Das sind also die wenig schmeichelnden Worte, die der Geschichtsschreiber Prokop über seine Kaiserin verliert. Deshalb heisst seine Schmähschrift auch «Anekdota», «unveröffentlichte Geschichte». Doch es wird noch lange dauern, bis Theodora die Schauspielbühne verlässt, um sich an der Seite Kaiser Justinians I. auf den Thron zu setzen.
Theodora wurde 497 in Konstantinopel (heutiges Istanbul), dem Herzen des Byzantinischen Reiches geboren. Ihren Namen bekam die Stadt von Konstantin dem Grossen, der sie im 4. Jahrhundert prachtvoll ausbaute und die Grundsteine für die Hagia Sophia legte – diese architektonische Grossartigkeit von einer Kirche. Mit ihrer gigantischen Kuppel, unter der sie die Christen für fast 1000 Jahre versammelte.
Doch in dieser Stadt war auch die hellenistisch-römische Kultur noch sehr lebendig, 500'000 Menschen lebten in ihr, betätigten sich auf Sportplätzen, lasen sich in Bibliotheken gescheit und liessen ihre Hautkrankheiten in Spezialkliniken behandeln.
Für den Pöbel allerdings gab es den Circus, eine langgestreckte Arena, in der Wagenrennen und Tierhetzen stattfanden. Mitten in diese raue Welt wuchs Theodora hinein. Ihr Vater war Bärenwärter für die Grünen – eine der beiden Zirkusparteien.
Dieser Wahnsinn war Theodoras Wiege. Und als ihr Vater Akaios starb, stand die Mutter mit ihren drei Töchtern mittellos da. Sie heiratete einen anderen Mann, doch der bekam die Stelle seines Vorgängers nicht, weil sich der Chef der Grünen von einem anderen hatte bestechen lassen – und diesem den Job gab.
Die Mutter packte in ihrer Verzweiflung die fünfjährige Theodora und ihre zwei Schwestern, setzte Blumenkränze auf ihre kleinen Köpfchen und stellte sich mit ihnen mitten in die volle Arena. Sie flehte das Volk um Hilfe an. Die grüne Zirkuspartei blieb davon unbeeindruckt. Doch den Blauen fehlte ein Tierwärter – und so kam die Familie doch noch zu ihrem Posten.
Als Theodora etwa 16 Jahre alt ist, tritt sie auf der Bühne auf. Prokop, der in Theodoras Fall – neben einigen Spuren in Chroniken, Gesetzestexten und Inschriften – die Hauptquelle darstellt, beschreibt ihr Gebaren so:
Jede Zeile trieft von Theodoras sexueller Unverschämtheit. Als wäre Prokop selbst im Publikum gesessen und hätte sich zu Tode geekelt – oder wäre vor Lust schier zergangen. Doch als Prokop nach Konstantinopel kam, war Theodora längst Kaiserin. Sein Bericht ist also vielmehr eine Suppe aus Erzählungen von anderen, zusammengebraut in der Gerüchteküche der Hauptstadt, und gewürzt mit der geflissentlichen Verachtung des Kochs für die mächtigste Frau im Byzantinischen Reich.
Was wir ihm aber glauben können, ist Folgendes: Theodoras niedere Herkunft, ihre Tätigkeit als Schauspielerin, die in der Spätantike tatsächlich sehr eng mit der Prostitution verwandt war.
Die Hetären arbeiteten in gut organisierten Bordellen, in öffentlichen Bädern, auf offener Strasse, stark befahrenen Linienschiffen oder eben im Circus. Die Vorstellung, dass Theodora ein nymphomanisches, nimmersattes Monster war, kann man aber getrost ins Reich der Fantasie verfrachten:
Mit mindestens 40 Männern soll sie in einer Nacht also geschlafen haben. Aber offenbar auch nur, weil eben nicht mehr Männer zur Verfügung standen.
Wir können uns abermals nur am Gerüst von Prokops obigem Bericht festhalten: Theodora ist von der einfachen Erotikschauspielerin zur begehrten Kurtisane aufstiegen.
Auf diese Weise muss sie auch ihren späteren Gatten Justinian kennengelernt haben. Den Mann mit dem «immer wilden und scharfen Blick», den Zweitmächtigsten im Staat – der wahrscheinliche Thronerbe Kaiser Justins. Er verliebte sich sofort in Theodora. Und seine Liebe war aufrichtig. Denn obwohl sie Anfangs nur seine Geliebte war, erhob er sie in den Adelsstand.
Um sie allerdings heiraten zu können, musste der Kaiser erst ein Gesetz erlassen, das Senatoren die Ehe mit ehemaligen Prostituierten gestattete. Dann ging alles sehr schnell: 524 gaben sich die beiden das Ja-Wort, zwei Jahre darauf starb Justin – Justinian wurde Kaiser und Theodora zu seiner rechtmässigen Mitregentin mit dem Titel Augusta.
