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So macht die Klimaerwärmung den Zugvögeln zu schaffen

A flock of bramblings fly over a patch of forest as they fly to their roosts near Langenthal, Switzerla, on Sunday, January 7, 2024. An estimated one million bramblings gather near Langenthal this yea ...
Ein Schwarm Bergfinken (Fringilla montifringilla) auf dem Weg zu ihren Schlafplätzen bei Langenthal BE. Diese Zugvögel brüten im Norden und überwintern bei uns. Bild: keystone

So macht die Klimaerwärmung den Zugvögeln zu schaffen

12.04.2025, 14:1712.04.2025, 14:17
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Mit mittlerweile unschöner Regelmässigkeit nehmen wir zur Kenntnis, dass der vergangene Monat der bisher wärmste seit Messbeginn war. Das gilt auch für den letzten März – zumindest in Europa, weltweit war er «nur» der zweitwärmste. Die rasante Klimaerwärmung hat bereits Auswirkungen, und davon betroffen sind auch die Vögel, insbesondere die Zugvögel: Ihr Leben gerät durch die veränderte Umwelt immer mehr durcheinander.

So hat eine Analyse in England ergeben, dass dort jede dritte Vogelart früher brütet als noch zu Beginn der 1970er-Jahre, im Schnitt um etwa neun Tage. Noch deutlicher ist die Verschiebung bei einigen in der Schweiz heimischen Zugvogel-Arten: «In diesem Jahr sind einige Vogelarten bereits drei Wochen früher zurückgekehrt als noch vor 50 Jahren», sagte Stefan Bachmann, Mediensprecher beim Naturschutzverband Birdlife Schweiz, gegenüber SRF.

Kurzstreckenzieher und Langstreckenzieher

Vogelkundler unterscheiden zwischen Vogelarten, deren Winterquartiere in der Regel nicht weiter als 2000 Kilometer vom Brutgebiet entfernt liegen, den sogenannten Kurzstreckenziehern, den Mittelstreckenziehern und den Langstreckenziehern (auch «Fernzieher» oder «Weitstreckenzieher» genannt), die mehr als 4000 Kilometer von ihren Brutplätzen entfernt überwintern. Sie sind auf unterschiedliche Weise durch die Klimaerwärmung betroffen.

Kurzstreckenzieher wie Rotkehlchen oder Singdrossel, deren Überwinterungsgebiete im Mittelmeerraum liegen, haben laut Bachmann ihre Wege verkürzt: «Flogen sie früher bis nach Nordafrika, bleiben sie jetzt in Italien. Viele Arten bleiben auch immer häufiger bei uns in der Schweiz», erklärt der Experte. Zu den Arten, die jetzt vorzugsweise hier überwintern, gehöre beispielsweise der Zilpzalp, der früher den Winter in Spanien verbrachte. Heute fliegt nur noch ein kleiner Teil der heimischen Zilpzalp-Population in den Süden.

Zilpzalp oder Weidenlaubsänger (Phylloscopus collybita)
Der Zilpzalp oder Weidenlaubsänger (Phylloscopus collybita) flog früher nach Spanien. Heute überwintert er mehrheitlich in der Schweiz. Bild: Shutterstock

So überwintern Vogelarten wie Kiebitz, Star oder Hausrotschwanz, die noch vor wenigen Jahrzehnten als klassische Zugvögel galten, immer öfter in Mitteleuropa. Andere Arten haben sogar innerhalb weniger Generationen ihre Zugrouten angepasst: Sie steuern nicht mehr Südfrankreich, Spanien oder Nordafrika an, sondern bleiben den Winter über in Südengland.

Dies hat nicht nur Nachteile: Für die Vögel ist es an sich gut, wenn sie im Brutgebiet bleiben können und nicht weite Strecken in ein Winterquartier und zurück fliegen müssen. Diejenigen Vogelarten, die in der Schweiz bleiben würden, sagt Bachmann, könnten sich relativ schnell anpassen und sich je nach Witterung und Wetter anders formieren.

Langstreckenzieher passen sich zu langsam an

Die Mittel- und Langstreckenzieher, die sogar die Sahara überfliegen und im subsaharischen Afrika überwintern, haben sich zwar ebenfalls langsam an die veränderte Klimalage angepasst. Einige Arten würden nun ein bis zwei Wochen früher in der Schweiz eintreffen, erklärt Bachmann. Allerdings bekämen sie – anders als die Kurzstreckenflieger – nicht mit, dass sich das Klima in Europa ändere und würden sich daher zu langsam an die Klimaerwärmung anpassen.

Dies führt dazu, dass sie zu spät in der Schweiz ankommen. Da die Vögel die Aufzucht der Jungen an das Nahrungsangebot anpassen – sie haben ihre Jungen dann, wenn es viele Raupen im Wald hat –, kann sich das negativ auf den Bruterfolg auswirken: «Wenn die Raupen schon zwei Wochen früher ihren Peak haben, ist die Futterbasis zu klein», stellt der Vogelkundler fest.

