Ella liegt auf ihrem Bett, verzieht schmerzerfüllt ihr Gesicht, presst die Hände gegen den Bauch und windet sich. Es ist ein Tag mehr in ihrem Leben, an dem sie nicht zur Arbeit gehen kann. Ein Tag mehr in ihrem Leben, an dem sie sich fragt, was mit ihrem Körper los ist und wieso ihr niemand helfen kann.
Seit Ella mit 12 Jahren das erste Mal ihre Periode bekommen hat, leidet sie Monat für Monat an starken Schmerzen im Unterleib. Je mehr Zeit verstreicht, desto häufiger treten die Schmerzen auch ausserhalb ihrer Periode auf. Schmerzen beim Stuhlgang und beim Wasserlassen kommen hinzu.
Manchmal sind die Schmerzen so stark, dass Ella schwindelig wird und zusammenbricht. Ihre Frauenärztinnen, die sie mehrmals wechselt, erklären die Symptome als normal, es gebe einfach Frauen, die sehr starke Regelbeschwerden hätten.
Lange leidet Ella, ohne dass ihr jemand helfen kann. Bis eine Bekannte von Ella per Zufall im Internet auf den Begriff Endometriose stösst. Eine Krankheit, bei der sich Gebärmutterschleimhautzellen ablösen und in der Bauchhöhle anwachsen, was teilweise sehr schmerzhaft sein kann. Eine grundsätzlich gutartige Krankheit, die aber beispielsweise bei Darmbefall gefährlich sein kann, und von der weder Ella noch sonst jemand in ihrem Umfeld je etwas gehört hatte. Und das obwohl nach Angaben des Inselspitals Bern rund zehn bis zwanzig Prozent aller Frauen in der Schweiz daran leiden. Doch oft unwissentlich.
Bis zu einer Diagnose dauert es meist mehrere Jahre. «Ein Grund dafür ist sicher, dass die Endometriose ganz verschiedene Beschwerden auslösen kann. Zudem gibt es keinen einfachen Test mit klarer Aussage», sagt Sara Imboden, Oberärztin und Endometriosespezialistin am Inselspital Bern. Und: Die genaue Entstehung der Krankheit ist noch unklar und wird derzeit erforscht. Sara Imboden ist es ein Anliegen, die Krankheit bekannter zu machen. «Insgesamt ist Endometriose sowohl bei den Ärzten wie auch bei den Laien zu wenig bekannt.»
Eine dieser Laien ist Ella. Mithilfe der Beschreibungen im Internet stellt sie jedoch fest, dass die beschriebenen Symptome der Endometriose genau auf sie zutreffen. Sie ist erleichtert, doch sie kriegt auch Angst: Soll sie zu jenen Frauen gehören, die durch die Endometriose unfruchtbar sind? Dass etwa jede zweite Frau, die an Endometriose leidet, unfruchtbar ist, sei nicht wahr, sagt Sara Imboden vom Inselspital Bern: «Umgekehrt findet man aber bei 60 Prozent der Frauen, die nicht schwanger werden, eine Endometriose.»
Zu diesen Frauen gehört Nadine. In der Pubertät litt die 34-Jährige während ihrer Periode unter extremen Schmerzen: «Die ersten paar Stunden waren am schlimmsten, die habe ich manchmal auf dem WC-Boden liegend verbracht, weil ich einfach nicht mehr konnte», sagt Nadine. Ihr Arzt sagte, dass solche Schmerzen normal seien, und verschrieb ihr die Pille. Dadurch wurden die Schmerzen weniger. Sie habe sich nicht viel Gedanken gemacht, erzählt Nadine, habe ihrem Arzt eben vertraut. Vor fünf Jahren kam dann der Wunsch auf, schwanger zu werden. Also setzte Nadine die Pille ab. Als dann die Schmerzen aus der Pubertät wieder einsetzten und sie nicht schwanger wurde, kam der Frauenärztin der Verdacht auf Endometriose.
