Im Dezember des Jahres 1506 reitet ein unheimlicher Tross durch die angedämmerten Felder des kastilischen Hochlandes. Man hört die Hufen der Pferde auf dem gefrorenen Boden aufschlagen. Der Schein der Fackeln wirft ein fahles Licht auf die Gesichter der apokalyptischen Reiter, die ihre Totengebete in die Dunkelheit murmeln.
Nur ein Gesicht will sich der Welt gar nicht zeigen, traurig verbirgt es sich unter einem schwarzen Schleier. Es ist das Gesicht der spanischen Königin Johanna. Es ist jung, 27 Jahre erst, und doch schon mit Furchen durchzogen, in denen ein stechender Schmerz haust. Johanna führt den Sarg ihres verstorbenen Gatten mit sich. Die Leiche Philipps des Schönen. Den Rest des flämischen Mannes, den sie so sehr geliebt hat.
Johanna liess ihn ausgraben, denn ihr war eingefallen, dass er doch in Granada beigesetzt zu werden wünschte und nicht in Burgos, der Stadt, in der er nach nur 18 Tagen auf dem spanischen Thron dem Fieber erlag. Während ihrer makabren Reise durch die iberische Meseta bringt sie ihr sechstes Kind zur Welt, Katharina.
Der Leichenzug macht in Hornillos Halt. Johanna befiehlt, den Sarg über Nacht ins Kloster bringen zu lassen. Doch als sie erfährt, dass es sich um ein Nonnenkloster handelt, lässt sie ihn sofort heraustragen, öffnet ihn unter freiem Himmel, um sicherzustellen, dass der einbalsamierte Körper ihres Gatten auch noch tatsächlich darin liege. Johanna traute den Frauen nicht. Sie befürchtete, die Nonnen könnten die Leiche rauben.
Spätestens jetzt war für ihre Zeitgenossen klar: Die Königin ist verrückt geworden. Und sie sollte als Johanna die Wahnsinnige in die Chroniken eingehen.
Vielleicht war Johanna wahnsinnig. Vielleicht hatte sie aber auch nur wahnsinnig geliebt. Bis über den Tod hinaus. Und genauso wie ihre Liebe den Tod überdauerte, so tat es auch ihre Eifersucht:
Mit 16 Jahren schickten sie ihre Eltern, die Katholischen Könige Isabella und Ferdinand über das stürmische Meer in die Niederlande. Spanien führte Krieg mit Frankreich, man wollte sich des Königreichs Neapel bemächtigen und brauchte einen starken Partner im Norden und Osten: das Haus Habsburg. Dort wartete ihr 18-jähriger Verlobter, der Graf von Flandern, Erzherzog von Österreich, der schöne Sohn Kaiser Maximilians I.
Johanna und Philipp verliebten sich sofort ineinander. Sie konnten nicht einmal den offiziellen Hochzeitstermin abwarten, sie schickten eiligst nach einem Priester, um ihre Ehe noch in der gleichen Nacht vollziehen zu können. Fortan sollte Johanna mit ihrem Gemahl am Hof in Brüssel leben.
Alles musste sie zurücklassen. Für den spanischen Himmel bekam sie den nebligen Norden. Von ihren drei Schwestern Isabella, Maria und Katharina, die nach Portugal, Ungarn und England geschickt wurden, um Könige zu heiraten, sollte sie nur Katharina kurz wiedersehen. Bevor diese mit Heinrich VIII. vor den Traualtar trat – und damit einem ähnlich tragischen Schicksal ausgeliefert war wie Johanna.
In ihrer neuen Heimat sprach man Flämisch, Holländisch, Französisch, alles Sprachen, die Johanna (noch) nicht gelernt hatte. Die Städte Gent, Brügge, Lüttich, Antwerpen und Brüssel blühten und die flämischen Maler waren die Einzigen, die es mit den italienischen Meistern der Renaissance aufnehmen konnten. Alles hier war gepflegt. Aber es fehlte der Duft. Der Duft nach Orangen, nach Zitronen und Oliven. Gekocht wurde mit Butter und Schweineschmalz.
Johanna muss sich fremd gefühlt haben. Wahrscheinlich deshalb hat sie sich mitsamt ihrer jungen, stürmischen Liebe auf ihren Gatten geworfen. Und je mehr sie Philipp an sich binden wollte, umso weniger ertrug er sie.
