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Ryan Patrick, der IRA-Priester – und die Schweizer Bomben

Für den irischen Priester Ryan Patrick widersprachen sich Glaube und Gewalt nicht.
Für den irischen Priester Ryan Patrick widersprachen sich Glaube und Gewalt nicht.Bild: Staatsarchiv Aargau / RBA

Der IRA-Priester und die Schweizer Bomben

Bomben in Brighton, Wecker aus der Schweiz und geheime Konten auf Genfer Banken. In den 1980er-Jahren stellte die IRA Grossbritannien und ganz Europa auf eine harte Probe. An ihrer Spitze war auch ein Priester zu finden: Patrick Ryan.
05.10.2025, 17:3505.10.2025, 17:35
Jonas Hirschi / Schweizerisches Nationalmuseum

Mitten in der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 1984 explodiert im Grand Hotel im südenglischen Brighton eine zehn Kilogramm schwere Zeitbombe, die fünf Menschen in den Tod reisst. Im Hotel logieren zahlreiche konservative Gäste, welche dem Tory-Parteitag beiwohnen. Am nächsten Morgen bekennt sich die Irish Republican Army (IRA) zum Anschlag. Das Bomben-Attentat zielte vor allem auf die britische Premierministerin, Margaret Thatcher, ab – weil die sich geweigert hatte, den irischen Hungerstreikenden von 1981 einen Sonderstatus als politische Häftlinge zu gewähren.

Thatcher überlebt das Attentat. Doch wie die IRA am nächsten Morgen verlauten liess: «Today we were unlucky, but remember we have only to be lucky once, you will have to be lucky always.» Damit übernahm die Organisation nicht nur die Verantwortung für den Anschlag, sondern signalisierte, dass sie wieder zuschlagen könnte und eine totale Sicherheit unmöglich zu garantieren sei.

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TV-Bericht über das Attentat von Brighton.Video: YouTube/British Pathé

Das Bomben-Attentat von Brighton löst weltweite Bestürzung aus. So auch beim Bundesrat, der noch am selben Tag ein Telegramm an Thatcher verschickt, um «mit Abscheu und Bestürzung» auf den Anschlag zu reagieren. Was der Bundesrat zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: In das Attentat von Brighton waren Gelder und Bombenteile aus der Schweiz verwickelt. Verantwortlich dafür ist ein spezielles Mitglied der IRA: der katholische Priester Patrick Ryan.

Iron Lady: Margaret Thatcher überlebte das Attentat nur knapp, machte aber am nächsten Morgen unbeirrt weiter, was ihr in Grossbritannien viel Anerkennung brachte. Artikel der Zeitung Der Bund vom 13. ...
Iron Lady: Margaret Thatcher überlebte das Attentat nur knapp, machte aber am nächsten Morgen unbeirrt weiter, was ihr in Grossbritannien viel Anerkennung brachte. Artikel der Zeitung Der Bund vom 13. Oktober 1984.Bild: e-newspaperarchives

Patrick Ryan kommt 1930 im irischen County Tipperary in einer Bauernfamilie zur Welt. Mit 18 Jahren tritt Ryan ins Priester-Seminar ein und wird kurz nach seiner Ausbildung nach Tansania auf Mission geschickt. Zurück in Irland wird Ryan mit der Spendenverwaltung des Pallottinerordens beauftragt. Sein Ziel war die Rückkehr in ein ostafrikanisches Land. Doch dann bricht in den späten 1960er-Jahren der Konflikt aus, der als The Troubles in die Geschichte eingehen sollte. Eine Bürgerrechtsbewegung der diskriminierten katholischen Minderheit in Nordirland wird wiederholt von der britischen, unionistischen Seite gewaltvoll eingegrenzt. Irische Nationalisten und Republikaner reagieren ihrerseits mit Anschlägen.

TV-Reportage über Unruhen in Londonderry, 1969.Video: YouTube/British Pathé

Ryan liest nach Ausbruch der Troubles täglich die Zeitung und verlegt seinen inneren Fokus von Afrika nach Nordirland. Folgerichtig übermittelt er das gesammelte Geld nicht mehr an Missionsprojekte in Afrika, sondern heimlich an die paramilitärische Gruppe der IRA. Diese hat für Ryan bald einen besonderen Auftrag: Er solle als Afrika-Kenner nach Libyen reisen und den Freiheitskämpfer, Muammar al-Gaddafi, treffen. Dieser sieht im irischen Ringen mit dem britischen Empire den gleichen antikolonialistischen Kampf, den viele afrikanische Völker führen. Er zeigt sich deshalb bereit, der IRA Waffen zu liefern und sie mitzufinanzieren. Die Gelder werden auf Schweizer Bankkonten überwiesen und Ryan übernimmt deren Verwaltung. Dafür reist er immer wieder nach Genf.

