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Pille für den Mann: Warum ein Gen den Durchbruch bringen könnte

Sperma, Spermien
Nach wie vor geht es nicht vorwärts mit der Verhütung für den Mann. Vielleicht bringt nun die Genforschung den Durchbruch. Bild: Shutterstock

Pille für den Mann: Warum ein Gen den Durchbruch bringen könnte

19.04.2023, 20:0419.04.2023, 20:04
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Seit vielen Jahren wird sie immer wieder angekündigt, durchgesetzt hat sie sich nie: die Pille für den Mann. Die Gründe dafür sind vielfältig; Experten nennen unter anderem herkömmliche Rollenbilder, die nach wie vor männerdominierte Medizin, die mehr Verständnis für Männer als für Frauen aufbringe, oder die Tatsache, dass Männer keine biologischen Folgen der Zeugung zu tragen hätten. Wie dem auch sei: Es geht nicht vorwärts mit der Verhütung für den Mann.

Daran geforscht aber wird sehr wohl. Allerdings hat die Forschung zu hormonellen Präparaten – analog zur Pille für die Frau – einen herben Rückschlag erfahren, als 2011 eine gross angelegte Studie der Weltgesundheitsorganisation, in der die Samenproduktion durch Hormone kontrolliert wurde, abgebrochen wurde. Zu viele Teilnehmer hatten über Depressionen und Stimmungsschwankungen geklagt.

Ein Gen als Schlüssel zur Verhütung

Möglicherweise verspricht daher ein anderer Ansatz mehr Erfolg: die Genetik. Auch in diesem Bereich wird intensiv geforscht, ohne dass jedoch bisher ein entscheidender Durchbruch gelungen wäre. Gleichwohl gibt es Fortschritte, wie eine neue Studie der Washington State University zeigt, die im Wissenschaftsmagazin «Nature Communications» veröffentlicht wurde.

Das Forschungsteam um Jon Oatley, Professor für molekulare Biowissenschaften, hat ein Gen entdeckt, das als Schlüssel zur männlichen Verhütung dienen könnte. Wird es inaktiviert, nimmt die Zahl der Spermien ab und die Form und Beweglichkeit der verbleibenden Spermien verändert sich so, dass sie nicht mehr in der Lage sind, eine Eizelle zu befruchten.

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Das fragliche Gen, das Oatley für das vielversprechendste Ziel seit Jahren bei der männlichen Verhütung hält, trägt die Bezeichnung ARRdc5. Es wird in den Hoden von Mäusen, Schweinen, Rindern und Menschen exprimiert. Versuche an Mäusen haben nun gezeigt, dass sie 28 Prozent weniger Samenzellen produzieren, wenn das Gen ausgeschaltet wird. Zudem bewegten sich diese Spermatozoen 2,8 Mal langsamer als bei Mäusen mit einem normal funktionierenden Arrdc5-Gen.

Hinzu kam, dass bis zu 98 Prozent der Spermien von Mäusen ohne funktionierendes Arrdc5-Gen eine abnorme Form aufwiesen. Alle diese Veränderungen führten dazu, dass die Männchen ohne das Arrdc5-Gen nicht mehr in der Lage waren, ein Weibchen zu befruchten. «Wenn dieses Gen bei Männchen inaktiviert oder gehemmt ist, produzieren sie Spermien, die eine Eizelle nicht befruchten können, und das ist ein Hauptziel für die Entwicklung männlicher Verhütungsmittel», stellt Oatley fest.

Eingefärbte Spermien von erwachsenen Mäusen. Links von Mäusen mit aktivem Arrdc5-Gen, Mitte und rechts mit inaktiviertem Gen.
Eingefärbte Spermien von erwachsenen Mäusen: links von Mäusen mit aktivem Arrdc5-Gen, Mitte und rechts mit inaktiviertem Gen.Bild: Nature Communications

Eine Pille gegen das Protein

Arrdc5 – das einzig in den männlichen Keimdrüsen, den Hoden, exprimiert wird – kodiert für ein bestimmtes Protein, das für eine normale Spermienproduktion erforderlich ist. Die Inaktivierung des Gens führt dazu, dass dieses Protein nicht mehr produziert wird und die Keimdrüsen daher weniger und abnorme Spermien herstellen.

