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Klimawandel: Antarktis-Meereis beeinflusst Klimaerwärmung

Sea Ice - Antarctic Peninsula - Antarctica, Sea Ice at the southern end of the Lamaire Channel off the west coast of the Antarctic Peninsula in Antarctica., Sea Ice at the southern end of the Lamaire  ...
Meereis an der Westküste der Antarktischen Halbinsel. Bild: www.imago-images.de

Erwärmung unterschätzt: Antarktis-Meereis beeinflusst Klimawandel

Eine neue Studie hat einen bisher unterschätzten Zusammenhang zwischen dem Meereis der Antarktis, der Wolkendecke und der globalen Erwärmung aufgezeigt.
08.10.2025, 06:0608.10.2025, 06:06

Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Earth System Dynamics veröffentlichte Studie hat eine bisher unbekannte Verbindung zwischen dem Meereis der Antarktis, der Wolkendecke und der globalen Erwärmung aufgedeckt. Diese Entdeckung stellt bisherige Annahmen infrage und deutet darauf hin, dass sich unser Planet möglicherweise stärker erwärmt als bisher angenommen.

Höhere Wärmeaufnahme, stärkere Erwärmung

Das Forschungsteam unter der Leitung des Ozeanografen Linus Vogt von der Universität Sorbonne in Paris verwendete Satellitenaufzeichnungen aus den Jahren 1980 bis 2020 und verglich diese mit Daten aus 28 Erdsystemmodellen. Seine Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wärmeaufnahme der Ozeane – und der daraus hervorgehende thermische Anstieg des Meeresspiegels – bis zum Jahr 2100 voraussichtlich um 3 bis 14 Prozent höher ausfallen wird als der Durchschnitt aus CMIP6 (siehe Box), einer führenden Sammlung von Klimamodellen.

Mehr noch: Auch die prognostizierte Wolkenrückkopplung ist um 19 bis 31 Prozent stärker, was die Klimasensitivität erhöht, und die globale Erwärmung der Erdoberfläche wird auf 3 bis 7 Prozent höher geschätzt als bisher angenommen.

CMIP6
Das Coupled Model Intercomparison Project (CMIP) koordiniert Klimamodellsimulationen weltweit im Rahmen des Weltklimaforschungsprogramms (WCRP). Ziel von CMIP ist es, die vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Klimaveränderungen in einem Multi-Modell-Kontext besser zu verstehen und vorherzusagen. Um Modellergebnisse vergleichen zu können, erarbeitet CMIP unter anderem Standards für Simulationen, Datenformate und Auswertealgorithmen. Dadurch bekommen die Klimaforscher die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse unmittelbar untereinander zu teilen, zu vergleichen und zu bewerten.
Die Datenprodukte von CMIP6 stellen damit neben Beobachtungsdaten eine wichtige Quelle für zuverlässige Klimainformationen im sechsten Klimasachstandsbericht des Weltklimarats IPCC dar.
«Das Meereis der Antarktis bedeckt weniger als 4 Prozent der Meeresoberfläche. Wie kann es also einen so starken Einfluss auf die globale Erwärmung der Ozeane haben?»
Studienleiter Linus Vogt

Meereis-Ausdehnung als Schlüssel-Indikator

Als entscheidender Indikator für das Klima der südlichen Hemisphäre erwies sich die Ausdehnung des Meereises im antarktischen Sommer. Diese galt nach bisher überwiegender Ansicht als stabil und nur wenig mit dem vom Menschen verursachten Klimawandel verbunden. Modelle, die von einer genaueren, also realistischeren Darstellung der vorindustriellen Meereis-Ausdehnung ausgingen, ergaben kältere Oberflächengewässer, tiefere Tiefseetemperaturen und eine dichtere Wolkendecke in mittleren Breiten.

Fig. 1 (left): a strong relationship was found between historical Antarctic sea ice extent and future global ocean heat uptake across climate models. (right): combining this relationship with sea ice  ...
In allen Klimamodellen wurde ein starker Zusammenhang zwischen der historischen Ausdehnung des Meereises in der Antarktis und der zukünftigen globalen Wärmeaufnahme der Ozeane festgestellt (links). Kombiniert man diesen Zusammenhang mit Meereis-Beobachtungen von Satelliten, ergibt sich eine Erhöhung der Schätzungen zur zukünftigen Wärmeaufnahme der Ozeane um bis zu 14 Prozent (rechts).Grafik: Earth System Dynamics

Diese Ausgangsbedingungen führen zu verstärkten Erwärmungsreaktionen, die von Treibhausgasen beeinflusst werden. Anders gesagt: Der Ausgangszustand des Klimasystems macht es empfindlicher gegenüber Emissionen, als frühere Prognosen vermuten liessen. Der Erwärmungseffekt ist damit stärker und schneller als bisher angenommen.

Kopplung zwischen Meereis, Ozean und Atmosphäre

«Als wir diesen Zusammenhang zwischen dem historischen Meereis der Antarktis und der zukünftigen Wärmeaufnahme der Weltmeere entdeckten, waren wir von der Stärke dieser Beziehung überrascht. Das Meereis der Antarktis bedeckt weniger als 4 Prozent der Meeresoberfläche. Wie kann es also einen so starken Einfluss auf die globale Erwärmung der Ozeane haben?», stellt Vogt fest. «Nach umfangreichen Analysen verstehen wir nun die vollständigen Auswirkungen der Kopplung zwischen Meereis, Ozean und Atmosphäre, die für diese globalen Veränderungen verantwortlich ist.»

