Eigentlich ist es das, was man «Good News» nennt: In den letzten 15 Jahren haben ostasiatische Länder, allen voran China, grosse Anstrengungen unternommen, um die Luftqualität zu verbessern. In China, wo Luftverschmutzung laut WHO jährlich eine Million Todesopfer fordert, führten die entsprechenden Massnahmen zu einer Reduktion der Schwefeldioxid-Emissionen um rund 20 Millionen Tonnen pro Jahr – was insgesamt einer Reduktion um etwa 75 Prozent entspricht.
Paradoxerweise hatte dieser Erfolg einen unerwünschten Nebeneffekt: Die Verringerung der Luftverschmutzung beschleunigte die globale Klimaerwärmung, wie eine in der Zeitschrift «Nature Communications Earth and Environment» veröffentlichte Studie zeigt. Dem vom Klimatologen Bjørn H. Samset vom norwegischen CICERO Center for International Climate Research geleiteten Forschungsteam ist es damit gelungen, die seit 2010 spürbare Beschleunigung der Erderwärmung wenigstens teilweise zu erklären. Diese beschleunigte Erwärmung zeigt sich etwa in der Tatsache, dass die globale Durchschnittstemperatur seit ungefähr 2010 schneller gestiegen ist als in den Jahrzehnten zuvor. Die zehn wärmsten Jahre seit Beginn der regelmässigen Wetteraufzeichnungen wurden denn auch seit 2010 verzeichnet.
Der Grund für die negative Auswirkung der Massnahmen gegen Luftverschmutzung auf die globale Erwärmung liegt in der Reduktion von Aerosolen, das sind fein in der Luft verteilte feste oder flüssige Schwebeteilchen. So reflektieren etwa Sulfataerosole, die bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe entstehen, teilweise das Sonnenlicht zurück ins All und fördern als Kondensationskeime die Bildung kühlender Wolken. Damit bremsen sie die durch Treibhausgase wie das CO₂ verursachte Erwärmung ab.
«Es ist uns gelungen, die Klimaauswirkungen der Luftqualitätspolitik in Ostasien in den letzten 15 Jahren zu isolieren und zu analysieren», erklärt Hauptautor Samset in einer Mitteilung des CICERO Centers. «Unser wichtigstes Ergebnis ist, dass die ostasiatische Aerosolreduktion wahrscheinlich ein Hauptgrund für die jüngste Beschleunigung der Erwärmung und auch für die Temperaturveränderungen im Pazifik war.»
Diese Schlussfolgerung stützt sich auf eine umfassende Reihe von Klimasimulationen, die mit acht verschiedenen Modellen durchgeführt wurden. Die Modelle verwendeten aktualisierte Daten über Schadstoffemissionen in und um China und ergaben aktuell eine zusätzliche durchschnittliche globale Erwärmung von etwa 0,07 Grad Celsius infolge des Rückgangs von Aerosol-Emissionen. Sie zeigten überdies, dass eine Verringerung der Sulfataerosole um bis zu 75 Prozent die kühlende Wirkung der Luftverschmutzung weitgehend aufhebt. Dadurch wird der zugrundeliegende Treibhauseffekt, der zum Beispiel durch CO₂ verursacht wird, deutlicher sichtbar.
Im Hinblick auf die Klimaerwärmung haben wir also vom Smog in China profitiert. Es handelt sich jedoch nur um einen Aufschub, wie Laura Wilcox, Klimawissenschaftlerin an der University of Reading und Mitautorin der Studie, erklärt. «Die Klimaauswirkungen der Luftverschmutzung sind kurzlebig, die der Treibhausgase hingegen halten jahrhundertelang an», stellt sie fest. «Das bedeutet, dass die Beschleunigung der Erwärmung, die wir jetzt beobachten, nur vorübergehend ist, eine Art Aufholjagd. Danach wird sich die Erwärmung wieder auf einem Niveau stabilisieren, das der Menge der Treibhausgase in der Atmosphäre entspricht.»
Die Forschungsarbeiten verdeutlichen die komplexe Beziehung zwischen Luftverschmutzung und Klimawandel. Einerseits ist die Verringerung der Luftverschmutzung für die öffentliche Gesundheit von wesentlicher Bedeutung, insbesondere in dicht besiedelten und sich rasch industrialisierenden Gebieten. Andererseits wird dadurch aber auch ein vorübergehender Klimapuffer beseitigt, was einen schnelleren Temperaturanstieg verursacht.
Dies führt zu einem heiklen Dilemma für politische Entscheidungsträger: je sauberer die Luft, desto stärker die Erwärmung, zumindest kurzfristig. Das Forschungsteam betont daher, wie wichtig es ist, die Verringerung der weltweiten Treibhausgas-Emissionen zu beschleunigen. Nur wenn wir strukturell weniger CO₂ ausstossen, können wir die Erwärmung auf lange Sicht bekämpfen.
Die Kompensation durch Luftverschmutzung ist keine nachhaltige Lösung. Gemäss dem Forschungsteam ist dieser vorübergehende Effekt vor allem ein Signal: Wir können uns nicht weiter hinter den kühlenden Nebenwirkungen der Luftverschmutzung verstecken. Der einzige nachhaltige Weg ist die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen. (dhr)
Aber:
"Kompensation durch Luftverschmutzung ist keine nachhaltige Lösung. Gemäss dem Forschungsteam ist dieser vorübergehende Effekt vor allem ein Signal:
Wir können uns nicht weiter hinter den kühlenden Nebenwirkungen der Luftverschmutzung verstecken.
Der einzige nachhaltige Weg ist die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen."