Die sozialen Medien
werden derzeit oft verantwortlich gemacht für alles, was schief läuft. Teilen
Sie diese Einschätzung?
Nein. Ich bin ein grosser Fan der sozialen Medien. Sie
tragen zur Demokratisierung des Wissens bei, indem sie die etablierten Medien
mit neuen Sichtweisen heraus fordern.
Nicht Fake News haben
also Trump ins Weisse Haus gebracht?
Nein, es waren die wirtschaftlichen Umstände.
Selbst die Manager am
WEF beklagen inzwischen die wachsende Ungleichheit. Sie sind ein führender
Experte in diese Frage. Was halten Sie davon?
Seit der Finanzkrise sprechen alle von der Ungleichheit –
aber niemand unternimmt etwas dagegen. Immerhin wird das Problem inzwischen
anerkannt. Doch mich beginnt das Gerede darüber zu langweilen. Es ist doch
absurd, wenn sich die versammelten Milliardäre in Davos darin bestärken, dass
Ungleichheit ein Problem ist.
Sie haben die so genannte
Elefanten-Grafik kreiert und sind damit weltberühmt
geworden. Können Sie diese Grafik kurz erläutern?
Dem Mittelstand
in Asien, vor allem in China, ist es in den letzten 25 Jahren gut gegangen.
Diese Menschen konnten ihr Einkommen verdoppeln oder teilweise gar
vervierfachen. Wir sprechen dabei von rund zehn Prozent aller Chinesen, also
mehr als der Bevölkerung von Frankreich. Auch die reichsten Bewohner des
Westens haben massiv profitiert.
Wer hat verloren?
Der Mittelstand im Westen. Sie sind zwar nicht unbedingt
ärmer geworden, aber ihre Einkommen stagnieren seit längerer Zeit. Das trifft für grosse Länder wie die
USA, Deutschland und Japan zu. Darin liegt die wirtschaftliche Erklärung für
den Brexit und den Wahlsieg von Trump.
Zwischenfrage:
Zu welcher Gruppe gehören wir beide?
Zu den reichen Gewinnern im Westen, ganz klar.
Warum wird die
Ungleichheit zwar wortreich beklagt, aber nicht bekämpft?
Innerhalb des bestehenden Systems ist es nicht einfach, die
Ungleichheit wirksam zu bekämpfen. Die Globalisierung hat uns – Menschen wie
Sie und ich – grosse Vorteile verschafft. Wir denken, alle anderen hätten auch
profitiert und sehen nicht, was im unteren Mittelstand passiert ist. Das trifft
speziell für die Vereinigten Staaten zu, wo sich die Elite an den Küsten und
die Menschen in der Mitte des Landes sich sehr stark voneinander entfernt
haben. Dazu kommt, dass der Einzelne gar nicht sehr viel machen kann.
In der Schweiz werden
wir bald über eine Reform der Unternehmenssteuer abstimmen, die ebenfalls zu
Lasten des Mittelstandes geht. Die Befürworter behaupten dabei, wir würden die
internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn wir nicht zustimmen. Stimmt
das?
Innerhalb der globalisierten Wirtschaft ist es tatsächlich
so, dass man diesen Druck nicht ignorieren kann. Die einzelnen Nationen haben
teilweise die Möglichkeit verloren, selbst über ihre Steuern zu bestimmen. Es
braucht deshalb eine verstärkte internationale Zusammenarbeit auf diesem
Gebiet, beispielsweise innerhalb der OECD. Heute sind die Zustände teilweise
grotesk.
Woran denken Sie
konkret?
Nehmen Sie Apple und Irland. Der Steuersatz von Apple in Irland liegt bei etwa 0,000001 Prozent! Ich habe ausgerechnet, dass ich jährlich
40 Dollar Steuern zahlen müsste, hätte ich den gleichen Steuersatz. Damit könnte ich gerade ein Mal auswärts essen – ohne Wein, wohlverstanden.
Nun kommt Trump und
will das globale Welthandelssystem umkrempeln. Ist das eine gute oder eine
schlechte Nachricht?
Einerseits ist Trump wahrscheinlich die am wenigsten
qualifizierte Person, die je Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
geworden ist – um es nett auszudrücken. Zudem ist er völlig unberechenbar. Das
sind die schlechten Nachrichten. Andererseits hat er – wie bereits erwähnt – gewonnen, weil die Demokraten die ökonomischen Umstände falsch eingeschätzt haben.
