Der Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 nach Christus begrub die Orte Herculaneum und Pompeji unter heisser Asche; Tausende Menschen kamen damals um. Nun haben Forscher bei einem Opfer in Herculaneum eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht: Erstmals konnten sie nachweisen, dass sich menschliches Hirngewebe in Glas verwandeln kann. Ihren Befund publizierten sie in der Zeitschrift «Scientific Reports».
Das Material wurde im Schädel eines jungen Mannes gefunden, der zum Zeitpunkt seines Todes etwa 20 Jahre alt war. Vermutlich war er ein Wächter des Collegium Augustalium in Herculaneum. Dieses Gebäude, das der Verehrung des Kaisers Augustus gewidmet war, befand sich an der Hauptstrasse der Stadt. Der Mann wurde bereits in den 1960er Jahren auf seinem Bett liegend gefunden, begraben unter vulkanischem Material. Der Leichnam blieb jedoch bis vor einigen Jahren unberührt. Damals, vor fünf Jahren, hatten Wissenschaftler bereits vermutet, dass es sich bei dem schwarzen Material im Kopf des Mannes um Glas handeln könnte.
Das Besondere an diesem Fund ist, dass organisches Material normalerweise nicht als Glas erhalten bleibt. Glas entsteht, wenn eine Flüssigkeit sehr schnell abkühlt und die Kristallisation verhindert wird. Organisches Gewebe, das grösstenteils aus Wasser besteht, kann eigentlich nur bei extrem niedrigen Temperaturen verglast werden, wie bei der Kryokonservierung (Konservierung bei Temperaturen weit unter Null).
Um zu verstehen, wie dies geschehen konnte, führten die Forscher umfangreiche Tests durch. Das gläserne Gehirnmaterial zeigte einen perfekten Erhaltungszustand, bei dem sogar mikroskopisch kleine neuronale Strukturen sichtbar waren. Die Forscher fanden heraus, dass die Verglasung bei Temperaturen von mehr als 510 Grad Celsius stattfand, einer Temperatur, die viel höher ist als die 315 bis 465 Grad der pyroklastischen Ströme, die später die Leichen verschütteten.
Diese Entdeckung legt ein verändertes Szenario für den Ausbruch des Vesuvs nahe. Es scheint, dass eine erste, sehr heisse Aschewolke mit Temperaturen von über 510 Grad Celsius die Opfer einhüllte. Diese kurzlebige, extrem heisse Wolke beschädigte die Gebäude kaum, tötete aber die Menschen auf der Stelle. Danach verflüchtigte sich die Wolke schnell – wahrscheinlich innerhalb von Minuten. Dies bewirkte einen plötzlichen Temperaturabfall. Diese schnelle Abkühlung führte zur Verglasung des Hirngewebes.
Erst dann folgten die bekannteren pyroklastischen Ströme, die die Städte unter sich begruben. Diese Ströme waren «kühler» als die erste Aschewolke, aber immer noch heiss genug, um tödlich zu sein. Die Temperatur dieser späteren Ströme war jedoch niedriger als der Punkt, an dem das Glashirn wieder in einen weichen Zustand übergeht.
Unter den etwa 2000 Opfern, die im Gebiet um den Vesuv ausgegraben wurden, ist dies der einzige Fall, bei dem jemals ein verglastes Gehirn gefunden wurde. Die Forscher vermuten, dass der dicke Schädel das Hirngewebe während der anfänglichen, extrem heissen Phase in gewisser Weise vor der vollständigen Verdampfung geschützt hat, sodass Teile davon die Hitze bis zur schnellen Abkühlung überstehen konnten.
Die meisten Weichteile anderer Opfer sind während der Eruption vollständig verdampft. Bei diesem Opfer schuf die spezifische Kombination aus starker Hitze und sehr schneller Abkühlung die perfekten Bedingungen für diese einzigartige Form der Konservierung. (dhr)