Er sollte ihr Bett immer wieder verlassen, um bei anderen Hofdamen zu nächtigen. Johanna reagierte darauf mit Wutanfällen: «Jene Feuerschlange der Eifersucht trieb sie dazu, in wüste Beschimpfungen auszubrechen, es heisst, sie habe mit wutentbranntem Herz Feuer gespuckt, mit den Zähnen gefletscht, auf eine der Damen eingeschlagen, von der sie glaubte, sie sei die Geliebte, und befahl schliesslich, das blonde Haar, das Philipp so gefiel, rappelkurz schneiden zu lassen.»
Philipp reagierte seinerseits mit Prügeln. Und liess seine ihm schrecklich gewordene Frau hinter verschlossenen Türen toben.
Johanna entsprach nicht dem Ideal einer Frau ihrer Zeit. Sie ertrug die Seitensprünge Philipps nicht stumm, wie man es von ihr verlangte:
Die beunruhigenden Nachrichten über das seltsame Verhalten der Infantin drangen auch nach Spanien: Sie vernachlässige ihren Körper, sie meide Menschen und zeige einen Mangel an Frömmigkeit. Sie sei niedergeschlagen und weine den ganzen Tag. War das so absonderlich?
Das mittlerweile 17-jährige Mädchen hielt dem Druck nicht stand. Da war das Heimweh, dieser kalte, fremde Hof und die Untreue ihres geliebten Gatten. Johanna wurde depressiv.
Und als hätte Gott ihre zarte Seele zum Ausgleich in einen robusten Körper gesteckt, so brachte sie wenigstens ihre Kinder mit einer beispiellosen Leichtigkeit zur Welt. 1498 gebar sie Eleonore, 1500 Karl, der als Karl V., König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, in die Geschichte eingehen sollte.
Doch noch weiss Johanna nicht, dass sie die Erbin der spanischen Königreiche sein würde, die ihr Vater unablässig vergrösserte. Denn der Tod sollte alle Thronfolger zu sich nehmen: Erst ihren Bruder Johann, der von schwacher Gesundheit war und sich mit seiner Gattin Margarete von Österreich – der Schwester Philipps des Schönen – dermassen sexuell verausgabt hatte, dass er 19-jährig verstarb.
Damit fiel das Erbrecht an Isabella, Johannas ältere Schwester, die inzwischen Königin von Portugal war. Doch auch sie holte der Tod, als sie ihren Sohn Michael zur Welt brachte. Und als läge ein Fluch über der Familie, starb auch der Junge kurz darauf.
Damit war Johanna an der Reihe. Sie und ihr Mann sollten Prinzessin und Prinz von Asturien werden. Die Rückkehr nach Spanien stand bevor. Endlich würde Johanna ihre Heimat wiedersehen.
Doch obwohl sich Johanna in Brüssel fremd gefühlt hatte, so war sie in Spanien auch nicht mehr zuhause. Ihr viertes Kind, der zweite Sohn, dem sie den Namen Ferdinand gab, zeugt zwar von einer abermaligen Annäherung der Eheleute, doch Philipp war bei der Niederkunft bereits wieder in den Niederlanden. Und auch Johanna wollte zurück. Sie vermisste ihren Mann. Und ihr noch nicht einmal vierjähriger Sohn Karl schrieb seiner Mutter einen Brief, sie solle doch schnellstmöglich nach Hause kommen.
Doch Isabella lässt sie nicht gehen. Auch sie musste sich allein gefühlt haben, alle Kinder hatten das Haus verlassen und zwei lagen bereits unter der Erde.
Johanna verfällt wieder in tiefe Depressionen. Sie schläft nicht mehr, isst nicht mehr und verlangt unablässig nach Philipp. Eines Tages versucht sie in ihrer Verzweiflung aus der Burg in Medina del Campo zu flüchten, doch ihr Bewacher schliesst die Gatter. Johanna verbringt zusammen mit dem einbrechenden Winter die Nacht vor der Tür, im Aussenring der Burg.
Nachdem sie ihr Mann bereits eingesperrt hatte, war das die zweite Erfahrung von Gefangenschaft für die 24-jährige Prinzessin. Und sie sollte den ganzen langen Rest ihres Lebens bestimmen. Ganze 46 Jahre.
1504 stirbt Isabella die Katholische und Johanna wird damit Königin von Kastilien. Nur wird sie die spanischen Königreiche niemals regieren. Viele halten sie für wahnsinnig und die Menschen, die sie eigentlich lieben sollten, spannen sie für ihre Zwecke ein. Isabella schreibt in ihrem Testament, dass im Falle von Johannas Regierungsunfähigkeit ihr Mann Ferdinand der Katholische die Führung übernehmen soll, bis ihr Enkel Karl, der rechtmässige Erbe, zwanzig Jahre erreicht habe.