Oatley und sein Team betrachten ihren Erfolg als Auftakt zu weiteren Forschungen. Ihr Ziel ist, ein Medikament zu finden oder allenfalls zu entwickeln, das die Produktion des Proteins, für das Arrdc5 kodiert, verhindern oder seine Funktion ausschalten kann.

Was die Identifizierung von Arrdc5 und seiner Funktion so vielversprechend macht, ist die Tatsache, dass es keine Nebenwirkungen wie bei der Hormonbehandlung gibt, wenn man das Gen inaktiviert oder die Produktion des Proteins, für das es kodiert, unterbindet. Bei der hormonellen Verhütung sind nämlich gerade die Nebenwirkungen eine grosse Hürde, denn das männliche Sexualhormon Testosteron erfüllt bei Männern über die Spermienproduktion hinaus noch andere Funktionen, darunter den Aufbau von Knochenmasse und Muskelkraft sowie die Produktion roter Blutkörperchen.

Eine Verhütungspille, die auf das Protein abzielt, hätte zudem keine irreversible Wirkung – Männer, die ein solches Präparat verwenden würden, wären nicht auf Dauer unfruchtbar. «Man will ihnen nicht die Fähigkeit nehmen, Spermien zu produzieren», betont Oatley. «Man will nur verhindern, dass Spermien, die gerade produziert werden, auf die richtige Weise produziert werden. Denn dann kann man theoretisch die Pille absetzen, und danach werden die Spermien wieder auf normale Weise produziert.»

Verhütungsmittel für Tiere

Da Arrdc5 nicht nur in den Hoden des Menschen vorkommt, sondern auch in den männlichen Keimdrüsen fast aller Säugetierarten, könnte es überdies ein interessantes Ziel bei der Suche nach Verhütungsmitteln für Tiere sein. Solche Mittel könnten die derzeit weit verbreitete, aber invasive Kastration von Tieren überflüssig machen. Würde man obendrein eine Methode finden, um solche Verhütungsmittel auch Wildtieren zu verabreichen, könnte man deren Population besser als durch Bejagung kontrollieren. Auch der Befall durch Schädlinge könnte auf diese Weise schonend verhindert werden.

Momentan ist dies alles jedoch noch Zukunftsmusik. Vorerst konzentrieren sich die Forscher darauf, eine Pille zu entwickeln, die für den Einsatz beim Menschen geeignet ist. «Die Entwicklung einer Möglichkeit, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen und ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, ist für die Zukunft der Menschheit wirklich sehr wichtig», sagt Oatley. «Zurzeit gibt es für Männer – abgesehen von der Sterilisation – nicht viele Möglichkeiten, und nur ein kleiner Prozentsatz der Männer entscheidet sich für einen solchen Eingriff. Könnten wir diese Entdeckung zu einer empfängnisverhütenden Lösung weiterentwickeln, könnte das weitreichende Auswirkungen zeitigen.» (dhr)

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80 Kommentare
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chicadeltren
19.04.2023 22:11registriert Dezember 2015
Und Frauen können ja keine Stimmungsschwankungen oder Depressionen auf Grund der Pille entwickeln… Man sollte die Nebenwirkungen prozentual und qualitativ mal klar gegenüberstellen. Wahrscheinlich sind sie für Männer nicht viel schlimmer.
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Pummelfee
19.04.2023 23:17registriert Mai 2020
Bei der Pille für Frauen sind Depressionen und Stimmungsschwankungen absolut akzeptabel, bei jener für Männer natürlich nicht!!! DAS ist der eigentliche Skandal!
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Ribosom
19.04.2023 20:56registriert März 2019
«Die Entwicklung einer Möglichkeit, das Bevölkerungswachstum zu verlangsamen und ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, ist für die Zukunft der Menschheit wirklich sehr wichtig», sagt Oatley. «Zurzeit gibt es für Männer – abgesehen von der Sterilisation – nicht viele Möglichkeiten, und nur ein kleiner Prozentsatz der Männer entscheidet sich für einen solchen Eingriff. Könnten wir diese Entdeckung zu einer empfängnisverhütenden Lösung weiterentwickeln, könnte das weitreichende Auswirkungen zeitigen.»

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