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Wie Abholzung die Biodiversität des Regenwalds bedroht

Entwaldung im Land des indigenen Volkes Pirititi im Bundesstaat Rondônia, Brasilien. 
https://infoamazonia.org/en/2023/03/21/deforestation-in-the-amazon-past-present-and-future/
Holzschlag im brasilianischen Bundesstaat Rondônia. Bild: Infoamazonia

Wie Abholzung die Biodiversität des Regenwalds bedroht

16.01.2025, 11:0020.01.2025, 09:42
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Nirgendwo auf der Erde ist die Artenvielfalt grösser als in den tropischen Regenwäldern und den Korallenriffen. Die tropischen Regenwälder bedecken mittlerweile nur noch ungefähr 7 Prozent der Erdoberfläche, doch sie beheimaten je nach Schätzung zwischen 40 Prozent und 70 Prozent aller auf der Erde lebenden Arten.

Der Grund für die extrem ausgeprägte Biodiversität dieses Ökosystems ist nicht vollständig geklärt. Grundsätzlich nimmt die Artenvielfalt von den Polen zum Äquator hin zu, wobei Faktoren wie die ganzjährig hohe Sonneneinstrahlung und hohe Niederschläge eine wichtige Rolle spielen. Hinzu kommen eher nährstoffarme Böden – was auf den ersten Blick paradox anmutet. Doch die Nährstoffarmut befördert in der Tat die Biodiversität, da der Nährstoffmangel verhindert, dass eine Spezies überhandnehmen kann. Die Arten sind zur Diversifikation gezwungen; jede ökologische Nische muss genutzt werden. Zudem hat das hohe Alter der Regenwälder – sie sind zum Teil viele Millionen Jahre alt – zur Artenvielfalt beigetragen.

Grundlage der menschlichen Existenz

Diese überbordende Vielfalt des Lebens ist nicht nur ein Wert für sich, sondern stellt auch eine wichtige Grundlage der menschlichen Existenz dar: Biodiversität besteht nämlich nicht nur in der Vielfalt der Arten, sondern auch in der genetischen Vielfalt innerhalb der Arten und in der Vielfalt der Ökosysteme. Und diese Ökosysteme sind komplex: Unterschiedliche Arten besetzen unterschiedliche Nischen im Ökosystem; fehlen Arten, stört dies die Ökokreisläufe. Wenn etwa Insektenarten aussterben, hat dies nicht nur Auswirkungen auf die Vögel, die sich von ihnen ernähren, sondern auch auf die Bestäubung von Pflanzen. Dies wiederum kann sich negativ auf die Produktivität der Landwirtschaft auswirken.

Die drei (wesentlichen) Ebenen der Biodiversität (Beispiel: Tropischer Regenwald Ecuadors).
https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=78800851
Drei Ebenen der Biodiversität am Beispiel des tropischen Regenwalds in Ecuador.Grafik: Wikimedia/Fährtenleser

Der tropische Regenwald spielt überdies eine wichtige Rolle für die Regulierung des Klimas. Die «grünen Lungen» des Planeten binden Kohlendioxid («CO₂-Senken») und produzieren Sauerstoff. Zudem verhindert der Wald die Erosion der Böden; wird er abgeholzt, trocknet der Boden aus, kann die Niederschläge nicht mehr absorbieren und wird weggeschwemmt. Ist der Regenwald erst einmal abgeholzt oder brandgerodet, kann er nicht mehr aufgeforstet werden, da es sich um ein über Millionen von Jahren entstandenes System mit vielseitigen Beziehungen handelt.

View Of A Barren Mangrove Forest Environment Due To Illegal Tin Sand Mining, In The Village Of Belo Laut in Indonesia.
Zerstörter Mangrovenwald aufgrund von illegalem Zinnsand-Abbau in Indonesien. Bild: Imago

Dramatischer Waldschwund

Obwohl der tropische Regenwald mit seiner Biodiversität für die Menschheit essenziell ist, behandeln wir ihn schlecht: Noch um 1950 dürften laut Schätzungen etwa 16 bis 17 Millionen Quadratkilometer der Erdoberfläche von tropischem Regenwald bedeckt gewesen sein, also rund 11 Prozent der Landfläche des Planeten. Allein bis 1985 nahm diese Fläche auf etwa 8,5 Millionen Quadratkilometer ab; heute sind es geschätzt nur noch rund 7 Millionen Quadratkilometer. Mehr als die Hälfte des Bestandes wurde bereits vernichtet. Allein das Amazonas-Gebiet, die bedeutendste globale Regenwald-Ressource, könnte laut einer Studie aus dem Jahr 2022 innerhalb von fünf Jahren so viel Regenwald verlieren wie in den vergangenen 20 Jahren zusammen.

Diese Entwicklung gefährdet auch die Biodiversität enorm. In den nächsten Jahrzehnten sind rund eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, wie ein Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES von 2019 festhält. Die meisten betroffenen Arten leben im tropischen Regenwald oder in den Korallenriffen, den «Regenwäldern des Ozeans». Viele dieser Arten werden unwiederbringlich verschwunden sein, bevor sie überhaupt entdeckt wurden. Schuld daran ist der Mensch, der die Lebensräume dieser Arten zerstört und daher für das sechste Massenaussterben in der Geschichte der Erde – wie manche Experten es sehen – verantwortlich ist.