Doch Philipp der Schöne wollte nicht auf den Thron verzichten, den seine Frau mit in die Ehe brachte. Was nun entbrannte, war ein unschönes Kräftemessen zwischen Johannas Vater und ihrem Gatten. Beide wollten die Krone. Und um sie zu bekommen, erklärte der eine Johanna für unzurechnungsfähig und der andere wollte sie einsperren lassen.
Es passierte beides. Das Land rutschte 1506 in einen Bürgerkrieg, aus dem Philipp der Schöne als Sieger hervorging. Doch nur drei Tage lang kostete er die Macht aus, dann holte ihn das Fieber – und schliesslich der Tod.
Johanna hatte tapfer um sein Leben gekämpft. Sie pflegte ihn jeden Tag und vergoss dabei keine einzige Träne:
Zerbrochen ist sie erst danach. Johanna wurde wieder apathisch und vernachlässigte ihre königlichen Verpflichtungen. Ihr Vater Ferdinand weilte in Neapel, ihre Mutter und ihr Gatte waren tot. Sie war allein mit ihrem Kummer und den Regierungsgeschäften. Und obwohl die Gerüchte über ihren Wahnsinn immer lauter wurden, zeigte sie davon keine Spur. Als sie Bischöfe für unbesetzte Diözesen bestimmen sollte, verblüffte sie ihre Berater mit den Worten:
Doch dann tritt Johanna ihre unselige Reise an – mit dem Sarg ihres Gatten. Und als 1507 Ferdinand seine Tochter in die Arme schliesst, wundert sich fast niemand mehr, dass er die Königin einsperren lässt.
In ihrem Gefängnis in Tordesillas sollte Johanna bis zu ihrem Tod bleiben. Die Stadt am Duero ist hübsch gelegen, sie thront auf Felsen und ist umgeben von einer Stadtmauer. Neben dem Palast steht das Kloster Santa Clara, wo Ferdinand den Sarg Philipps des Schönen hinbringen liess. Vom Fenster ihres Gemaches konnte Johanna zu ihm hinübersehen.
Das Hinterzimmer ihrer zweijährigen Tochter Katharina hatte keine Fenster. Nur von einem Öllämpchen war es beleuchtet. Ihr Gefängniswärter Pfarrer Ferrer nahm seinen Auftrag sehr ernst: Johanna sollte von allem und jedem isoliert werden. Nicht einmal ihre anderen Kinder Eleonore, Karl, Isabella, Ferdinand und Maria durfte sie sehen.
Einer der Diener erbarmte sich wenigstens der kleinen Katharina und liess ein Loch in die Mauer schlagen, damit sie die Leute des Städtchens beobachten konnte:
Einmal besuchte Ferdinand seine Tochter. Dies geschah aber aus reiner Berechnung. Mit einem grossen Gefolge ritt er ins Städtchen ein, als hielte sich Johanna darin freiwillig auf. Und er zeigte seinen Männern die wahnsinnige Tochter in ihrer ganzen Verwahrlosung; abgemagert, in bäuerischer, verlotterter Kleidung, mit Schmutz im Gesicht.
Für sein politisches Geschick, die erfolgreich abgeschlossene Reconquista, die Eroberung Granadas, die Furchtlosigkeit, mit der er dem Erzfeind Frankreich begegnete, verdiente er sich die Bewunderung Machiavellis. Für ihn war er der vollendete «Principe». Ferdinand der Katholische machte Spanien zur Weltmacht.
Dass ihr eigener Vater sie einsperrte, war für Johanna unverständlich. Deshalb erklärte sie Ferdinands zweite Frau, die Französin Germaine de Fox, zur Schuldigen. Sie musste ihn dazu veranlasst haben. In Johannas Vorstellung waren es stets die Frauen. Erst die Hofdamen, die ihren Gatten verführten und die sie dafür hart bestrafte, jetzt ihre Stiefmutter und die Gefängniswärterinnen, die ihr Böses wollten. Sie ertrug die Frauen nicht. Am allerwenigsten die jungen.
1516 starb ihr Vater und der Thron ging an ihren Sohn Karl. Er war erst 16 Jahre alt und sollte darum gemeinsam mit seiner Mutter regieren. Doch auch er entliess sie nicht aus ihrer Gefangenschaft.
Als Karl von den Niederlanden nach Spanien kam, um die Regierungsgeschäfte in Kastilien zu übernehmen, besuchte er als erstes seine Mutter. Nur zwanzig Monate hatte er mit ihr gelebt, seine Geschwister Ferdinand und Katharina, die inzwischen zwölf Jahre alt war, hatte er noch nie gesehen. Karl kam mit seiner Schwester Eleonore. Und als Johanna die beiden in ihre Arme schloss, fragte sie:
Sie waren so gross geworden.
