Er könne den Handelskrieg von US-Präsident Donald Trump «ein Stück weit nachvollziehen», sagte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Interview mit watson und «Aargauer Zeitung». Eine überraschende Aussage von einem bekennenden Liberalen und Verfechter des Freihandels. Trump wolle «die Handelsbilanz der USA ins Gleichgewicht bringen», meinte der FDP-Bundesrat.
«Wie er es macht, ist eine andere Frage», räumte Schneider-Ammann immerhin ein. Man kann dies als leise Kritik am Versuch Trumps interpretieren, die «Schuldigen» am Handelsdefizit der USA mit Strafzöllen zur Räson zu bringen. Am 1. Juni verhängte der US-Präsident Zuschläge auf die Einfuhr von Stahl und Aluminium aus der Europäischen Union, Kanada und Mexiko.
Surprised that Harley-Davidson, of all companies, would be the first to wave the White Flag. I fought hard for them and ultimately they will not pay tariffs selling into the E.U., which has hurt us badly on trade, down $151 Billion. Taxes just a Harley excuse - be patient! #MAGA
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 25. Juni 2018
Die Europäer schlugen zurück und verhängten letzte Woche ihrerseits Vergeltungszölle auf Produkte wie Jeans, Bourbon-Whiskey und Motorräder. Nun haben sie bereits erste, für die USA unliebsame Folgen. Harley-Davidson, der Hersteller der legendären Kultmotorräder, kündigte an, den europäischen Markt künftig von seinen Fabriken in Brasilien, Thailand und Indien zu beliefern.
Europa ist für Harley-Davidson der zweitwichtigste Markt. Einen Stellenabbau in den USA kündigte das Unternehmen nicht an. Donald Trump reagierte wie gewohnt via Twitter, allerdings für seine Verhältnisse eher defensiv. Er sei «überrascht», dass Harley-Davidson als erstes Unternehmen die weisse Flagge schwenke: «Ich habe hart für sie gekämpft», meinte der Präsident. Am Dienstag attackierte er den Motorradhersteller schon heftiger.
A Harley-Davidson should never be built in another country-never! Their employees and customers are already very angry at them. If they move, watch, it will be the beginning of the end - they surrendered, they quit! The Aura will be gone and they will be taxed like never before!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) 26. Juni 2018
Hat der grosse Dealmaker diese Massnahme wirklich nicht kommen sehen? Ökonomen haben stets gewarnt, dass die Strafzölle in erster Linie US-Firmen treffen werden. «Ausgerechnet Trumps Wähler werden am stärksten unter seiner Politik leiden», sagte Larry Summers, ehemaliger Finanzminister von Bill Clinton und Wirtschaftsberater von Barack Obama dem «Spiegel».
Es ist das erklärte Ziel der EU, mit ihren Zöllen jene Regionen zu treffen, in denen viele Trump-Wähler leben. Der Hauptsitz von Harley-Davidson befindet sich im Bundesstaat Wisconsin, in dem der Republikaner bei der Präsidentschaftswahl 2016 überraschend und hauchdünn gewonnen hatte. Wisconsin hatte zuvor während Jahrzehnten demokratisch gewählt.
Ein weiterer Fall betrifft Mid-Continent Nail, den grössten Nagelhersteller der USA. Dieser befindet sich in einem Wahlkreis im Bundesstaat Missouri, in dem Trump klar gesiegt hatte. Mitte Juni musste der Metallverarbeiter 60 Angestellte entlassen, und bis zum Ende des Sommers droht der Firma gemäss der «Washington Post» das vollständige Aus.
Mid-Continent Nail verwendet für seine Nägel Stahl aus Mexiko. Dieser wurde durch Trumps Zölle um 25 Prozent teurer. Die Firma hatte keine andere Wahl, als die Preise zu erhöhen, worauf die Bestellungen einbrachen. Der für Verkäufe zuständige Vizepräsident zeigte sich «enttäuscht» über Trump, den er gewählt hatte. Er vermutet, seine Kunden würden nun Nägel aus China kaufen.
Daran zeigt sich die Problematik der Strafzölle. Trump will die amerikanischen Stahl- und Aluminiumproduzenten schützen, die tatsächlich einen Ausbau ihrer Produktion angekündigt haben. Weitaus mehr Jobs sind dafür bei den Verarbeitern von Rohmetall wie Auto- und Flugzeugherstellern gefährdet. «Je länger die Zölle in Kraft sind, umso grösser der Abbau», schreibt die «Washington Post».
Ausgerechnet China könnte davon profitieren, der «Hauptfeind» in Sachen Handelsbilanz aus Sicht von Trump und seinem umstrittenen Wirtschaftsberater Peter Navarro. Kein Ökonom, egal welcher Denkschule, nehme ihn und seine Theorien zum Handelsdefizit ernst, meint Larry Summers. Dennoch wollen die USA am 6. Juli Zölle von 34 Milliarden Dollar auf chinesische Waren einführen.
Eine Einigung bis zu diesem Zeitpunkt ist unwahrscheinlich. Nun verschärft Chinas Regierung die Gangart. Man werde nicht wie in der westlichen Kultur die andere Wange hinhalten, sondern zurückschlagen, sagte Präsident Xi Jinping letzte Woche laut dem «Wall Street Journal» bei einem Treffen mit 20 Chefs von multinationalen Konzernen vorwiegend aus Europa und den USA.
Bei Trumps Handelskrieg gegen China geht es um mehr als nur Defizite und Überschüsse. Die USA zielen auf das Programm «Made in China 2025», mit dem das Reich der Mitte den Weltmarkt in zehn strategisch und technologisch wichtigen Bereichen dominieren will, darunter Raumfahrt, Robotik und Medizinaltechnik. Die USA sehen darin eine Bedrohung ihrer Führungsrolle.
Man wolle Technologien und geistiges Eigentum der USA schützen, sagte der China-Kritiker Peter Navarro am Montag dem Fernsehsender CNBC. Tatsächlich haben die Chinesen ein eigenwilliges Verständnis von Technologietransfer. Häufig besteht er aus Diebstahl oder Erpressung, etwa wenn ausländische Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt mit der Herausgabe von Knowhow bezahlen müssen.
Navarro treffe einen wunden Punkt, räumt die «Washington Post» in einem Kommentar ein. Seine Strategie aber werde kaum funktionieren, vor allem weil sein Chef unfähig sei, Prioritäten zu setzen. «Die Position der USA gegenüber China wäre stärker, wenn Peking mit einer gemeinsamen Front konfrontiert wäre, die auch Europa, Japan, Mexiko und Kanada einbezieht.»
Trump aber stellt seine «America First»-Ideologie über Pragmatismus. Er drohe den potenziellen Verbündeten ebenfalls mit Strafzöllen und treibe sie dazu, «engere Beziehungen mit China auszuloten», so die «Washington Post». Noch geht seine Rechnung auf. Laut einer Umfrage von CNBC wird seine Wirtschaftspolitik erstmals von einer Mehrheit der Amerikaner positiv bewertet.