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Nahrung und Gene

In der Tat ist die Ernährungslage ausschlaggebend für die Zugbewegungen. Insektenfressende Arten sind im Vorteil, wenn sie rechtzeitig in den Süden ziehen. Ein zeitweilig besonders reiches Nahrungsangebot lockt indes auch manche Arten in mittlere und nördliche Breiten. Allerdings verlassen die Vögel ihr Brutgebiet meistens, obwohl noch genügend Nahrung zur Verfügung steht. Das Zugverhalten wird daher nicht unmittelbar durch das Nahrungsangebot gesteuert; vielmehr besitzen die Vögel eine Art innere Uhr, die alle wichtigen Lebensvorgänge im jahreszeitlichen Rhythmus regelt – auch das Zugverhalten.

Diese biologische Uhr sorgt dafür, dass die Vögel rechtzeitig Energievorräte im Körper anlegen, die sie überhaupt erst dazu befähigen, die teilweise enormen Strecken zu überwinden. Die Uhr löst auch eine sogenannte Zugunruhe aus, wenn es Zeit ist, das Brutgebiet zu verlassen und das Winterquartier aufzusuchen.

Ornithologen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell vermuten, dass die Vögel über Gene verfügen, die Zugverhalten und Zugstrecke steuern. Ihre langjährigen Beobachtungen haben ergeben, dass klassische Langstreckenzieher trotz des Klimawandels stärker an ihren Zugmustern festhalten als Kurzstreckenzieher. Dass ihr Zug genau im Erbgut fixiert ist, stellt einen Vorteil dar, wenn es darum geht, Mittelmeer und Sahara sicher zu überqueren und dabei nicht vom Kurs abzukommen.

Auf die Geschwindigkeit, mit der sich die klimatischen Verhältnisse derzeit und wohl auch in Zukunft ändern, können daher vor allen Dingen die Mittel- und Kurzstreckenzieher – zum Beispiel die Mönchsgrasmücke – reagieren. Ihr «genetisches Programm» ist plastischer, weniger stark fixiert, was ihnen erlaubt hat, innerhalb weniger Generationen neue Flugrouten und Winterquartiere genetisch zu verankern. Für die weniger flexiblen Arten stellt die Klimaerwärmung daher eine grössere Herausforderung dar.

Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla)
Die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) reagiert flexibler auf die veränderten Verhältnisse als Langstreckenzieher. Bild: Shutterstock

Düstere Zukunftsaussichten

Es ist deshalb anzunehmen, dass besonders die Langstreckenzieher in Zukunft noch mehr in Bedrängnis geraten werden. Neben dem bereits erwähnten Umstand, dass sie zu spät im Brutgebiet ankommen, um noch ein optimales Nahrungsangebot anzutreffen, gibt es noch weitere Faktoren, die sie zusehends unter Druck setzen: So dürfte sich die Konkurrenz um geeignete Reviere verschärfen, weil eine wachsende Zahl von flexibleren Arten im Brutgebiet überwintern oder früher heimkehren wird und so frühzeitig die besten Reviere besetzt.

Die zunehmende Versteppung und häufigere Dürreperioden in weiten Gebieten Afrikas aufgrund des Klimawandels stellt eine weitere Gefahr für jene Arten dar, welche die Sahara überfliegen. Durch den steigenden Meeresspiegel gehen grossflächig küstennahe Rastplätze wie Flussmündungen, Wattgebiete und Marschen verloren.

Mittelstreckenzieher: Die Brutgebiete liegen in Europa, die Winterquartiere in Zentralafrika. Die Zugwege verlaufen größtenteils über Land.
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3703421
Vogelzugrouten nach Zentralafrika: Die Überquerung der Sahara wird immer schwieriger.Karte: Wikimedia/Lanzi

Einige Gewinner – und viele Verlierer

Bachmann betont gegenüber SRF, dass sich die Lebensräume der Vögel hierzulande künftig stark verändern werden: «Die Schweiz wird in 100 Jahren anders aussehen als heute.» Es besteht die Gefahr, dass Feuchtgebiete austrocknen werden. Letztlich wird die unterschiedliche Anpassungsfähigkeit der Vogelarten darüber entscheiden, welche verschwinden und welche überleben. Sichere Prognosen sind derzeit kaum möglich.

Der Klimawandel, der nun die Umwelt in 70 bis 80 Jahren so stark verändert wie früher in Jahrhunderten, betrifft mittlerweile bereits 33 Prozent der weltweit bedrohten Arten. Laut einer Analyse von BirdLife International sind 24 Prozent der 570 weltweit untersuchten Vogelarten negativ durch den Klimawandel beeinflusst. Dagegen profitieren nur 13 Prozent von den veränderten klimatischen Verhältnissen.

Bei all diesen dramatischen Umwälzungen, welche die Klimaerwärmung verursacht, darf nicht vergessen werden, dass die grösste Bedrohung für die heimischen Vogelarten vom Verlust des Lebensraums aufgrund menschlicher Aktivitäten ausgeht – etwa durch Überbauungen oder die Landwirtschaft. «Wenn die Vögel bei uns nicht mehr brüten können, weil sie keine Nahrung finden, dann ist das im Moment sicher der Haupttreiber für den Artenverlust», sagt Bachmann dazu. Der Klimawandel werde sich hauptsächlich in der Zukunft stark auf die Vogelwelt auswirken.

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