«Das Leben in China ist gut, jeder Tag ist wie
Ferien», lautet der Slogan der kommunistischen Partei Chinas zum Parteitag.
Stimmt das auch?
Heute ist das noch
Wunsch, aber als Ziel für die Zukunft trifft dies zu. Ich glaube, die Chinesen
werden dieses Ziel auch erreichen.
Das Wirtschaftswachstum hat die Erwartungen
leicht übertroffen.
Es gibt jedoch nach
wie vor gewaltige Probleme. Deshalb hat Präsident Xi auch davon gesprochen,
dass er die chinesische Gesellschaft im Jahr 2025 als «bescheiden wohlhabend» sieht.
2050 soll China dann die technologisch führende Nation sein.
Wie nahe ist man diesem Ziel bereits?
In den letzten Jahren
ist sehr viel erreicht worden. Doch China hat noch lange nicht den Wohlstand,
den wir uns im Westen gewohnt sind. Zudem hat das rasche Wachstum schmerzhafte
Begleiterscheinungen, vor allem was die Umwelt betrifft.
China werde in die «Falle der mittleren
Einkommen» (nicht über den Entwicklungsstand von Schwellenländern wie Mexiko
kommen, Anm d. Red.) tappen, prophezeiten Experten immer wieder. Wie beurteilen
Sie das?
Ich halte nichts von
dieser These. Die Chinesen starten in Richtung Weltmacht durch. Das sieht man
etwa an der Entwicklung der Städte. China hat nicht nur Zentren wie Peking oder
Shanghai, sondern die Städte im ganzen Land gefördert und auch die dazu nötige
Infrastruktur geschaffen. Das ist eine gewaltige Leistung, deren Bedeutung man nun
allmählich erkennt. Dank dieser breitflächigen modernen Infrastruktur sind
führende Technologie-Unternehmen wie Alibaba heute schon profitabel, im
Gegensatz etwa zu Amazon. China ist nicht einfach ein aufstrebendes Land. China
ist ein Sonderfall, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.
Hat China heute schon
eine bessere Infrastruktur als wir im Westen?
Na ja, mit den
Verkehrsverbunden in Schweizer Städten wie Zürich und Basel können sie noch
nicht mithalten. Aber wenn ich heute in China ein bestimmtes Unternehmen in
einer bestimmten Stadt besuchen will, dann setze ich mich in einen Hochgeschwindigkeitszug,
der mich innert Stunden ans gewünschte Ziel bringt. Oder kürzlich bin ich mit
dem Töff von Norden nach Süden gefahren, ein grosses Stück befand sich auf
der tibetanischen Hochebene. Alle Strassen waren geteert, und überall hatte ich
Empfang mit meinem Smartphone. Versuchen Sie das Mal in einem abgelegenen
US-Bundesstaat wie Vermont.
Der Boom sei nur dank einer massiven
Verschuldung möglich geworden, heisst es nun. Ein Crash sei daher bloss noch
eine Frage der Zeit. Stimmt das?
Dank billigen
Arbeitskräften ist China in einer ersten Phase zum Exportweltmeister geworden
und hat dabei grosse Reserven aufgetürmt. Doch China hat beschlossen, nicht für
alle Zeiten die Werkhalle der Welt zu bleiben und hat begonnen, den
einheimischen Konsum zu fördern. Nach der Finanzkrise hat China massiv in die
Infrastruktur investiert, im Gegensatz zum Westen, der im Wesentlichen nur Geld
gedruckt hat. China hat die USA wegen ihrer lockeren Geldpolitik auch immer
wieder getadelt.
Nun hat in der Ära Trump ein Handelskrieg
zwischen China und den USA begonnen.
China reagiert auf die
Art und Weise, wie die USA nach der Finanzkrise die Welt mit einem billigen
Dollar korrumpiert hat. «Jetzt setzen wir unsere Muskeln auch ein», sagten sich
die Chinesen und haben ebenfalls begonnen, Schulden zu machen.
Wie sieht das heute aus?
China und die USA
haben beide – alle Schulden addiert – einen Verschuldungsgrad von rund 280
Prozent des Bruttoinlandprodukts. Aber die Schulden sind ganz anders
strukturiert. Weil der Dollar nach wie vor die globale Leitwährung ist, kann
sich Amerika gegenüber der Welt verschulden. Die Chinesen hingegen schulden der
Welt gar nichts, im Gegenteil, China ist nach wie vor eine grosse
Gläubigernation. Der Staat verschuldet sich nach innen, und das Geld wird nicht
für Konsumausgaben verschwendet, sondern in der Regel vernünftig investiert.
Letztlich sind aber Schulden gleich Schulden.
Ist das nicht auch für China alarmierend?
Die Verschuldung des
Westens ist alarmierend, die chinesische nicht. China verfügt nach wie vor über gewaltige
Reserven. Daher ist es für mich absurd, wenn der Westen die Schuldenfrage
gegenüber China stellt.
China will die führende Technologie-Nation
werden. Ist das mit einer mehrheitlich staatlich gelenkten Wirtschaft möglich?
Vor 20 Jahren hätte
man das sagen können, heute ist es lächerlich.
