Das schönste Marketing-Geschenk, dass sich der Schweizer Tourismus wünscht, bleibt auch dieses Jahr aus: weisse Weihnachten im Flachland.
MARTIN NYDEGGER: Immerhin hatten wir vor einigen Wochen Schnee im Flachland, und das weckte die Lust auf die Berge. Man sah das sofort in den Buchungen und auch bei den Umsätzen in den Sportgeschäften.
Der Buchungsstand für die Feiertage liegt in den Bergen momentan aber nur 1 Prozent über dem Vorjahr.
Ja, aber das Vorjahr war sehr gut. Seit Corona boomte das Geschäft in den Bergen. Verglichen mit dem letzten Vor-Corona-Jahr, dem «normalen» 2019, läuft es aktuell sehr gut. 2023 wird zu einem absoluten Rekordjahr werden.
Die Zahl der Übernachtungen ist höher denn je?
Das kann man bereits so sagen, auch wenn die finalen Zahlen erst im Februar vorliegen. Erstmals in der Geschichte des Schweizer Tourismus können wir in einem Jahr über 40 Millionen Hotellogiernächte zählen!
Ist dieser Rekord vor allem den inländischen Gästen zu verdanken?
Die Schweizer Gäste sind nach wie vor sehr wichtig. Wahrscheinlich erreichen wir jetzt bei den Logiernächten aber einen Plafond. Im Zuge von Corona haben die Schweizerinnen und Schweizer ihr Land neu entdeckt, jetzt wird auch das Fernweh wieder etwas zunehmen.
Wie feiern Sie das Rekordergebnis, lassen Sie die Korken knallen?
Es ist das Resultat eines guten Zusammenspiels aller Akteure der Tourismusbranche. Wir dürfen stolz sein, denn noch vor zwei Jahren hatte uns das Virus fest im Griff und niemand hätte es für möglich gehalten, dass schon 2023 einen Rekord bringen würde. Er hängt sicherlich damit zusammen, wie wir gemeinsam die Coronaphase bewältigt haben. Die Resilienz ist eine Stärke der Branche. Auch im Marketing hielten wir durch: Wir haben nie Büros geschlossen, die Kampagnen nie auf null gefahren.
Ihre Organisation investiert vor allem im Ausland ins Marketing. Ist das noch richtig, wenn man bedenkt, wie wichtig der Binnentourismus ist?
Im Inland betreiben sehr viele Akteure Marketing. Unser Auftrag vom Bund ist es daher, vor allem die Attraktivität der Schweiz im Ausland bekannt zu machen. Unser Land ist dann erfolgreich, wenn der Mix stimmt. Der Inlandtourismus ist und war immer zentral. Aber wir brauchen auch ausländische Gäste. Ideal ist folgender Mix: 45 Prozent der Gäste kommen aus dem Inland, 35 Prozent aus dem übrigen Europa und 20 Prozent aus Fernmärkten wie Asien und den USA.
Sie vermarkten die Schweiz als nachhaltiges Land. Passt es da noch, wenn Sie anstreben, jeden fünften Gast aus China, Indien oder den USA einzufliegen?
Wir gelangen bei den Fernmärkten nun wahrscheinlich an eine natürliche Grenze. Viel mehr als 20 Prozent werden es kaum. Doch ohne die Fernmärkte könnten wir die Hotels nicht auslasten. Diese Gäste sind sehr wichtig: Sie buchen lange im Voraus, kommen bei jedem Wetter und in jeder Saison. Wir versuchen erfolgreich, die Aufenthaltsdauer dieser Gästegruppen mehr und mehr zu steigern, damit es auch ökologisch stimmt.
Aber gerade die Chinesen sind bekannt dafür, dass sie bloss kurz bleiben und dann nach Paris oder Italien weiterziehen.
Das ändert sich. Immer mehr kleinere Gruppen aus China bleiben durchaus länger. Es geht aber nicht einfach um die Chinesen. Immer wichtiger werden Südostasien, Südkorea und vor allem die USA. Bei den Amerikanern sehen wir ein massives Wachstum. Sie sind hinter den Deutschen unsere zweitgrösste Gästegruppe – und der Abstand wird immer kleiner.
Liegt es am amerikanischen Komiker Trevor Noah, der zusammen mit Roger Federer in den USA für die Schweiz wirbt?
Wir hatten auch die Schauspieler Robert de Niro und Anne Hathaway ... Diese Kampagnen haben sicher einen Einfluss. Aber natürlich hilft es uns, dass die USA wirtschaftlich sehr gut unterwegs sind. Die Amerikaner sind kaufkräftig, sie leben in einem teuren Land, sodass für sie die Schweizer Preise nicht zu hoch sind.
In Boston kostet ein Schoggi-Gipfeli in einem Café mittlerweile 7 Dollar.
Die Teuerung in den USA war in den letzten Jahren hoch im Vergleich zur Inflation in der Schweiz. Darum nehmen die Amerikaner den teuren Flug zu uns in Kauf, denn hier verbringen sie tolle Ferien zu für sie eher moderaten Preisen. Und hier stimmt auch die Qualität, was man von Amerika nicht immer behaupten kann.
