Zuerst hat sich Donald Trump darüber geärgert, dass sein Justizminister Jeff Sessions in der Russland-Frage in den Ausstand getreten war. Dann hat er ihn in einem Interview mit der «New York Times» angepöbelt – und jetzt mobbt er ihn fast täglich auf Twitter. Sessions sei «schwach» und «stehe unter Druck», tweetete der Präsident.
Nun ist Sessions zwar ein konservativer Hardliner, der Marihuana wieder streng verfolgen will und dem auch rassistische Züge nachgesagt werden. Doch Sessions ist auch eine ehrliche Haut und äusserst loyal. Als erster Senator hat er Trump öffentlich unterstützt und ist ihm seither stets zur Seite gestanden.
Sessions ist zudem ein überzeugter Vertreter des Rechtsstaates. Deshalb ist er in den Ausstand getreten, als er bei der Anhörung im Senat zugeben musste, ein Treffen mit dem russischen Botschafter Sergei Kisljak verschwiegen zu haben. Ob er es vergessen oder bewusst unterschlagen hat, ist umstritten.
Trump kann dies nicht verwinden. Er macht Sessions dafür verantwortlich, dass er den Sonderermittler Robert Mueller am Hals hat. Dass er sich dies mit der Entlassung des FBI-Chefs James Comey selbst eingebrockt hat, verschweigt er geflissentlich. Neuerdings wirft Trump Sessions nicht nur Schwäche vor, sondern dass er kein Verfahren gegen Hillary Clinton eingeleitet habe.
Das geht selbst Trumps Anhängern zu weit. Auf der Meinungsseite des «Wall Street Journal» – normalerweise eine feste Burg im Trump-Lager – ist zu lesen: «Trumps Andeutungen, sein Justizminister müsse seine geschlagene Opponentin verfolgen, ist eine rohe politische Vergeltung, die man vom türkischen Präsidenten Erdogan oder dem philippinischen Präsidenten Duterte erwarten würde.»
Trump macht sich nicht nur über «präsidiale Haltung» lustig, er handelt auch nach diesem Motto. An einer Rally in der heruntergekommenen Industriestadt Youngstown (Ohio) verbreitete er wieder Wahlkampfstimmung und hetzte gegen Hillary Clinton. Seine Fans quittierten dies mit «Lock her up»-Gejohle. Ein Treffen von Pfadfindern in Glen Jean (West Virginia) missbrauchte er für Politpropaganda der übelsten Sorte. Unter anderem bezeichnete er Washington als «Kloake».
Was Trump in den letzten Tagen aufgeführt hat, ist mehr als schlechter Stil. Mit seiner Verunglimpfung des Justizministers missachtet der Präsident die Gewaltentrennung, mit seinen öffentlichen Auftritten schürt er die Wut des vulgären Mobs. All dies wird zu einem Angriff auf den Rechtsstaat.
Der Rechtsstaat wurde den Amerikanern nicht – wie fälschlicherweise oft vermutet – von ihren Gründervätern in die Wiege gelegt. Bis weit ins 19. Jahrhundert hatten die Vereinigten Staaten eine Klientelherrschaft, in der mächtige Clans das Sagen hatten.
In seinem Buch «Political Order and Political Decay» stellt Francis Fukuyama fest: «Amerika hatte 1880 viel gemeinsam mit den heutigen Entwicklungsländern. Es hatte zwar demokratische Institutionen und freie Wahlen, aber die Stimmen waren mit Begünstigungen gekauft.»
Erst vor rund 100 Jahren wurden die USA zu einem Rechtsstaat. Nochmals Fukuyama: «Zwischen 1880 und 1920 haben die Vereinigten Staaten das Klientelsystem in kleinen Schritten abgeschafft und die Grundlage für eine professionelle Verwaltung geschaffen, wie es sie in Europa schon seit Generationen gab.»
Der Rechtsstaat ist die wichtigste Errungenschaft der Aufklärung, wichtiger noch als die Demokratie – und schwieriger zu errichten. In ihrem Editorial schreibt die «Washington Post» heute:
Unter Trump besteht ernsthaft die Gefahr, dass die USA wieder zu einer Bananenrepublik mit Klientelherrschaft werden. Das sollte nicht nur die Amerikaner beunruhigen.