Dieses Urteil ging um die Welt. Ein Gericht in Frankreich verdonnerte die UBS am Mittwoch zu einer Rekordbusse von umgerechnet 5 Milliarden Franken, weil es zum Schluss kam, die Grossbank habe französische Kunden zur Steuerhinterziehung angestiftet. Darauf musste die UBS scharfe Kritik einstecken: Statt einen Prozess zu riskieren, hätte sie besser mit den französischen Behörden einen Vergleich ausgehandelt.
Im Gespräch mit der CH-Media-Redaktion erklärt nun UBS-Konzernchef Sergio Ermotti, warum er einen solchen Deal nicht wollte. Ein Vergleich wäre, anders als teilweise kolportiert, sehr teuer geworden.
Und vor allem: «Es wäre ein katastrophales Signal gewesen, Milliarden zu zahlen, wenn es keinen Beweis für Fehler gibt. Dafür wären wir noch viel stärker kritisiert worden.» Die UBS hat Berufung gegen das Urteil eingelegt und glaubt nach wie vor an einen Freispruch.
Ermotti sagt weiter, Vergleichszahlungen an Frankreich hätten Tür und Tor dafür geöffnet, dass die Staatsanwaltschaft darauf weitere Schweizer Banken ins Visier genommen hätte: «Hätten wir einen Vergleich geschlossen, dann wäre das ein folgenreicher Präzedenzfall für uns und für die Schweiz gewesen.» Nach demselben Muster hätte die Justiz dann versucht, auch von anderen Banken Vergleichszahlungen zu bekommen. Ganz nach dem Vorbild der USA.
In Frankreichs Medien bekam die aggressive Finanzstaatsanwaltschaft viel Lob für ihren «Erfolg»: Noch nie hat die französische Justiz eine derartige Busse (3,7 Milliarden Euro plus 800 Millionen Schadenersatz) ausgesprochen. Nicht nur die linksliberalen Medien wie «Le Monde», auch der konservative «Figaro» zeigte sich beeindruckt.
Schweizer Juristen beurteilen den Schuldspruch unterschiedlich: Wirtschaftsrechtsprofessor Peter V. Kunz von der Universität Bern hält ihn für nicht nachvollziehbar, Rechtsprofessorin Monika Roth von der Hochschule Luzern hingegen betont, in der Anklage gehe es um sehr gravierende Delikte wie qualifizierte Geldwäscherei und Steuerbetrug. Doch auch sie kann die Argumentation für die exorbitante Busse nicht nachvollziehen, wie sie der SDA sagte.
Ex-UBS-Chef Oswald Grübel spricht gegenüber der CH-Media-Redaktion aus, was in der Grossbank viele denken: «Dieses Urteil ist politisch motiviert.» In Zeiten von Gelbwesten-Aufständen gegen Emmanuel Macron, den «Präsidenten der Reichen», musste offensichtlich ein Signal her gegen Steuerflucht. Konkrete Beweise für Steuerdelikte konnte die Staatsanwaltschaft nicht vorlegen, und es wurden im Prozess auch keine Zeugen aufgerufen.
Nun ist die Logik in einem Rechtsstaat eigentlich klar: Es ist die Staatsanwaltschaft, welche die Schuld beweisen muss – und nicht die beklagte Partei, die ihre Unschuld belegen muss. Weil sich die UBS sicher war, dass keine Beweise dafür vorliegen, dass ihre Banker französische Kunden zu Steuerhinterziehung angestiftet haben, ging sie auf tutti: Sie zog vor Gericht, statt einen Vergleich einzugehen, und rechnete fest mit einem Freispruch.
Der Poker ging nicht auf. Ein UBS-Insider sagt: «Man dachte primär juristisch und nicht politisch. Man verliess sich auf die Einschätzung von Chefjurist Markus Diethelm.» Zwar seien beide Strategien erwogen worden: Die «Kampf-Strategie», für die man sich letztlich entschieden hat. Und die «Einknick-Strategie», die zu einem Vergleich geführt hätte.
War es eine Fehleinschätzung, auf einen Vergleich zu verzichten und stattdessen in einen Prozess zu steigen? CEO Sergio Ermotti sagt, er würde es im Nachhinein wieder gleich machen: «Anfänglich standen wir ja, wie schon mehrfach erwähnt, in Vergleichsverhandlungen, da betrug die Bandbreite 40 bis 100 Millionen Euro. Doch dann traten die französischen Behörden auf einmal davon zurück und es war von viel, viel höheren Beträgen die Rede.»
In jener Zeit veränderte sich das politische Umfeld: So wurde eine viel beachtete Untersuchung gegen IWF-Chefin Christine Lagarde angeordnet, und 2014 musste die französische Bank BNP Paribas in den USA eine Rekordbusse von 9 Milliarden Dollar wegen Umgehung von US-Sanktionen gegen Sudan bezahlen. In der Folge verschärfte die französische Justiz die Gangart.
Wie teuer aber wäre ein Vergleich für die UBS gewesen? Informationen, dass eine Einigung für 1 Milliarde Euro zu haben gewesen wäre, werden von einer mit dem Prozess vertrauten Person dementiert: «Viel, viel teurer» als 1 Milliarde wäre es am Ende gekommen. Für die Bank kam zu diesem Preis ein Vergleich nicht infrage, aus grundsätzlichen Überlegungen: Warum vergleichen, wenn man sicher ist, nichts Illegales gemacht zu haben und wenn keine Beweise vorliegen?
Doch nun, nach dem Fiasko in erster Gerichtsinstanz, steht noch eine andere Frage im Raum: Könnte das spektakuläre französische Urteil weitere Länder auf die Idee bringen, auf die UBS oder andere Banken loszugehen? Mit Deutschland hat die UBS einen Vergleich geschlossen, aber was ist mit Italien, Spanien oder Griechenland? Zumindest im Fall von Italien sei die Gefahr klein, heisst es aus Bankenkreisen – weil die dortigen Justiz-Verantwortlichen selber Schwarzgeld-Konten besässen.
Dass die UBS vom Urteil derart überrascht wurde, zeigt, dass sie zumindest die politische Ausgangslage falsch eingeschätzt hat. Sergio Ermotti betont, diese Risiken seien der Bank bewusst gewesen. So habe der damalige französische Finanzminister Michel Sapin gesagt, er «erwarte», dass die UBS bestraft werde. Der UBS-Chef taxiert eine solche Forderung eines Regierungsmitglieds gegenüber der Justiz als «nicht vereinbar mit dem Rechtsstaat».
Trotzdem glaubt Ermotti, dass der Rechtsstaat in Frankreich funktioniere – bei der UBS ist man zuversichtlich, dass das Appellationsgericht das erstinstanzliche Urteil korrigieren wird. Hinter vorgehaltener Hand heisst es: Ziel müsse sein, von 4,5 Milliarden Euro auf Null Euro runterzukommen. Wieder eine Fehleinschätzung? Man wird sehen.