Mitte März ist es an den Polen viel zu warm. Im Osten der Antarktis, wo nun der Südsommer zu Ende geht und es daher deutlich kälter werden sollte, fallen die Temperaturrekorde: Laut der Weltwetterorganisation (WMO) wurden am 18. März an der Forschungsstation Concordia milde minus 12,2 Grad gemessen – rund 40 Grad wärmer, als dort um diese Jahreszeit üblich, und 20 Grad über dem vorherigen März-Rekord.
An der russischen Forschungsstation Wostok wurden nur minus 17,7 Grad gemessen, ebenfalls ein Wärmerekord. Wostok hält den Rekord für die kälteste je gemessene Temperatur: Dort fiel das Thermometer im Juli 1983 auf minus 89,2 Grad. In der trockensten, windigsten und kältesten Region der Welt herrscht zurzeit eine «aussergewöhnliche und beispiellose Hitze», wie die WMO feststellt.
Extraordinary and unprecedented heat in East #Antarctica, with an "atmospheric river" bringing heat and moisture
— World Meteorological Organization (@WMO) March 21, 2022
Remote Dome C research station saw a temperature nearly 40 °C ABOVE normal, beating the previous March record by a startling 20 °C, per @RARohde #ClimateChange pic.twitter.com/m6G6y4V81V
Température maximale -17,7°C à Vostok, un 18 mars ! Le précédent record mensuel est pulvérisé de près de 15°C.
— Gaétan Heymes (@GaetanHeymes) March 18, 2022
Il s'agit selon moi d'un événement climatologique d'ampleur aussi extraordinaire que la vague de chaleur intense centrée sur la Colombie Britannique en juin 2021. pic.twitter.com/V7DAp6GgQO
Auf der Nordhalbkugel sieht es nicht viel besser aus. Dort bringt Warmluft starke Regenfälle in die Arktis mit. An der Framstrasse zwischen Spitzbergen und Grönland ist es 20 °C wärmer als im langjährigen Mittel. Das Klima der Arktis befindet sich ohnehin, wie Forschungsergebnisse des National Center for Atmospheric Research (NCAR) nahelegen, in einem Übergang von einem überwiegend gefrorenen Zustand in ein anderes Klima, in dem mehr Regen als Schnee fallen wird.
Zwar können solche Einzelereignisse wie Hitzerekorde oder Warmlufteinschübe in dem Moment, in dem sie auftreten, nicht unmittelbar auf den Klimawandel zurückgeführt werden; in ihrer Häufung und Intensivierung sind sie jedoch ein deutliches Indiz für die globale Erwärmung. Die hohen Temperaturen wirken sich zudem nicht nur auf das regionale Klimasystem aus, sondern können unter Umständen auch das Wetter in gemässigten Breiten beeinflussen – besonders im Fall der Arktis.
Langjährige Datenreihen zeigen zudem, dass sich das Klima an den Polen – namentlich am Nordpol – dramatisch verändert, und zwar stärker als auf dem restlichen Planeten: Während die Durchschnittstemperaturen in den anderen Regionen der Erde um ca. 1,1 Grad über dem Niveau der vorindustriellen Zeit liegen, beträgt der Anstieg in der Arktis innerhalb der letzten 50 Jahre zwischen zwei und drei Grad. Das Phänomen ist unter der Bezeichnung «polare Verstärkung» (polare Amplifikation) bekannt.
In der Antarktis – mit Ausnahme der Westantarktis – ist die polare Verstärkung bisher noch nicht zu beobachten, auch wenn das EU-Programm Copernicus im Februar die geringste antarktische Meereis-Ausdehnung seit Beginn der Messungen 1979 verzeichnete. In der Südpolarregion absorbieren die viel grösseren Wassermassen und die tiefe Ozeanzirkulation des Südpazifiks die eingebrachte Wärme; hinzu kommt, dass antarktisches Eis sich zum grössten Teil auf Land befindet.
Arktisches Eis hingegen liegt grösstenteils auf Meerwasser auf und wird daher auch von unten erwärmt. Die arktische Amplifikation, die besonders über dem arktischen Ozean ausgeprägt ist, ist deshalb viel stärker, denn hier wirkt sich ein Rückkopplungseffekt aus: Da Schnee- und Eisoberflächen das Sonnenlicht viel stärker als dunkle Oberflächen wie etwa Meerwasser reflektieren (Albedo), nimmt der Wärmeeintrag noch zu, wenn die Eisdecke abnimmt. So betrug der Erwärmungstrend in der Region von 1970 bis 2008 rund das Dreifache des globalen Werts. Und Modellrechnungen zeigen, dass die arktische Amplifikation in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird.
Aktuelle Messungen, die im Rahmen der kürzlich lancierten HALO-(AC)³-Forschungskampagne stattfanden, haben einen massiven Warmlufteinschub in die Arktis beobachtet, der mit starken Regenfällen auf das Meereis einherging. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Eisschicht, die dadurch früher abschmelzen könnte. Bei den HALO-(AC)³-Forschungsflügen wurden zudem Wolken registriert, die sich atypisch in beinahe derselben grossen Höhe befanden wie jene in den Tropen. Wolken wirken in der Arktis nicht kühlend, sondern eher erwärmend, da sie die Wärme-Abstrahlung ins All vermindern.
Französische Meteorologen erklären die aktuell ausserordentlich hohen Temperaturen in der Ostantarktis mit einem «atmosphärischen Fluss», der feuchte und warme Luft vom Pazifik in den Süden transportierte. Ein atmosphärischer Fluss ist ein Band mit feuchtigkeitsgesättigter Luft ein paar Kilometer über der Erdoberfläche. Die feuchtwarmen Luftmassen wurden von einem Hochdrucksystem über der Ostantarktis blockiert und konnten daher nicht abfliessen.
Robert Rhode vom Umweltdateninstitut Berkley Earth twitterte über die beispiellosen Temperaturen:
This event is rewriting record books and our expectations about what is possible in Antarctica.
— Dr. Robert Rohde (@RARohde) March 21, 2022
Is this simply a freakishly improbable event, or is it a sign of more to come? Right now, no one knows.
Nach WMO-Angaben war das Meereis in der Antarktis rund um den Südpol im Februar schon so weit zurückgegangen wie nie zuvor seit Beginn der Satellitenmessungen 1979. Die Fläche fiel erstmals unter zwei Millionen Quadratkilometer. (dhr)
Mit Material der Nachrichtenagentur sda.
Es ist ein Trauerspiel.