Uhrenstadt Genf

An einem kalten Wintermorgen 1975 flaniert Patrick Ryan durch die Strassen der Calvinstadt und schaut sich die Schaufenster an. Bei einem Uhrengeschäft bleibt der Priester länger stehen. Nicht, weil ihn die Luxusuhren interessieren, sondern weil er ein winziges Gerät, einen sogenannten Swiss Memo-Timer, erspäht. Dieser tragbare Wecker in der Grösse eines Schlüsselanhängers funktioniert wie eine Eieruhr. Einmal aufgezogen, informiert der Timer, wenn eine gewisse Zeit abgelaufen ist – meist wird er als Erinnerung für das Ablaufen einer gestellten Parkuhr eingesetzt. Die Einsatzmöglichkeiten sind jedoch unbeschränkt. Beworben wird der Memo-Timer denn auch mit dem Spruch: «Everyone you know can use this Swiss MemoTimer». Ryan denkt keine Sekunde an Parkuhren. Nein, ein einfach zu bedienender Zeitzünder ist wie gemacht für die IRA-Bomben.

Inserat für den Swiss MemoTimer im US-Magazin Look, 1968.
Inserat für den Swiss MemoTimer im US-Magazin Look, 1968.Bild: zVg

Und so bringt Ryan von seinem Schweiz-Ausflug dieses Mal nicht bloss Geld auf die Grüne Insel, sondern auch dutzende Timer, die er erfolgreich als Zeitzünder in Bomben einbaut. Er präsentiert seine Erfindung der IRA und überzeugt sie, dass der leicht zu bedienende Memo-Timer auch in stressigen Situationen einfach anwendbar sei und die Sicherheit der Bombenleger erhöhen würde. Das «engineering department» der IRA modifiziert anschliessend die Memo-Timer so, dass sie über einen längeren Zeitraum von bis zu mehreren Tagen aufgezogen werden können. Bombenleger brauchten nun bloss den Swiss Memo-Timer an der Bombe aufzuziehen und konnten sich anschliessend in Sicherheit bringen. Die IRA ist so begeistert von Ryans Innovation, dass dieser im nächsten Halbjahr gleich 950 dieser Timer aus der Schweiz nach Irland importiert.

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Diese ausserordentliche Ausfuhrmenge des an sich unschuldigen Geräts bleibt der schweizerischen Bundesanwaltschaft nicht verborgen. Sie lässt Ryan deshalb am 26. Juli 1976 verhaften. Dieser droht im Verhör, dass seine Verhaftung zu Gewaltakten gegen Drittparteien führen könne. Die schweizerische Botschaft in London wird über die Drohung informiert, welche am 31. Juli 1976 in Zusammenarbeit mit Scotland Yard Sicherheitsmassnahmen für das Botschaftspersonal erlässt.

Patrick Ryan wurde im Juli 1976 in der Schweiz verhaftet, konnte das Gefängnis jedoch bereits nach zehn Tagen wieder verlassen.
Patrick Ryan wurde im Juli 1976 in der Schweiz verhaftet, konnte das Gefängnis jedoch bereits nach zehn Tagen wieder verlassen.Bild: Staatsarchiv Aargau / RBA

Ryan wird zwar kurz darauf freigelassen, aber die Bundesanwaltschaft verfügt ein Einreiseverbot für den IRA-Priester. Dieser legt Rekurs ein und erklärt, er müsse in die Schweiz reisen, um humanitäre Aktivitäten in Afrika finanzieren zu können, doch der Bundesrat lehnt den Rekurs ab.

Der Schaden ist aber bereits angerichtet. Hunderte Teile des Memo-Timers aus der Schweiz werden später etwa beim Warrenpoint Ambush von 1979 gefunden, wo 18 britische Soldaten umgebracht werden, oder eben 1984 beim Brighton Hotel Bombing. Damit war die Schweiz – wenn auch indirekt – durch die Lieferung von Kriegsmaterial und die Nutzung von Schweizer Bankkonten in den Nordirlandkonflikt verwickelt. In diesem Fall hätte die Ausfuhr der kleinen Wecker jedoch selbst mit dem Kriegsmaterialexportgesetz nicht verboten werden können.

Nach kurzer Krankheit stirbt Patrick Ryan am 15. Juni 2025 in Dublin. Seine letzten Jahre hat der IRA-Priester zurückgezogen in einer Pflegeeinrichtung verbracht. Bereut hat er seine Handlungen nie.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Der IRA-Priester und die Schweizer Bomben» erschien am 2. Oktober.
blog.nationalmuseum.ch/2025/10/der-ira-priester-und-die-schweizer-bomben
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7 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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NotSweden
05.10.2025 18:39registriert März 2022
Also Schweizer Bomben ist schon etwas übertrieben. In der Englischen Version des Artikels heisst es der IRA Priester und die Schweizer Verbindung ( Swiss Connection). Solche mechanischen Timer und Eieruhren sind doch nichts spezielles, hatte selbst so ein Ding. Was viel interessanter ist, ist dass jemand wegen 950 nach Irland exportierten Timern den Alarm ausgelöst hat, und die Sache aufgeflogen ist. Da würde mich mehr Hintergrundinformation interessieren. Und laut Suche wurde dann die Herstellung dieser Timer unterbunden - gibt es mehr Info dazu?
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Der Archäologe Jakob Wiedmer kam durch seine Heirat mit der Wengener Hotelbesitzerin Marie Stern eher zufällig in Kontakt mit dem Tourismusboom der Belle Époque im Berner Oberland. Seine Eindrücke verarbeitete er im tourismuskritischen Roman «Flut», der umgehend zum Rückzug als Hoteldirektor führte.
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