Der Philosoph Slavoi
Zizek hat sich deshalb einen Sieg Trumps gewünscht, weil nun die Demokraten
sich endlich der neuen Realität stellen müssen. Sehen Sie das auch so?
In gewisser Hinsicht schon. Die Demokraten haben nun
tatsächlich erkannt, dass sie so nicht weitermachen können. Ich weiss bloss
nicht, wie nachhaltig diese Erkenntnis sein wird. Derzeit suchen sie vor allem
Sündenböcke: Zuerst waren es die Wahlmännern, dann angebliche Wahlmanipulationen und schliesslich die Russen. All das bringt die Demokraten nicht weiter, wenn sie die
wirtschaftlichen Gründe nicht zu Kenntnis nehmen wollen.
Was wird sein, wenn
Trump tatsächlich umsetzen wird, was er angekündigt hat? Wenn er beispielsweise
Strafzölle gegen Autohersteller einsetzen will?
Wenn es tatsächlich zu Handelskriegen kommen sollte, oder
wenn die USA gar die Welthandelsorganisation verlassen sollten – ich glaube
nicht, dass es so weit kommen wird –, dann wäre das sehr schlecht. Ich bin mir
auch nicht sicher, ob Trump einen strategischen Plan hin zu einem neuen Protektionismus
hat. Ich halte eine chaotische Entwicklung für wahrscheinlicher. Trump wird
sehr widersprüchliche Entscheide fällen, die für sehr viel Verwirrung sorgen werden. Ich habe daher mehr Angst vor
einem Chaos als vor einem neuen Protektionismus.
Versteht Trump
überhaupt den Unterschied zwischen einem Business-Deal und internationalen
Handelsverträgen?
Ich habe diesbezüglich eine Theorie, die ich hier zum ersten Mal
öffentlich äussere: Trump ist der
neue Michail Gorbatschow. So wie
Gorbatschow unabsichtlich die ehemalige Sowjetunion destabilisiert hat, könnte
Trump ebenfalls unabsichtlich die liberale Wirtschaftsordnung zum Einsturz
bringen. Und es ist sehr schwer, ihn daran zu hindern, genauso wie man
Gorbatschow nicht stoppen konnte. Als Präsident der USA ist Trump der
wichtigste Stakeholder im internationalen System, der sehr viel bewirken kann.
Deshalb machen die Europäer einen so belämmerten Eindruck. Sie haben keine
Ahnung, wie sie sich wehren können.
Trump hat gerade in
einem Interview mit der «Bild»-Zeitung erklärt, wenn die EU zerbrechen würde,
wäre das kein Unglück. Was halten Sie davon?
Trotz der aktuellen Probleme ist die EU ist eine Erfolgsgeschichte,
und ich denke nicht, dass Trump darüber entscheiden kann, ob sie weiter
existieren wird oder nicht. Aber natürlich kann er EU-feindliche Gruppierungen
und Politiker wie Nigel Farage unterstützen und damit die Instabilität fördern.
Joseph Stiglitz,
Thomas Piketty und Sie weisen alle überzeugend nach, wie gefährlich die Ungleichheit
für den Weltfrieden geworden ist. Ist es möglich, dass die bestehende
Weltordnung deswegen zugrunde geht?
Die Möglichkeit besteht. Ungleichheit ist längst nicht nur
ein ökonomisches, sondern sie ist zu einem politischen Problem geworden. Auch
die Massenzuwanderung ist letztlich die Folge von Ungleichheit. Ich sage nicht,
dass die bestehende Ordnung total zusammenbrechen wird, aber ich kann mir gut
vorstellen, dass wichtige Elemente untergehen könnten.
Ist die
Digitalisierung der Wirtschaft etwas, was diese Entwicklung stoppen kann – oder
macht die Digitalisierung alles noch schlimmer?
Die Digitalisierung kann zu einer grossen Bedrohung für den
Mittelstand werden, weil sie viele Jobs vernichten wird. Sie wird zwar auch neue Jobs schaffen, Jobs, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen
können. Doch kurzfristig sehe ich eher schwarz: Zuerst den
Globalisierungsschock und jetzt noch einen Digitalisierungsschock – das könnte brandgefährlich werden.