1520 wurde Johanna für 75 Tage befreit. Es brach ein Aufstand aus. Die Comuneros von Kastilien lehnten sich gegen Karls Herrschaft auf. Er war ein Ausländer, in den fernen Niederlanden aufgewachsen, er sprach kein Spanisch und setzte seine Flamen in hohe Ämter ein.
Man wollte ihn weghaben. Und dafür brauchte man Johanna. Sie war die rechtmässige Erbin der spanischen Königreiche. Es blieb nur zu beweisen, dass ihr der Wahnsinn nur böswillig angedichtet wurde und dass sie durchaus fähig war, zu regieren.
Johanna machte den Comuneros Hoffnung:
Das waren nicht die Worte einer wahnsinnigen Frau. Johanna war sich ihres Zustandes sehr wohl bewusst. Die Trauer über den Tod ihres Mannes mochte sie lähmen, aber er machte sie nicht unfähig. Als es allerdings darum ging, Papiere zu unterzeichnen, schreckte Johanna zurück.
Die Comuneros bedrängten sie hartnäckig, denn ohne ihre offizielle Unterstützung fehlte ihnen die Legitimität. Johanna blieb standhaft. Sie wollte keinen bewaffneten Kampf gegen ihren Sohn führen. Damit rettete sie Karls Leben – und begab sich wieder in ihr Gefängnis. Für weitere 35 Jahre.
46 Jahre wird Johanna eingesperrt sein. In Gefangenschaft zählen aber nicht die Jahre. Es sind die Stunden, die so zäh sind und nicht zerrinnen wollen. Johanna verbrachte rund 400'000 davon in ihrem Gefängnis. Und ab 1525 wurde es unerträglich. Denn ihre Tochter Katharina, die einzige Freude, die ihr noch geblieben war, reiste nach Portugal ab, um die Frau von Johann III. zu werden. Ihre Mutter verbrachte die ganze Nacht am Fenster, von dem aus sie ihre Abreise beobachtet hatte.
Währenddessen erobert Cortés Mexiko, Magellan umsegelt den Erdball, Pizarro nimmt sich das Inkareich. Karl, mittlerweile Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, kämpft in Tunis, vertreibt die Türken 1532 aus Wien und schlägt 1547 die Protestanten bei Mühlberg.
Johanna wird auch geschlagen. Wenn sie aufbegehrt, sperren die Wächter sie in das Zimmer ohne Licht. Und ihre Antwort auf die Gewalt ist immer wieder dieselbe. Ein Hungerstreik.
Wie konnte Karl das zulassen? Der Kaiser war ein gerechter Herrscher, selbst mit seinen Feinden verfuhr er fair. Er sah sich als toleranten, christlichen Prinzen, er war Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies. Besucht hat er seine Mutter viele Male, in seinen Memoiren berichtet er liebevoll von ihr. Vielleicht wollte er einfach nicht riskieren, dass Johanna noch einmal für eine Intrige missbraucht wurde.
Karl schickt den Jesuitenpater Francisco de Borja zu ihr. Denn die Diener seiner Mutter berichten ihm von Johannas Wahnsinn, der nun immer beängstigendere Dimensionen annehme.
Und wahrscheinlich waren diese letzten Jahre Johannas die ersten, die tatsächlich von Wahnsinn geprägt waren. Von einer geistigen Umnachtung, von Altersschwäche und dem ewigen Isoliertsein von der Welt und von ihren Kindern. Sie erzählt dem Pater von den Kammerzofen, die auf ihre Heiligenbücher spucken würden, Beschwörungsformeln murmeln und sie verhexen würden. Die bösen Frauen hätten eine Katze in den Palast gelassen, eine Katze, die an den Köpfen ihrer Kinder nage.
Inzwischen hatte die Kraft auch Johannas Körper verlassen. Sie wurde bettlägrig, Geschwüre wucherten überall, Ausschläge machten sich auf ihrem alten, 71-jährigen Körper breit. Sie litt unter solchen Schmerzen, dass sie die ganze Zeit über schrie. Manchmal machte sie sich voll und niemand kam mehr, um sie zu reinigen.
Johanna starb am 12. April, dem Karfreitag des Jahres 1555, mit den Worten: «Der gekreuzigte Jesus Christus stehe mir bei.»
PS: Wer geweint hat, möge es mir doch bitte in den Kommentarspalten mitteilen. Dann bin ich nicht ganz allein.