In der «Arena» des Schweizer Fernsehens sitzt das Volk im Dunkeln. Als Dekor. Und «die im Dunkeln sieht man nicht», sagte Bert Brecht. Das wollte Jonas Projer ändern. Zumindest für zwei Sendungen sollte dieses Volk ans Licht gezogen werden. Der Service public ist doch, wenn man ihn ernst nimmt, nicht nur ein Angebot, sondern auch ein Gesprächsraum von Bürgern für Bürger. Nun sollte also das Volk zum Zuge kommen. In zwei Sendungen zunächst, als Experiment. Schweizerinnen und Schweizer, und auch ein paar nicht kriminelle Ausländer. Das Team um Jonas Projer hat dafür keinen Aufwand gescheut.
Für die erste Sendung, zur «2. Gotthardröhre», zeichnete die «Arena» im Vorfeld das Pro und Kontra der politischen Kaste auf, und die «normalen» Bürger konnten über die sozialen Medien ihre Fragen stellen. Es waren im Ergebnis um die 200 an der Zahl, und davon schafften es 4 (in Worten: vier) in die Sendung. In der Form von Schrifteinblendungen. Es war ein keimfreier Auftritt des «Volkes». Viel Aufwand für wenig Ertrag. Sterilisierte Fernsehdemokratie. Man darf sagen: Das Experiment war gescheitert. Das Volk hatte schlicht kein Gesicht.
So war es ganz im Sinne des «Arena»-Leiters, in der zweiten Sendung über die Durchsetzungs-Initiative echtes Volk in die «Arena» zu bringen. Die Schau der Machtverhältnisse Das Setting, die Aufteilung des Raums, blieb wie gehabt. Die Vertreter der offiziellen Politik hatten ihren Auftritt in der ersten Reihe. Mit Philipp Gut, stellvertretender Chefredaktor der «Weltwoche». Adrian Amstutz, Präsident der SVP-Fraktion in der Bundesversammlung, Daniel Jositsch (SP), Ständerat des Kantons Zürich, und Knackeboul (alias David Lukas Kohler), Rapper und Redaktor (watson.ch). Der frühere Fernsehmoderator («Zambo», «joiz») war in Denken und Sprache immerhin so etwas wie ein Vertreter des Volkes.
Wie das Setting blieb auch die etablierte Hierarchie: Politik ist im Fernsehen die Sache einer eigenen Kaste. Die erste Viertelstunde parlierte die Kaste unter sich, wandte dem «Volk» auf den hinteren Bänken den Rücken zu und verkörperte die Machtverhältnisse, die sich auch in den Service-public-Medien stetig reproduzieren. Eine gleichberechtigte Diskussion sieht anders aus – vom grossen Ideal des «herrschaftsfreien Dialogs» gar nicht zu reden. So schneidet – als eines von etlichen Beispielen aus dieser «Arena» – der SVP-Fraktionschef dem jungen Schweizer Sohn tamilischer Einwanderer das Wort ab, wenn dieser von den Ängsten seiner Eltern erzählt. Das könnte das Publikum vor den Bildschirmen zu Hause möglicherweise berühren. Bis der Moderator den Politiker einigermassen barsch zum Schweigen bringt.
Wenn jemand zu einer aufgeklärten Debatte in dieser «Arena» beigetragen hat, dann waren es in der Tat immer wieder die «ganz normalen Bürger». Es war der Busfahrer, der von den Ansprüchen, die er an sich selber stellt, persönlich und beruflich, die Ansprüche an die Ausländer ableitete, die bei uns leben, wohnen und arbeiten. Das macht ihn zum Befürworter der Initiative. Und auf der Gegenseite war es der italienische Secondo mit dem breiten Berndeutsch, der nach 50 Jahren nun doch den Antrag auf einen Schweizer Pass gestellt hat, weil er nicht nur mitreden und mitarbeiten, sondern auch mit abstimmen möchte. Und der über die Angst sprach, ohne jede kriminelle Absicht erfasst zu werden von den Ausschaffungsgründen, zum Beispiel durch Verkehrsdelikte.
Der vorgefertigte, vorgestanzte Stehsatz der Politik ist dem gegenüber nur noch von begrenztem Interesse. Bewegend und spannend wird die «Arena» – und das hat diese Sendung klar gezeigt –, wenn wir den Menschen im Studio zusehen können beim Verfertigen der Gedanken. Wenn die Menschen auch und gerade in der Polit-Diskussion zuhören, vielleicht sogar nachdenken und in ihrer Rede eingehen auf die Argumente der Gegenseite, kurz: wenn sie bereit sind, ein echtes Gespräch zu führen. Es gibt kaum etwas Spannenderes und Anregenderes.
So gesehen, war das «Arena»–Experiment verdienstvoll. Es hat zumindest angedeutet, was die Konfrontation der Kasten mit den «normalen Bürgern» bringen könnte – die in unserem Land übrigens nicht nur alle vier Jahre der Souverän sind. Auch dieses Bewusstsein könnte eine solche Sendung wieder reaktivieren. Das braucht allerdings eine neue «Arena». Vielleicht sogar eine neue SRG.
Wenn das Modell der Publikumsbeteiligung tragfähig werden soll, muss sich die «Arena» – und die Medienarbeit der SRG insgesamt – stark und stetig vernetzen mit der Bevölkerung, die sie tragen soll. Sie kann nicht von Aufrufen zur Mitwirkung leben wie in dieser «Arena». Das Risiko der Mobilisierung von Parteigängern ist schon bei diesem Experiment spürbar geworden. Sie muss in der Lage sein, Bürgerinnen und Bürger beizuziehen, die nicht schon mit festgezurrten Parteimeinungen antreten. Menschen mit gesellschaftlichem Engagement und mit eigenständiger Fachkenntnis und der notwendigen Ausdrucksfähigkeit.
Das Schweizer Fernsehen hat im Wahlkampf 2015 mit der «politbox» gezeigt, dass solches «Community Building» auch für das Fernsehen geht und wie es geht. Das Format, das junge Menschen und alte Menschen, Frauen und Männer, Eingeborene und Eingewanderte zur Information und zur Debatte zusammenbringt, ist entwicklungsfähig. Wenn es nicht zu langeeingemottet, sondern zügig weiterpraktiziert wird, zum Beispiel mit der «Arena», entsteht bei den Gebührenzahlern und den Bürgerinnen und Bürgern vielleicht sogar die Idee, dass die SRG tatsächlich ihr Medienhaus ist.
*Robert Ruoff war von 1981 bis 2004 beim Schweizer Fernsehen, u.a. bei der «Tagesschau». Heute ist er freier Publizist.