Weshalb?
Weil es schon lange
passiert. In Sachen Online-Payment lernt heute der Westen von China. Und wer
sich im Silicon Valley und in Israel auskennt, der sagt: Was heute im Cluster
um Shanghai abgeht, ist ebenbürtig. Es
gibt ja nicht nur die Staatsbetriebe, sondern Tausende von innovativen
Privatunternehmen. Deng Xiaoping hat einst
gepredigt, man solle die Unternehmen an einer langen Leine führen. Das gilt
heute noch. Man will den Unternehmern die Freiheit lassen.
Widerspricht dies nicht der nach wie vor
gültigen kommunistischen Überzeugung?
In China sind Geld und
Macht zwei verschiedene Dinge. Das ist im Westen ganz anders. Bei uns ist Geld
im Begriff, allmächtig zu werden. China hat eine ganz andere Tradition, und das
moderne China will diese Tradition wieder beleben.
Der chinesische Kaiser war doch ebenfalls sehr
mächtig.
Ja, aber war nicht
geldgierig. Die Kaufleute hatten im alten China möglicherweise viel Geld, aber
wenig Ansehen. Die Leute am Hof haben auf sie herabgeschaut, selbst wenn sie
sehr reich waren. Auch heute können Unternehmer Milliardäre werden, in der
Partei haben sie deswegen trotzdem nichts zu sagen.
Präsident Xi Jinping werde immer
diktatorischer, kann man derzeit überall lesen.
Natürlich zementiert
Xi seine Macht. Aber er will auch eine Gesellschaft, die weniger chaotisch ist, als es derzeit die westlichen sind. Er will ein Internet, das stiller und
weniger von Fakenews durchsetzt ist.
Mit anderen Worten: Er will ein gütiger Kaiser
werden.
Ja, die westliche
Demokratie ist kein Vorbild für China. Auch die Zeit von Konzessionen gegenüber
Hongkong ist vorbei. Hongkong dient heute nur noch dazu, den Taiwanesen zu
zeigen, dass man auch mit ihnen tolerant umgehen wird, wenn sie dereinst wieder
Teil des Reiches sein werden.
Geopolitisch wird das Verhältnis von China zu
den USA gerne verglichen mit Deutschland zu Grossbritannien vor dem Ersten Weltkrieg.
Zu Recht?
Wenn schon, dann sind
die USA der Aggressor. Historisch gesehen hat China eine sehr glaubwürdige Art der Machtentfaltung demonstriert. China war nie eine Kolonialmacht. Es hat
den Handel gefördert, wie es dies jetzt wieder mit dem «One-Belt-One-Road»-Projekt
tut. Die Chinesen haben niemals Länder über längere Zeit mit der Armee besetzt,
nicht weil sie nette Kerle sind, sondern weil sie erkannt haben, dass sich das
nicht lohnt. Sie erhoffen sich Einfluss über den Handel und das Geschäft. Darum
bauen sie in Marokko Städte und kaufen in Schweden und der Schweiz Unternehmen
wie Volvo und Syngenta.
Aber auch China verteidigt seine Interessen zunehmend
militanter.
Man kann mit den
Chinesen über alles reden, aber nicht über das Südchinesische Meer oder über
Taiwan. Wenn ihnen da jemand dreinreden will, dann gibt es Krieg.
Die chinesischen Aktien haben dieses Jahr rund
50 Prozent zugelegt. Wie kann man als Schweizer Anleger davon profitieren?
Indem man in meinen
Fonds investiert. Ernsthaft: Dieses Jahr sieht es gut aus. Man muss sich aber
auch vor Augen führen, dass man zwischen 2006 und 2016 mit chinesischen Aktien
gar nichts verdient hat.
Warum eigentlich? In diesen Jahren hat die
Wirtschaft gewaltig expandiert.
Der chinesische
Anleger entsteht erst allmählich. Aktien waren für ihn ein Vergnügen, wie der
Besuch im Casino. Zudem haben wir im Westen keine hohe Meinung von den
Vertretern der chinesischen Aktiengesellschaften. Sie sind nicht besonders
freundlich zu uns, betreiben kein Marketing und ihre Tischmanieren lassen ebenfalls
zu wünschen übrig. Wir betrachten den chinesischen Aktienmarkt immer noch mit
westlichen Augen. Aber das beginnt sich zu ändern. China hat nun ebenfalls
Versicherungen und Pensionskassen, die viel Geld anlegen müssen. Das wird auch
den Aktienmarkt professionalisieren.
Derzeit gibt es sehr widersprüchliche Signale
aus China. Was ist für Sie die wichtigste Botschaft?
China führt der Welt
vor Augen, dass der Kolonialismus endgültig vorbei ist. Der Kolonialismus war
eine höchst zynische Angelegenheit: Da kommt einer im Namen der Freiheit,
beutet die Menschen aus, drückt ihnen seine Religion aufs Auge und will, dass
diese Menschen das als eine anzustrebende Ordnung betrachten. Damit ist
Schluss. In 30 Jahren wird in Hongkong keiner mehr nach einem wie mir schreien.