden Mittwoch mit der türkischen Führung über eine Ausfuhr von ukrainischem Getreide sprechen. Dazu sollen die Minen vor der ukrainischen Schwarzmeerküste entschärft werden. Türkische Spezialisten sollen dabei helfen.

Ukrainer warnen vor Deal

Ukrainische Politiker warnten allerdings vor einem solchen «Kuhhandel». Würde der Minengürtel vor dem Hafen entfernt, wäre Odessa ungeschützt, sagte der Bürgermeister der Hafenstadt am Wochenende. «Das ist die Chance, auf die Putin wartet. Er lügt. Ich glaube ihm kein Wort.»

Ausserdem warnten die USA davor, dass der Kreml derzeit von den hohen Getreidepreisen zu profitieren versuche, indem er in der Ukraine gestohlenen Weizen verkaufen wolle. Für ukrainische Politiker ein weiterer Grund, dem Feind aus Moskau bei seinen Ausführungen nicht zu trauen.

FILE - David Beasley, executive director of the U.N. World Food Program speaks during an interview with The Associated Press in Kyiv, Ukraine, Thursday, April 14, 2022. Two U.N. food agencies issued s ...
David Beasley, Chef des UN-Welternährungsprogramms, warnte bereits vor dem Ukraine-Krieg vor der grössten humanitären Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.Bild: keystone

Das argumentative Hin und Her sowie das grosse Misstrauen zwischen den beiden Seiten zeigt: eine baldige Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine auf dem Seeweg erscheint unrealistisch. Die Versorgung der Weltmärkte mit ukrainischem Weizen dürfte dieses Jahr somit knapp bleiben.

Entsprechend werden die Preise für Weizen auf dem Weltmarkt nicht so bald wieder sinken. Gemäss Schätzungen von Experten dürfte sich der Preis für Weizen - je nach Ernte und Kriegsentwicklung - erst in den Jahren 2023 oder 2024 normalisieren.

Tschad ruft Hungerkrise aus

Für die Armen der Welt dürfte die Knappheit und die damit verbundenen Preissteigerungen fatale Folgen haben. Anfang Juni hat bereits das zentralafrikanische Tschad einen Ernährungsnotstand ausgerufen. Die Lebensmittelsituation habe sich seit Jahresanfang extrem verschlechtert, teilte die Regierung mit.

Der Tschad ist eines von vielen Ländern in der Sahelzone, dem eine Hungerkrise bevorsteht. Das Horn von Afrika, vor allem Äthiopien, Kenia, Sudan und Somalia, ist mit der schlimmsten Trockenheit seit 40 Jahren konfrontiert. Nach Angaben von Hilfsorganisationen könnten in der gesamten Sahelregion bald 60 Millionen Menschen hungern. (sda/awp)

Theoretisch gäbe es trotz Krieg genug Weizen
Trotz des Kriegs zwischen Russland und der Ukraine dürfte es auf den Weltmärkten theoretisch gar keine Knappheit an Weizen geben. Das Landwirtschaftsministerium der USA geht davon aus, dass die weltweite Produktion im Verkaufsjahr bis Ende Juni 2022 auf 779 Millionen Tonnen ansteigen wird. Für die folgende Periode bis Juni 2023 rechnen die Amerikaner mit 775 Millionen Tonnen, fast genau gleich viel, wie Tom Miller von Gavekal Research schreibt.

Mit vorhandenen Getreidevorräten wäre somit eigentlich genug Weizen da, um die Nachfragelücke auf den Weltmärkten zu schliessen, schreibt er weiter. Denn der weltweite Verbrauch für den Zeitraum von Juni 2022 bis Juni 2023 schätze er nur auf 788 Millionen Tonnen, also kaum mehr als auch tatsächlich produziert wird. In der Praxis sei es jedoch schwierig, das Getreide dorthin zu bringen, wo es gebraucht wird. Es fehlt an den enstprechenden Transportwegen und den logistischen Kapazitäten.

Protektionismus in Indien

Ausserdem habe das knappe Angebot die Preise auf ein Niveau getrieben, das sich die Armen nicht leisten könnten. Erste Länder reagierten daher bereits mit Protektionismus, um Hunger im eigenen Land zu verhindern. So etwa Indien. Das Land galt ursprünglich als Hoffnungskandidat, die ausbleibenden Lieferungen aus der Ukraine zu ersetzen.

Indien ist nach China der zweitgrösste Weizenproduzent der Welt. Doch verhängte das Land Mitte Mai ein Exportverbot. Das Handelsministerium präzisierte kurz danach zwar, dass es Ausnahmen gebe für den Export in bestimmte Länder. Letztlich ist indischer Weizen dieses Jahr international aber nur beschränkt verfügbar. (awp/sda)
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121 Kommentare
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Liebu
07.06.2022 20:11registriert Oktober 2020
Eigentlich tragisch. Als Vieh in Europa hast du weniger Hunger als als Mensch z.B. in Afrika.
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Grabeskaelte
07.06.2022 20:59registriert Oktober 2014
Schluss mit der Spekulation auf Nahrungsmittel und das ganze fair verteilen. Wir könnten locker die ganze Welt ernähren, würden wir dem verfluchten Kapitalismus und dem "freien Markt" nicht alles zum Frass vorwerfen.
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Forest
07.06.2022 19:36registriert April 2018
Wir hätten genügend Anbaufläche um die Weltbevölkerung zu ernähren, stattdessen ernähren wir Vieh für tsch, tsch....
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