Bedeckt das Meereis eine grössere Fläche, verstärkt dies die Wolkendecke – was wiederum einen kühlenden Effekt hat, da die einfallende Sonnenstrahlung dadurch verringert wird. Der zunehmende Verlust von Meereis in den kommenden Jahrzehnten führt daher zu einer stärkeren Verringerung der Wolkenbildung, einer stärkeren Erwärmung der Oberfläche und einer erhöhten Wärmeaufnahme durch die Ozeane. Infolgedessen bestimmt der Ausgangswert der Meereis- und Tiefseetemperaturen in Modellen effektiv das Ausmass der zukünftigen Erwärmung, der Wolkenrückkopplung und der Wärmeaufnahme.

Schematic representation of the link between historical Antarctic sea ice extent and future ocean heat uptake. Under 21st-century climate change, the Southern Hemisphere climate system transitions fro ...
Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen der historischen Ausdehnung des Meereises in der Antarktis und der zukünftigen Wärmeaufnahme der Ozeane. Im Rahmen des Klimawandels im 21. Jahrhundert wandelt sich das Klimasystem der südlichen Hemisphäre von einem Ausgangszustand (a) zu einem gestörten Zustand (b), der durch eine Verringerung des Meereises, eine Erwärmung der Meeresoberfläche und der Atmosphäre sowie eine Verringerung der unteren Wolkendecke gekennzeichnet ist. Entscheidend ist, dass die Amplitude dieses Übergangs in jedem Klimamodell und damit das Ausmass der zukünftigen Wärmeaufnahme durch die Ozeane vom anfänglichen Klimazustand des Modells abhängt: Ein kalter Anfangszustand, der durch eine grosse Meereisausdehnung gekennzeichnet ist, führt zu einem starken Übergang mit hoher Wärmeaufnahme (c), während ein milder Anfangszustand, der durch eine geringe Meereisausdehnung gekennzeichnet ist, zu einem schwächeren Übergang mit geringerer Wärmeaufnahme führt (d).Grafik: Earth Systems Dynamics

Jens Terhaar, Mitglied des Forschungsteams und leitender Wissenschaftler am Institut für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern, erklärt: «Es ist zwar seit Langem bekannt, dass eine genaue Darstellung der Wolken für Klimaprognosen von entscheidender Bedeutung ist, aber unsere Studie zeigt, dass es ebenso wichtig ist, auch die Oberflächen- und Tiefseeströmungen sowie deren Wechselwirkung mit dem antarktischen Meereis genau zu simulieren.»

«Diese wahrscheinlich stärkere Erwärmung erfordert dringende Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, um die mit der Erwärmung der Ozeane verbundenen vermehrten Hitzewellen, Überschwemmungen und Auswirkungen auf die Ökosysteme zu vermeiden.»
Linus Vogt

Dringende Massnahmen erforderlich

Die neue Studie liefert Hinweise darauf, dass aktuelle Modelle die zukünftige Erwärmung und die Wärmespeicherung der Ozeane möglicherweise unterschätzen, da sie dazu tendieren, ein zu warmes Südpolarmeer im vorindustriellen Zustand zu simulieren, und da sie ein zu geringes Erwärmungspotenzial aufweisen. Die Studie zeigt auch, wie wichtig eine kontinuierliche Satellitenüberwachung und eine verbesserte Modellierung von Wolkenprozessen und der Hydrografie der Tiefsee sind, da beide einen erheblichen Einfluss auf globale Klimaprognosen haben.

«Mehrere hochkarätige Studien haben Temperaturtrends der letzten Jahrzehnte herangezogen, um die zukünftige Erwärmung einzuschränken», erklärt Vogt. «Wir haben nun jedoch festgestellt, dass dieser Ansatz zu irreführenden Ergebnissen führen kann.» Die Berücksichtigung des vom Forschungsteam identifizierten Mechanismus im Zusammenhang mit dem Meereis führe zu höheren Schätzungen der zukünftigen Erwärmung der Ozeane und der Atmosphäre, betont der Ozeanologe. Und er warnt: «Diese wahrscheinlich stärkere Erwärmung erfordert dringende Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, um die mit der Erwärmung der Ozeane verbundenen vermehrten Hitzewellen, Überschwemmungen und Auswirkungen auf die Ökosysteme zu vermeiden.» (dhr)

So schön sieht es in unerforschten Teilen der Antarktis aus

Video: srf/Roberto Krone
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184 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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DasUrmel
08.10.2025 06:52registriert Oktober 2023
Ich habe die Hoffnung aufgegeben. Wir haben es verkackt. Und liefern selber den besten Beweis, warum es nahezu unmöglich ist dass sich zwei "intelligente" Spezies im Universum treffen.
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Hadock50
08.10.2025 06:35registriert Juli 2020
Klimawandel: nicht daran glauben- den Klimwandel verstehen !
Solange die Rechtspopulisten es nicht checken und Verkehrswende und Energiewende nicht in den Köpfen angekommen ist machen wir einfach so weiter wie immer.

Und bei jeder Untetterkatastrophe, die immer häufiger und immer heftiger werden, muss mas sagen:
Noch nicht schlimm genug!

Wann fängt man an das Problem ernst zu nehmen und zu handeln???
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Rikki-Tiki-Tavi
08.10.2025 06:21registriert April 2020
Klarer kann man es wohl nicht aufzeigen. Und wenn selbst Wissenschaftler die Dringlichkeit betonen, müsste es definitiv bei allen angekommen sein. Die Menschheit hat aber wichtigeres zu tun, die Befriedigung der eigenen Egos, ein paar Kriege führen. Tröstlich, dass der Planet es überleben wird und die Menschheit aus seiner Sicht nur eine kleine Episode bleiben wird.
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