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Im Trubel des «Strichkampfes» ist eine grosse Leistung eines grossen Trainers beinahe vergessen worden. Marc Crawford hat zum dritten Mal in Serie die Qualifikation gewonnen.
Die Qualifikation gewonnen? Na und? Tatsächlich hat der Titel eines Qualifikationssiegers in unserem Hockey keinen Wert. Und eine Titelgarantie ist damit schon gar nicht verbunden. In den letzten zehn Jahren haben nur vier Qualifikationssieger auch die Meisterschaft gewonnen (Bern 2010, Davos 2007 und 2011 sowie die ZSC Lions 2014). Der SCB scheiterte 2008 und 2009 als Qualifikationssieger sogar zweimal hintereinander in den Viertelfinals. Wir können es so sagen: Der Qualifikationssieg ist wie der schöne Blumenschmuck vor dem Bauernhaus. Aber auf die Milchleistung der Kühe hat er keinen Einfluss.
Und doch wird der «innere Wert» des ersten Platzes in einem Wettbewerb unterschätzt, der immerhin von Anfang September bis Ende Februar dauert. Dieser erste Platz ist eine Auszeichnung für den Coach, für den Sportchef und das gesamte Hockeyunternehmen. Weil es für den Qualifikationssieg eine exzellente taktische Schulung (also einen grossen Trainer), eine ausgeglichene Mannschaft (also einen klugen Sportchef) und viel Geld (also einen schlauen General Manager) braucht. Dass es am Ende oft nicht zum Titel reicht, liegt in der Logik eines unberechenbaren Spieles, das auf einer rutschigen Unterlage ausgetragen wird.
Marc Crawford ist der zweitgrösste NHL-Trainer, der je in der Schweiz gearbeitet hat. Das ist keine Behauptung des Chronisten. Sondern die Einschätzung der Nordamerikaner. Im kürzlich erschienen Standardwerk «Bench Bosses – the NHL's Coaches Elite» werden die 50 wichtigsten NHL-Trainer aller Zeiten aufgeführt. Scotty Bowman ist, natürlich, die Nummer 1. Die Nummer 34 heisst Bob Hartley, die Nummer 39 Marc Crawford. Guy Boucher, Ron Wilson und Kevin Constantine sind in dieser Aufstellung nicht zu finden.
Nur John Slettvoll hat in der Schweiz vor Marc Crawford drei Mal hintereinander die Qualifikation gewonnen – er schaffte es zwischen 1986 bis 1990 sogar fünfmal in Serie. Der SCB gewann zwar auch dreimal in Folge die Qualifikation (2008, 2009 und 2010), aber unter zwei verschiedenen Coaches. Dieses «Grande Lugano» war Slettvolls Werk. Es spielte seine Taktik und der Milliardär Geo Mantegazza verpflichtete die Spieler, die er haben wollte – es war fast wie bei ZSKA Moskau zu Zeiten von Wiktor Tichonow.
Das ging damals noch: In der gesamten Liga konnte nur der SC Bern bei den Spielersalären mithalten. Zwischen 1986 und 1992 teilten sich Bern und Lugano alle Titel und Qualifikationssiege. Und es gab weder Handy noch Internet, am Himmel zogen Flieger der Swissair ihre Bahnen und Roger Köppel arbeitete als Hockey-Chronist bei der NZZ.
Wir leben heute in einer anderen Hockeywelt. Die Liga ist so ausgeglichen geworden, dass es seit den ZSC Lions (Meister 2000 und 2001, aber mit verschiedenen Trainern) nie mehr einem Meister gelungen ist, den Titel zu verteidigen. Und Lugano hat trotz unbegrenzten finanziellen Mitteln seit 2006 nie mehr eine Playoff-Serie gewonnen. Wer in dieser ausgeglichenen Liga als Coach dreimal in Serie die Qualifikation gewinnt, der hat Grosses geleistet und gehört zu den Titanen.
