70 Franken oder gar nix: Auf diese etwas vereinfachte Alternative dürfte der Showdown bei der Altersvorsorge 2020 hinaus laufen. Nächste Woche geht es im Parlament definitiv um die Wurst. Bis Freitag muss die Rentenreform unter Dach sein, damit die Volksabstimmung am 24. September stattfinden und sie Anfang 2018 in Kraft treten kann. Auch ein Scheitern auf der Ziellinie ist möglich, denn die Fronten zwischen National- und Ständerat sind verhärtet.
Am Donnerstag haben sich SVP, FDP und GLP in der zuständigen Kommission des Nationalrats ein weiteres Mal um eine Annäherung bemüht. Dafür «schlachteten» sie sogar eine «heilige Kuh», die AHV-Schuldenbremse, die zu einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre führen würde. Man komme dem Ständerat «einen weiteren grossen Schritt entgegen» und reiche ihm die Hand, hielten die Präsidenten der drei Parteien in einer Mitteilung fest.
Die letzten gewichtigen Streitpunkte sind die Erhöhung der Mehrwertsteuer für die AHV (der Nationalrat will 0,6 Prozent, der Ständerat 1 Prozent) und der Ausgleich für den tieferen Umwandlungssatz in der beruflichen Vorsorge. Bei Punkt eins ist eine Einigung möglich, etwa auf 0,8 Prozent. In der Kompensationsfrage ist dies so gut wie ausgeschlossen. Der Ständerat beharrte am letzten Dienstag auf einem Zuschlag von 70 Franken bei der AHV für Neurentner.
Darin wird sich kaum etwas ändern. Die «70-Franken-Allianz» aus SP, CVP, BDP und Grünen zeigt keinerlei Risse, trotz massivem Druck von rechts und «Heckenschützen» von links, die das höhere Frauenrentenalter bekämpfen. CVP-Präsident Gerhard Pfister verteidigt als «Rechtsausleger» seiner Partei die ständerätliche Lösung genauso wie linke Sozialdemokraten, die in einem «offenen Brief» vor einer neuen «Kampagne von rechts» für das Rentenalter 67 und Rentenkürzungen warnen.
Auf der Gegenseite ärgert man sich über die harte Haltung. «Der Ständerat bewegt sich nicht. Das ist untypisch für unser System», meint die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Für ihre Partei seien die 70 Franken «nicht akzeptabel», betont die Sozialpolitikerin: «Wir wollen die AHV sanieren, nicht ausbauen.» Sauters Ärger ist verständlich, denn es ist absehbar, dass sich die 70-Franken-Lösung im Tauziehen zwischen den beiden Parlamentskammern durchsetzen wird.
Der Nationalrat dürfte am Montag dem Beschluss seiner Kommission folgen. Deshalb wird am Dienstag die Einigungskonferenz zum Einsatz kommen, die aus je 13 Mitgliedern von National- und Ständerat besteht. Das Mitte-links-Bündnis ist in der Mehrheit und dürfte die 70 AHV-Franken «durchpeitschen», was eigentlich nicht dem Sinn dieses Gremiums entspricht. Angesichts der harten Fronten ist ein anderes Szenario jedoch kaum denkbar.
Danach wird es richtig spannend. Am Donnerstag müssen beide Kammern den Entscheid der Einigungskonferenz absegnen. Wegen der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse reicht die einfache Mehrheit nicht. Benötigt wird das qualifizierte Mehr. Im Ständerat dürfte dies kein Problem sein, doch im Nationalrat sind 101 Stimmen erforderlich. FDP und SVP kommen zusammen auf genau diese Zahl, sie könnten die Reform «bachab» schicken.
Die ständerätliche Allianz ist somit auf «Überläufer» aus diesen Parteien angewiesen. Und auf die sieben Vertreter der Grünliberalen. Sie marschieren gemeinsam mit SVP und FDP, haben aber angetönt, dass sie ein Scheitern der Altersvorsorge 2020 vermeiden wollen. Entscheiden will die Fraktion erst, wenn der Beschluss der Einigungskonferenz vorliegt, sagt die Berner Nationalrätin Kathrin Bertschy.
«Wir sind uns der grossen Verantwortung bewusst», meint Bertschy und bezieht sich dabei sowohl auf die aktuelle Reform wie auf grundsätzliche Erwägungen. «Wir dürfen die sehr hohen Kosten für die kommenden Generationen nicht verschweigen», sagt die 37-Jährige. Die AHV gerate zunehmend in Schieflage, grosse Finanzierungslücken seien absehbar. «Die ehrliche Antwort lautet: Wir müssen länger arbeiten, die Renten kürzen oder mehr einzahlen.»
Für solche Grundsatzdebatten allerdings ist es zu spät. Plausibel ist, dass die GLP zähneknirschend auf die 70 Franken umschwenken wird. Damit sind die nötigen 101 Stimmen im Nationalrat aber nicht gesichert. FDP und SVP erwägen, die Vorlage zum strategischen Geschäft zu erklären und ihre Ratsmitglieder damit noch mehr unter Druck zu setzen.
Ein eigentlicher Stimmzwang aber ist nicht möglich, weshalb die Gegenseite zuversichtlich ist. Bei FDP und SVP gebe es einige, die Sympathien hätten für die 70-Franken-Lösung, meint ein führender Vertreter des ständerätlichen Lagers. Als «Wackelkandidaten» gelten insbesondere Bauernvertreter.
Zwei Gründe sollen ein Scheitern der Reform verhindern. Ende 2017 läuft der Mehrwertsteuer-Zuschlag von 0,4 Prozent für die IV aus. Er soll weitergeführt werden, hauptsächlich zugunsten der AHV. Falls die Altersvorsorge 2020 im Parlament abstürzt, ist eine nahtlose Fortsetzung nicht möglich, was zu mühsamen und kostspieligen Umstellungen für die Wirtschaft und insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen führen würde.
«Das Auf und Ab der Mehrwertsteuer ist Gift für die Gewerbebetriebe», sagte der frühere Solothurner FDP-Ständerat und Gewerbeverbands-Vize Rolf Büttiker in der «Nordwestschweiz». Noch dringlicher ist der Handlungsbedarf bei den Rentenkassen, die wegen der Pensionierung der Babyboomer strapaziert werden. Weshalb selbst Fachleute, die mit den 70 AHV-Franken wenig anfangen können, eindringlich vor einem Scheitern der Reform warnen.
Diese Erwägungen könnten den Ausschlag geben, dass die 70-Franken-Lösung die «Woche der Wahrheit» im Parlament überstehen wird. Der wahre Härtetest steht danach erst bevor. Das Referendum von links wegen der Erhöhung des Frauenrentenalters ist bereits angekündigt. Eines von rechts aus Wirtschaftskreisen dürfte folgen. Und im September wird abgestimmt.