Nach der Entfernung der Endometrioseherde und der Öffnung der dadurch verschlossenen Eileiter wurden Nadine gute Chancen zugesprochen, schwanger werden zu können. Sie wurde es nicht. Auch mithilfe der Reproduktionsmedizin gelang es nicht, ihr Wunschkind zu bekommen.
Besonders schlimme Erfahrungen hat die 37-jährige Andrea mit der Endometriose gemacht. Auch sie litt lange an starken Regelbeschwerden, besonders einen Tag im Monat: «Da war ich nicht brauchbar.» 2010 wurde sie wegen Bauchkrämpfen in den Notfall geschickt. Dort wurden bei ihr grosse Endometriosezysten gefunden, die mithilfe einer Bauchspiegelung entfernt werden mussten. Bei dieser mikrochirurgischen Operation werden die inneren Organe untersucht und Gewebeproben entnommen. Falls Endometrioseherde gefunden werden, können diese mit einem Laser oder elektrischem Strom entfernt werden. Es ist sowohl die sicherste Variante zur Diagnose als auch die schnellste Behandlungsmöglichkeit.
Andrea wünschte sich ein Kind. Doch nach der Operation wurde sie über ein Jahr lang nicht schwanger. Ein Spezialist stellte die Endometriose dann auch am Enddarm fest. «Er meinte aber, dass man diesen besser drinnen lasse, da dies für eine Schwangerschaft besser sei», erzählt Andrea. Danach begann sie, Hormone zu nehmen, um schwanger zu werden. Wieder litt sie an Bauchkrämpfen und erlitt eine Erschöpfungsdepression. Ihre Ärzte waren ratlos. Bis einer feststellte, dass sie durch den Befall am Enddarm knapp an einem Darmverschluss vorbeigeschrammt ist. Eine Operation folgte, bei dem ein Stück des Enddarmes entfernt und der Blasennerv fast ganz durchgetrennt wurde. Deshalb spürt Andrea heute nicht mehr, wenn sie Wasser lassen muss. Die Schmerzen waren weg, aber psychisch litt Andrea.
Heute geht es ihr besser. Für die Zukunft erhofft sie sich, dass ihre Beschwerden ausbleiben und sich ihr Kinderwunsch vielleicht trotzdem noch erfüllt.
Bei Ella konnten durch eine Ultraschalluntersuchung keine grösseren Endometrioseherde gefunden werden. Auch eine Magnetresonanztomografie war erfolglos. Trotzdem deutet bei Ella alles auf eine Endometriose hin, nur sind die Herde bei ihr wohl so klein, dass sie so nicht ersichtlich sind. Und eine Bauchspiegelung wird noch herausgezögert. Erst wenn Ella einmal Probleme haben sollte, schwanger zu werden, wird die Bauchspiegelung gemacht werden müssen.
Aber auch ohne diese Operation: Ella ist erleichtert, dass sie nun eine hohe Gewissheit hat. Dass sie endlich erklären kann, woher ihre Schmerzen kommen. Momentan besucht sie einmal wöchentlich eine auf die Krankheit ausgerichtete Physiotherapie.
Sara Imboden sagt: «Bei chronischen Schmerzen kann auch mit hormonellen Pillen oder der richtigen Ernährung geholfen werden.» Gerade weil es Möglichkeiten zur Behandlung der Endometriose gibt, ist es Sara Imboden wichtig, dass Endometriose bekannter wird. Nur schon, weil sie weiss, dass eine frühzeitige Diagnose die Chancen erhöhen würde, auf natürlichem Weg schwanger zu werden.
Das käme dann auch Frauen wie Ella entgegen. Denn trotz der Hoffnung auf ein normaleres Leben ohne ständige Schmerzen; manchmal wünscht sie sich, dass sie früher über Endometriose Bescheid gewusst hätte und sie etwas dagegen hätte machen können. Dass es einige Tage weniger gegeben hätte, an denen sie ihre Hände an den Bauch gepresst und sich im Bett vor Schmerzen hin und her gewälzt hat. (aargauerzeitung.ch)