Recep Tayyip Erdogan lässt sich von seinen Anhängern feiern.Bild: Lefteris Pitarakis/AP/KEYSTONE
Kommentar
Erdogan hat das Land tief gespalten –
und deshalb verloren
Das «Ja» zur Verfassungsreform ist eine Niederlage für Präsident
Erdogan. Nun müsste er auf seine Gegner zugehen. Man darf
bezweifeln, dass er dies tun wird.
Man könnte leicht
zum Zyniker werden. Und anerkennen, dass sich Recep Tayyip Erdogan «anständiger» benommen hat als andere Autokraten. Die pflegen
ihre Macht in der Regel mit 99,X Prozent «absegnen» zu
lassen. Der türkische Präsident wirkt im Vergleich wie ein
lupenreiner Demokrat. Die Verfassungsänderung, die ihm eine fast
unbeschränkte Machtfülle verschaffen wird, scheint nur knapp
angenommen worden zu sein. Wenn überhaupt.
Die Opposition will
das Ergebnis anfechten. Sollte es zutreffen, dass die Wahlkommission
kurzfristig auch Stimmzettel akzeptiert hat, die nicht ordnungsgemäss
abgestempelt wurden, wäre dies ein Verstoss gegen alle demokratischen Grundlagen. So oder so: Die Abstimmung hat gezeigt, dass die Türkei ein tief gespaltenes Land ist.
Erdogan hat sich im
Abstimmungskampf nicht einmal annähernd bemüht, die Kluft zwischen Anhängern und Gegnern zu überbrücken. Im Gegenteil: Obwohl
er als Staatsoberhaupt zur Neutralität verpflichtet wäre, hat er sie weiter vertieft. Wohin das geführt hat, zeigt ein Blick auf die
politische Landkarte, insbesondere auf jene Regionen, die gegen ihn
waren.
Mit Nein gestimmt
haben die grossen Städte. Man darf davon ausgehen, dass dieses Votum
nicht nur auf das Konto der liberalen Eliten ging. In Istanbul
und Izmir bekommt man zu spüren, dass sich das einst
ausserordentliche Wachstum der türkischen Wirtschaft abgekühlt hat.
Und selbst die Hauptstadt Ankara, in der Erdogan seinen protzigen
Palast errichtet hat, sagte Nein.
Mit Nein gestimmt
haben die Kurdengebiete im Osten. Dabei genoss Erdogan
einst bei religiös-konservativen Kurden einen guten
Ruf. Er hat ihre Kultur und Sprache anerkannt, während die
Kemalisten ihnen die Existenzberechtigung als eigene Volksgruppe
absprachen. Der vor zwei Jahren wieder aufgeflammte Bürgerkrieg aber
hat nicht nur zu massiven Zerstörungen in Städten wie Diyarbakır
geführt, sondern auch viel Vertrauen vernichtet.
Mit Nein gestimmt
hat auch die Mittelmeerküste. Der Tourismus in den Badeorten
hat bereits durch die Anschläge von militanten Kurden und «IS»-Terroristen gelitten. Die Nazikeule, mit der Erdogan auf die
Europäer eindrosch, hat da gerade noch gefehlt. Nun werden diese
Europäer halt beim Griechen, dem alten Erzfeind, Ferien machen. Oder
in Ägypten, das wieder im Kommen ist. In der Südtürkei aber werden
in diesem Sommer viele Gäste und Jobs fehlen.
Sollte das Ja
bestätigt werden, gäbe es für Erdogan nur eine
Priorität: Er muss das zerrissene Land einen und auf die
Gegner im eigenen Land ebenso zugehen wie auf die beschimpften
Europäer. Vermutlich aber wird er das knappe
Ergebnis als Aufforderung verstehen, möglichst schnell vollendete
Tatsachen zu schaffen.
Für die Türkei
sind dies keine erbaulichen Perspektiven. Eine Lockerung des harten
Regimes gegenüber Medien und Oppositionellen ist nicht zu erwarten.
Die Lage für die türkische Wirtschaft bleibt prekär. Für Europa
wird das NATO-Land Türkei ein unberechenbarer Partner bleiben. Den
Flüchtlingsdeal wird Erdogan auch als «Süper-Präsident» kaum
aufkündigen. Aber er wird noch verstärkt den Schulterschluss mit Autokratenfreund Wladimir Putin suchen.
Bleibt nur ein
gänzlich unzynischer Trost: Die Türkei hat in den letzten 100
Jahren einige dunkle Epochen erlebt. Am Ende brachten die Krisen das
Land aber immer voran. Man darf hoffen, dass es auch dieses Mal so
kommen und der Erdogan-Spuk irgendwann verschwinden wird.
Die AKP im Siegestaumel
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Die AKP im Siegestaumel – so jubeln Erdogans Anhänger auf den Strassen der Türkei
Nach Auszählung praktisch aller Stimmzettel am Sonntagabend führt das Ja-Lager beim Referendum in der Türkei laut Medien mit 51,3 Prozent.
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Die beliebtesten Kommentare
Stratosurfer
17.04.2017 07:14registriert März 2014
Ein dunkler Tag für die Türkei - Die Demokratie hat sich selber abgeschafft. Absolut unbegreiflich dieser Führerkult.
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