Jamie Dimon ist CEO von J.P. Morgan und der renommierteste Banker der Gegenwart. Sein Wort hat Gewicht, zumal er nicht wirklich im Verdacht steht, ein Sympathisant der Linken zu sein, schliesslich fand er wohlwollende Worte für Donald Trump, als dieser seine Wiederwahl gewann.
Rund vier Monate chaotische Amtszeit des US-Präsidenten haben auch bei Dimon für Ernüchterung gesorgt. Bei einem Auftritt im Reagan National Economic Forum in Kalifornien befasste er sich auch mit dem steigenden Staatsdefizit und erklärte: «Wir werden Risse im Anleihenmarkt sehen, okay? Es wird geschehen.»
Anzeichen für diese Risse gibt es bereits. Die Rendite für die zehnjährigen amerikanischen Staatsanleihen, die T-Bonds, bewegen sich um die 4,5 Prozent, eine deutliche Steigerung. Vor einem halben Jahr lagen sie noch rund einen Prozentpunkt tiefer. Die Renditen der 30-jährigen Staatsobligationen lagen zeitweise gar über 5 Prozent.
Steigende Renditen widerspiegeln einen Vertrauensverlust. Die Anleger fürchten, dass die USA ihren Verpflichtungen möglicherweise nicht mehr nachkommen werden und verlangen eine höhere Risikoprämie. Sie haben gute Gründe dafür. Die Ratingagentur Moody’s hat den USA kürzlich die Bestnote AAA entzogen.
Zwischen der Rendite der T-Bonds und dem Dollarkurs besteht normalerweise eine Beziehung, die besagt: Steigen die Renditen, wird auch der Dollar stärker. Diesmal jedoch ist dies nicht der Fall. Der Greenback hat auf den Devisenmärkten an Wert verloren. Seit Trumps «Befreiungstag» am 2. April ist die Rendite der T-Bonds auf 4,42 Prozent gestiegen, der Dollar hingegen hat 4,7 Prozent eingebüsst und liegt auf dem tiefsten Stand seit drei Jahren.
Shahab Jalinoos, Leiter der G10 FX Strategy bei der UBS, bemüht daher in der «Financial Times» einen drastischen Vergleich für dieses Phänomen: «Eigentlich kennen wir dies nur von Entwicklungsländern.» Michael de Pass vom Hedgefund Citadel Securities kommt zu einem ähnlichen Schluss: «Der Wert des Dollars hängt nicht zuletzt von der Integrität der Strukturen eines Landes ab, dem Rechtsstaat, der Unabhängigkeit der Notenbank und einer voraussehbaren Politik», erklärt er ebenfalls in der «Financial Times». «Die letzten drei Monate haben dies infrage gestellt.»
Besserung ist nicht in Sicht. Der Senat beugt sich diese Woche über Trumps «Big and Beautiful Bill», einer Gesetzesvorlage, die mehr als 1000 Seiten umfasst und von Steuererleichterungen für Reiche über Kürzungen im Sozialbereich für Arme fast alles enthält. Das Abgeordnetenhaus hat das Gesetz bereits verabschiedet, wenn auch nur mit einer hauchdünnen Mehrheit von einer Stimme.
Im Senat muss noch verhandelt werden. Den Hardlinern gehen die Einsparungen zu wenig weit, andere wie Senator Josh Hawley hingegen bemängeln, dass die Kürzungen bei Medicaid, der Unterstützung für die Krankenkasse, viel zu krass ausfallen. Hawley spricht gar von «politischem Selbstmord», weil diese Kürzungen vor allem auch die Trump-Wähler auf dem Land betreffen.
Letztlich wird das «grosse und schöne Gesetz» jedoch wohl vom Kongress mit ein paar Änderungen verabschiedet werden. Zu viel steht für die Republikaner auf dem Spiel, handelt es sich doch um das Herzstück von Trumps zweiter Amtszeit.
Die Wall Street liebt dieses Gesetz indes nur bedingt, denn das Congressional Budget Office (CBO), ein überparteilicher Thinktank, der die finanziellen Folgen von Gesetzen untersucht, ist zum Ergebnis gekommen, dass es die Staatsschulden in den nächsten zehn Jahren um rund drei Billionen (mit einem B) Dollar erhöhen wird. Dabei liegt dieses Defizit bereits heute bei 37 Billionen Dollar, mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Nicht wenige fürchten daher, dass die USA auf italienische Verhältnisse zusteuern.
Davon wollen die Verantwortlichen nichts wissen. Finanzminister Scott Bessent hat am Sonntag in der TV-Sendung «Face the Nation» versichert: «Die Vereinigten Staaten von Amerika werden ihren Verpflichtungen stets nachkommen, wir werden nie gegen eine Mauer prallen.» In «Meet the Press», einer weiteren Sonntags-TV-Show, betont derweil Speaker Mike Johnson, dass das CBO das Wirtschaftswachstum weit unterschätze. Er bezieht sich dabei auf die These, wonach Steuerkürzungen durch höheres Wachstum mehr als kompensiert werden und erklärt: «Ich versichere Ihnen, wir werden das Defizit sogar verkleinern.»
Sein Wort in Gottes Ohr, denn bisher ist diese These meist an der Realität zerbrochen. Selbst der zeitweilige Schattenpräsident Elon Musk zeigt sich wenig begeistert und spricht von einem «grossen und hässlichen Gesetz».
Nicht nur dieses Gesetz sorgt für Unruhe an den Finanzmärkten. «Amerika ist eine Quelle der Instabilität geworden», schreibt der «Economist» in seiner jüngsten Ausgabe. Dabei denkt er nicht nur an die chaotische Handelspolitik, sondern daran, dass sich das Finanzsystem in den letzten Jahren grundsätzlich gewandelt hat. «Amerikas Finanzsystem dominiert seit langem», so der «Economist». «Aber noch nie war die Welt ihm in einem solchen Mass ausgesetzt. Alle sollten sich Sorgen machen, weil es so fragil geworden ist.»
Um eine Finanzkrise wie 2008 zu vermeiden, wurden die Banken an die Leine genommen. Inzwischen sind jedoch Nicht-Banken in die Lücke gesprungen, Firmen wie Apollo, Blackstone und KKR beispielsweise, die ihre Assets in den letzten zehn Jahren verfünffacht haben. Sie verteilen nun Kredite im grossen Stil. Dieses System hat das Wirtschaftswachstum angekurbelt, doch «leider enthält es auch Risiken», wie der «Economist» feststellt. Vor allem ist es intransparent. Aussenstehende können Risiken nicht mehr abschätzen.
Der «Economist» spricht daher von einer «toxischen Kombination von Unsicherheit, institutionellen Konflikten, volatilen Assetpreisen, höheren Kapitalkosten und wirtschaftlichen Schwächezeichen, die das neu geschaffene Finanzsystem unter einen gewaltigen Druck setzen».
Finanzkrisen haben die lästige Angewohnheit, dass sie unangemeldet auftauchen. Doch auftauchen tun sie. «Es wird wieder eine Finanzkrise geben – wie immer», so der «Economist». «Und wenn sie da ist, werden die Investoren mit der Erkenntnis aufwachen, dass sie mit einem Finanzsystem konfrontiert sind, das sie nicht mehr kennen.»
Auch Jamie Dimon ist überzeugt, dass sich die USA – sollte es keinen Wechsel der Politik geben – auf einem Crashkurs befinden. «Es wird passieren, und ihr werdet in Panik ausbrechen», sagt er. «Ich weiss einfach nicht, ob dies in sechs Monaten der Fall sein wird, oder in sechs Jahren.»