Abnahme der Biodiversität

Die Zerstörung des Lebensraums ist denn auch der Hauptgrund für das Artensterben in den tropischen Regenwäldern. Der Schwund des Regenwalds führt unweigerlich zu einer Abnahme der Artenvielfalt von Fauna und Flora. So bewirken etwa bereits veränderte Lichtverhältnisse – wenn die Baumriesen mit ihren ausladenden Kronen gefällt werden – ein verändertes Wachstumverhalten der verschiedenen Pflanzenarten. Pflanzen, die viel Licht benötigen, verdrängen dann Arten, die Schatten bevorzugen. Viele Pflanzen sind überdies bei der Fortpflanzung auf Tiere angewiesen, die Samen verbreiten. Wenn der Lebensraum dieser Tiere nicht mehr vorhanden ist, sind auch diese Pflanzen betroffen.

Alle drei grossen verbliebenen Regenwaldgebiete der Erde – Amazonien, das Kongobecken in Zentralafrika sowie Südostasien/Neuguinea – sind in unterschiedlichem Ausmass durch menschliche Aktivitäten bedroht. Der wichtigste Treiber der Entwaldung ist weltweit, besonders aber in Südostasien, die Agroindustrie. Immer mehr ins Gewicht fallen dabei grossflächige kommerzielle Monokulturen, etwa Palmölplantagen in Südostasien oder der Anbau von Soja als Futtermittel für die Fleischproduktion in Südamerika. Im Amazonasgebiet war die Viehzucht für mehr als vier Fünftel des Regenwaldverlusts in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts verantwortlich.

Viehhaltung und Futtermittelanpflanzung für die Produktion von Rindfleisch sind der wichtigste Treiber für die Abholzung in Brasilien – und damit auch für die entsprechenden CO₂-Emissionen.
Aerial view of forest destroyed to make way for oil palm plantations. Deforestation. Environmental destruction. Borneo, Malaysia.
Abholzung von Regenwald im malaysischen Teil Borneos für die Anlage von Palmölplantagen.

Daneben spielt auch die Jagd auf grosse Wirbeltiere eine Rolle bei der Abnahme der Biodiversität – sie hat oft grosse Auswirkungen auf die Ökosysteme, da diese Tierarten darin meist eine Schlüsselstellung einnehmen. Auch die Ausbreitung invasiver Arten destabilisiert die komplexen Ökosysteme des Regenwalds. Verschärft wird die gesamte Problematik in einigen Regionen durch politische Instabilität und bewaffnete Konflikte, dies vornehmlich in Afrika.

Soziale und ökologische Folgen des Palmölanbaus

Video: srf/Roberto Krone

Der Verlust der Vegetation folgt in der Regel den Zugangswegen, die den Wald durchschneiden, also Strassen, Flüssen oder Landebahnen. Den Holzfällern der grossen Holzfirmen folgen häufig Kleinbauern, die immer weiter in den Wald vordringen. Die Waldbrände, die sie legen, um Waldstücke zu roden und Ackerland zu gewinnen, stellen ein wachsendes Problem dar. So zeigen neuste Daten aus Brasilien, dass der Amazonas-Regenwald nach einer monatelangen Dürre von der höchsten Anzahl an Feuern seit 17 Jahren betroffen war.

Orang Utan im Regenwald auf der Insel Borneo.
Der Lebensraum für Tiere wie die Orang-Utans auf Borneo schrumpft ständig.Bild: Shutterstock

Zarte Anlässe zur Hoffnung

Immerhin gab es aber auch einen Lichtblick: Das National Institute for Space Research (INPE) teilte im vergangenen Juli mit, dass die Entwaldung in der Region im ersten Halbjahr 2024 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 38 Prozent zurückgegangen sei. «Dies gibt uns die Hoffnung, dass wir – wie im Fall des Atlantischen Regenwaldes – durch einen konsequenten Rückgang die Entwaldung bis 2030 auf null reduzieren können», sagte die zuständige Ministerin Marina Silva.

Anlass zu moderater Hoffnung gibt ausserdem eine neue Studie, die im Wissenschaftsmagazin «Nature» erschienen ist. Sie stellt zwar am Beispiel Malaysias fest, dass Abholzung und Brandrodung die Ökosysteme in Regenwäldern verändern und weniger widerstandsfähig machen. Doch auch solche bewirtschafteten Tropenwälder beherbergen bis zu einem gewissen Grad noch eine florierende Flora und Fauna. Bis zu einem Schwellenwert von 29 Prozent Biomasse-Verlust bleibe die Artenvielfalt weitgehend erhalten, schreiben die Studienautoren. Diese Wälder können sich wieder erholen und dienen weiterhin als CO₂-Senke.

Wird hingegen der Schwellenwert von 68 Prozent Biomasse-Verlust überschritten, sterben viele Pflanzen und Tiere aus oder werden durch invasive Arten verdrängt; der Regenwald ist dann tatsächlich verloren. Zum Schutz der Biodiversität und des Klimas lohnt es sich also, nicht nur unberührte und intakte Regenwälder zu bewahren, sondern auch bereits veränderte Wälder.

(dhr)

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60 Kommentare
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Relativist
16.01.2025 11:44registriert März 2018
Wir fuhren mit dem Fahrrad über mehrere Monate durch Borneo (Malaysia und Indonesien). Die Dimension und Geschwindigkeit der Abholzung kann gar nicht übertrieben ausgedrückt werden. Es ist kaum in Worte zu fassen (und Zahlen wirken abstrakt). Erst wenn man es gesehen hat erfasst man die unglaubliche Zerstörung. Wenn man tagelang durch Palmölplantagen fährt merkt man erst, wie tot diese grünen Wüsten sind. Eine der deprimierendsten Momente während zwei Jahren quer durch Asien fahren.
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