In Europa hat die Schweiz immer noch den Ruf, horrend teuer zu sein. Hilft die vergleichsweise tiefe Inflation, dieses Bild zu ändern? Oder macht der starke Franken alles wieder kaputt?
Der Teuerungsunterschied spielt uns in die Hände. England hatte 11 Prozent Inflation, wir 2 Prozent. Die Währung ist inzwischen kein grosses Thema mehr, weil es in den vergangenen Jahren beim Franken keine schockartigen Veränderungen gab. Ein grosses Problem ist hingegen, dass viele unserer Gäste – insbesondere aus Deutschland – die Teuerung im eigenen Land spüren und somit weniger Kaufkraft haben. Schnell sparen sie dann bei den Ferien.
Die Schweiz bleibt teuer – dann muss wenigstens die Qualität stimmen. In vielen Hotels gibt es Investitionsbedarf, und nicht einmal das WLAN funktioniert überall.
Solche Fälle gibt es punktuell, ich will das nicht schönreden, aber insgesamt stimmt das nicht. Die Hotellerie hat viel investiert und modernisiert. Gleiches gilt für die Bergbahnen. Da läuft unglaublich viel. Was allein 2023 an neuen Hotels eröffnet wurde – gewaltig. Diese Woche öffnete in Zürich das «Mandarin Oriental», auf dem Stoos gibt's das neue Design und Lifestyle Hotel Stoos Lodge: Wir sehen in allen Kategorien und im ganzen Land Erneuerungen, Innovationen, Ausbauten. Mich beeindrucken die Investoren, denn die Margen sind in der Branche nicht sehr hoch.
Oft kommen die Investoren aus dem Ausland. Nicht nur bei Hotels: In Crans-Montana wurde das ganze Skigebiet von Amerikanern übernommen.
Die Schweiz ist unglaublich attraktiv, und sie bietet Investoren politische Sicherheit. Bei uns gilt der Eigentumsschutz noch etwas.
Stört Sie dieser Ausverkauf der Tourismus-Perlen?
Natürlich würde man sich wünschen, dass die ganze Schweiz in Schweizer Hand wäre. Aber das wäre genauso naiv wie zu wünschen, dass Novartis nur Schweizer Aktionäre hätte. Als kleines Land können wir nicht ohne fremdes Geld vorwärtskommen, wir waren immer schon international vernetzt, und das macht einen Teil unseres Wohlstands aus.
Es gibt Ausnahmen: Zermatt ist fast gänzlich in den Händen der Einheimischen, auch die Hotels.
Ritz-Carlton hat Pläne in Zermatt, aber da geht es nur um den Betrieb, das Gebäude selbst würde Schweizern gehören. Insgesamt ist die Tourismusbranche mehrheitlich von einheimischen Investoren dominiert. Die ausländischen machen Schlagzeilen, weil sie auffallen.
Das Image der Schweiz hat dieses Jahr durch den CS-Zusammenbruch und auch durch die Diskussionen um russischen Gelder Schaden genommen. Droht der Schweiz ein schleichender Abstieg?
Das Image der Schweiz hat null und nichts gelitten; aus touristischer Sicht bleibt es hervorragend. Die Weltbevölkerung bildet sich ihre Meinung über die Schweiz nicht anhand einzelner Meldungen wie jener über die CS. Da wird sehr wohl differenziert. Und es wird auch unterschieden zwischen dem Land und einzelnen politischen oder unternehmerischen Ereignissen. Die Reisedestination Schweiz wird ungebrochen als sicher und verlässlich wahrgenommen.
Im Marketing stellen Sie die Schweiz seit jeher so dar: schön, sicher, verlässlich ... Wird das manchmal nicht etwas langweilig?
Wir verkünden ja nicht, was unsere Meinung ist, sondern das, worauf der Gast anspricht. Unsere Organisation existiert seit 107 Jahren. Wir fühlen unseren Gästen Jahr für Jahr den Puls. Das sind grosse Umfragen mit Zehntausenden von Leuten: Was gefällt euch, was nicht? Und wir fragen: Was ist euer Reisemotiv? Raten Sie, was dann kommt ... Es ist wirklich etwas langweilig!
Die Berge?
Landschaft, Natur, Berge. Neuerdings wird auch noch das Wasser genannt. Aber eigentlich ist es immer dasselbe. Das sagen übrigens nicht nur die Touristen in den Bergen, sondern auch jene, die nach Genf oder Zürich reisen. Darum ist es richtig, dass wir beim Marketing dieses Motiv herausstreichen.
Sie könnten seit 100 Jahren dieselben Plakate aufhängen.
(Lacht.) In einem gewissen Sinn schon. Trotzdem ändern sich natürlich die Bedürfnisse. Nachhaltigkeit ist für unsere Gäste sehr wichtig geworden, darum haben wir das Label «Swisstainable» lanciert. Aber letztlich stimmt es: Unsere Berge altern nicht, sie haben einen ewigen Wert. Das Matterhorn gilt ja als der meistfotografierte Berg der Welt, im Smartphone-Zeitalter mehr denn je. (aargauerzeitung.ch)