Ende der Dreissigerjahre gab es weltweit noch eine Handvoll demokratischer Staaten. Die Demokratie galt als überholt, Diktatoren wie Mussolini und Hitler machten sich darüber lustig. Die Angelsachen hingegen liessen sich nicht von den Sirenenklängen des Totalitarismus beirren. Die USA und Grossbritannien waren die Felsen in einem tosenden Meer des Totalitarismus.
Heute können wir gerade das Gegenteil beobachten. Emmanuel Macrons Sieg bei den französischen Präsidentschaftswahlen war ein Triumph über den platten Populismus des faschistoiden Front National. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ist seit ihrem Einsatz für die syrischen Flüchtlinge zur Bannerträgerin von Vernunft und Humanismus geworden, die auch die hellbraune AfD wieder in die Schranken gewiesen hat. Und als Merkel zu Besuch in Washington weilte, titelte die Zeitung «Politico»: «The Leader of the Free World Meets Donald Trump.»
Auf der britischen Insel ist der Brexit im Begriff, die Stimmung im Vereinigten Königreich völlig zu verändern. «Die Dinge werden sehr schnell sehr hässlich», stellte kürzlich der Politologe Will Hutton im «Guardian» fest. «Es scheint so, dass wir nicht nur Europa verlassen, sondern auch eine Vorstellung von Grossbritannien.»
Tatsächlich kann man die Art und Weise, wie auf der Insel über den Brexit gestritten wird, nicht mehr gentlemanlike nennen. «Zermalmt die Saboteure» jubelte beispielsweise das Boulevardblatt «Daily Mail», als Premierministerin Theresa May Neuwahlen verkündete.
Diese Sprache erinnert an die Zeiten des Jingoismus. So wurde der extreme britische Nationalismus vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnet. Auch damals wurde auf der Insel alles, was auch nur irgendwie nach Kontinent roch, aufs Übelste verunglimpft. Heute wird alles verdammt, was aus Brüssel kommt. «Die Werte der Aufklärung – Toleranz, Respekt für die Bedeutung einer fairen Debatte, demokratische Kontrolle der Regierung, Objektivität und Unvoreingenommenheit, das Anerkennen von internationalen Abhängigkeiten – all dies wird verunglimpft», klagt Hutton.
Auf der anderen Seite des Atlantiks sieht es nicht besser aus. Donald Trump benimmt sich nicht wie ein demokratisch gewählter Präsident, sondern wie ein missratener Autokrat. Die Historikerin Anne Applebaum sieht in den USA bereits bedrohliche Parallelen zum Faschismus.
Das mag übertrieben sein. Doch in Nordamerika zeichnet sich ab, was die drei Politologen Robert Mickey, Steven Levitsky und Lucan Ahmad Way im Magazin «Foreign Affairs» als ein System bezeichnen, in dem «es zwar noch demokratische Institutionen gibt, die jedoch von der Regierung zulasten ihrer Gegner missbraucht werden».
Die Regierung Trump ist dabei, den Rechtsstaat in kleinen Schritten zu untergraben. Ob Verwaltung oder Justiz, überall wird Loyalität über Kompetenz gesetzt. FBI-Direktor James Comey wurde gefeuert, weil er Trump nicht versprechen wollte, ihn in der Russland-Frage von jeglicher Schuld freizusprechen.
Der amerikanische Rechtsstaat wird langsam ausgehöhlt, die politische Landschaft extrem polarisiert. Demokraten und Republikaner sind nicht mehr respektierte Gegner, sondern Feinde, die es zu vernichten gilt. Deshalb funktioniert das System der gegenseitigen Kontrolle, der «checks and balances», immer schlechter.
Anders als noch zu Zeiten von Richard Nixon wehren sich die Republikaner mit Händen und Füssen gegen eine unabhängige Untersuchungskommission in der Russland-Frage, weil sie auf keinen Fall ihren Präsidenten gefährden wollen.
Auch die Medien neutralisieren sich gegenseitig. Die so genannten Mainstream-Medien wie «New York Times», «CNN» oder «Washington Post» schiessen zwar aus allen Rohren gegen den Präsidenten. Doch die Trump-Fans wenden sich an Fox News und Breitbart und bekommen dort genau die gegenteiligen Informationen.
Die Gefahr, dass die USA in Babyschritten in einen «freundlichen Faschismus» marschieren, ist durchaus real. Gestoppt werden kann diese Entwicklung, wenn die Popularität des Präsidenten so tief sinkt, dass er zur Gefahr für die eigene Partei wird. «Republikaner, die ob dem Verhalten des Präsidenten beunruhigt sind, aber sich auch Sorgen um ihre Wiederwahl machen, können dem Präsidenten leichter entgegentreten, wenn seine Unterstützung bei den Wählern schwindet», stellen die drei Politologen fest.
Die Zustimmung zu Trumps Politik ist mittlerweile auf 36 Prozent gesunken – ein katastrophaler Wert. Es gibt also noch Hoffnung.