Aus früheren Verbindungen hatte die Kaiserin einen Sohn und eine Tochter – gemäss Prokop gelang es ihr in diesen beiden Fällen nicht, rechtzeitig abzutreiben. Aus Angst, der Kaiser würde von ihrem vorehelichen Nachwuchs erfahren, habe sie ihren Sohn später umbringen lassen.
Wieder lügt Prokop. Justinian wusste über Theodoras Vergangenheit Bescheid – und als sie ihre Kinder standesgemäss verheiratete, geschah dies zumindest mit seiner Billigung.
Das Kaiserpaar hatte selbst keine Kinder. Selbstverständlich war das in Prokops Augen die Schuld Theodoras: Unfruchtbarkeit. Wegen der unzähligen Schwangerschaftsabbrüche.
Das ironische an der unaufhörlichen Verunglimpfung Theodoras ist, dass Prokop ihr dadurch erheblich mehr Macht zuerkennt, als sie in Wirklichkeit besass.
Als sich im Jahre 532 das Volk im Nika-Aufstand gegen den Kaiser erhob, soll Theodora vor den Kaiser und seine Berater getreten sein, die bereits die Flucht erwogen hatten. Laut Prokop hat sie die Männer zum Kampf aufgewiegelt: Ein Flüchtlingsdasein sei ihr unerträglich, niemals wolle sie den Tag erleben, an dem die Menschen sie nicht mehr als Herrin ansprechen.
Und so schickte der Kaiser seinen Feldherrn Belisar, um den Aufstand blutig niederzuschlagen. Prokop wollte Theodora vorlaut und frech, als machtbessenes Weib darstellen, doch damit verlieh er ihr vielmehr eine Entscheidungsmacht, die sie in dieser Situation, als Frau des Kaisers, mit Bestimmtheit nicht hatte.
Ihre Spuren hinterliess Theodora allerdings woanders: Sie befreite dem syrischen Chronisten Ioannes Malalas zufolge 500 Mädchen aus den Fängen ihrer Zuhälter. Theodora kannte das Gewerbe. Sie wusste, dass die Mädchen aus verarmten Dörfern rekrutiert und mit falschen Versprechungen in die grosse Stadt gelockt wurden. Und dass manche von ihnen nicht einmal zehn Jahre alt waren. Direkt am Schwarzen Meer, in einem alten Kaiserpalast, gründete die Kaiserin das Kloster der Reue, ein Asyl für ehemalige Prostituierte.
Nach Prokop geschah dies selbstverständlich auf böswillige Weise:
Justinians Traum eines wieder erstehenden römischen Weltreichs sollte sich nicht wirklich erfüllen. Zwar holte er sich Nordafrika von den Vandalen zurück und beendete die Herrschaft der Ostgoten über Italien in einem zermürbenden, 19 Jahre währenden Krieg, doch der Preis war hoch: Das einstige Herz des römischen Reichs wurde von den Kriegswirren, Hungersnöten und der Pest völlig ausgeblutet.
Und auch der «Ewige Friede» mit dem Feind im Osten sollte seinem Namen keine Ehre machen: Der persische Grosskönig Chosrau I. brach 540 den Vertrag und fiel ins römische Syrien ein – und Justinian musste sich in einen neuen, langen und blutigen Krieg begeben.
Justinian hinterliess den Menschen jedoch etwas anderes: Die Niederschrift des Corpus Iuris Civilis, die Sammlung des römischen Rechts. Angehängt waren ihr des Kaisers eigene Gesetze. Und zwei von ihnen tragen die Handschrift seiner Frau:
Das Verbot der Zuhälterei und dasjenige gegen die vertraglichen Verpflichtungen von Schauspielerinnen, die sie ein Leben lang an die Bühne zu fesseln vermochten. Diese beiden Gesetze betreffen die Lebensrealität der jungen Theodora – und auch wenn die Kaiserin sie nicht selbst aufsetzte oder in Auftrag gab, so brachte sie sie doch durch ihren Gatten zu Papier.
Theodora stirbt in Prokops Überlieferung in einem Nebensatz. Mitten in der Berichterstattung über Justinians Krieg mit Persien. Justinian verlor mit ihr die Liebe. Seine Mitregentin und Partnerin, die ihm stets beratend zur Seite stand. Der greise Kaiser besucht mit 77 noch ein letztes Mal das Grab seiner Frau in der Apostelkirche.
Theodora wurde fünfzig Jahre alt. In der Chronik des Bischofs Victor von Tunnuna war es der Krebs, der den ganzen Körper der Kaiserin zerfressen hatte.
Man dichtete ihr den primären Tumor allerdings noch lange Zeit in den Unterleib hinein. Dorthin, wo der Krebs eine Hure eben befallen musste.