Was die Qualität der ZSC Lions ausmacht, war eindrücklich beim 5:2 gegen den SC Bern am letzten Sonntag zu erkennen. Die Zürcher spielten keine grosse Partie. Sie zeigten sich im Werktagsgewand. Sie spielten auffällig unauffällig. Und doch hatte der SCB nicht den Hauch einer Chance.
Die Differenz machte nicht die Summe des Talentes, nicht Grösse und Gewicht der Spieler und damit die Wasserverdrängung. Die Differenz machten die taktische Intelligenz und die taktische Disziplin. Jeder wusste in jeder Situation, was er zu tun und zu lassen hatte. Das eingeschulte System sorgt für defensive Stabilität und hilft der Mannschaft durch Zeiten der Formschwäche. So reibungslos funktioniert sonst nur noch die Arno Del Curtos grosse Hockey-Maschine HC Davos.
Die ZSC Lions gehören nun zu den Titelfavoriten. Aber sie sind verwundbar – ausgerechnet auf der wichtigsten Position. Seit Slettvolls Zeiten hat nie mehr eine Mannschaft mit einem durchschnittlichen Goalie die Meisterschaft gewonnen. Das «Grande Lugano» war so gross, dass es keinen grossen Torhüter brauchte. Die Meistergoalies hiessen Thierry Andrey, Urs Räber und Markus Bachschmied.
Seither hatten alle Meister auch einen charismatischen letzten Mann: Rentao Tosio, Reto Pavoni, Ronnie Rüeger, Lars Weibel, Jonas Hiller, Reto Berra, Leonardo Genoni, Marco Bührer, Ari Sulander oder Lukas Flüeler. Spielerisch brillante und taktisch exzellente Qualifikationssieger wie Fribourg-Gottéron, Ambri oder Servette blieben auf der Strecke. Weil sie keine Meistergoalies hatten. Dino Stecher, Pauli Jaks, Gian-Luca Mona, Tobias Stephan oder Benjamin Conz waren gute Torhüter. Aber eben keine grossen, keine Meistergoalies.
Kann Marc Crawford nun also als erster Coach seit John Slettvoll mit einem «Lottergoalie» einen Titel holen? Vielleicht wird ja Lukas Flüeler noch rechtzeitig fit. Aber das Charisma der Meisterjahre wird er nach der langen Pause nicht haben. Sind an seiner Stelle Niklas Schlegel (21) und Thomas Bäumle (31) gut genug, um eine Meisterschaft zu gewinnen? Eigentlich nicht. Aber vielleicht macht es Marc Crawford möglich. Holt er den Titel mit Schegel und Bäumle, dann ist er der grösste nordamerikanische Trainer der Neuzeit: Vor Bill Gilligan, Sean Simpson, Kent Ruhnke und Larry Huras. Weil es «sein» Titel wäre. Nicht der Titel eines charismatischen Goalies.
Aber eine Schwäche – oder besser: seine Coaching-Philosophie – kann Crawford zum Verhängnis werden. Wie alle NHL-Generäle ist er «preussisch» geprägt: Er glaubt an das System und wenn der Puck nicht seinen Weg gehen will, dann hält er erst recht am System fest.
Marc Crawford hat nicht ganz die Flexibilität und Kreativität, den Mut, mit dem Feuer der Emotionen zu spielen und die Kommunikationskultur, die Stärken also, die für europäische oder europäisierte kanadische Coaches so typisch sind. Die Stanley-Cup-Playoffs sind nach einer Qualifikation über mehr als 80 Spiele, viel mehr als europäische Meisterschaften, ein Abnützungskampf und an einem System durch alle Böden hindurch festzuhalten, kann, anders als bei uns, am Ende sehr wohl entscheidend sein.
Marc Crawford, der ZSC-Meistertrainer von 2014 und Finalist von 2015 kann in seiner vierten Saison nur an zu viel und nicht an zu wenig Systemhockey scheitern.