Nebel
DE | FR
Wirtschaft
Donald Trump

Trump macht den Erdogan

epaselect epa06109716 Supporters summon event security staff to remove a protester (C) as US President Donald J. Trump (not pictured) speaks during a 'Make America Great Again' rally at the  ...
Wie im Wahlkampf: Johlende Trump-Fans an einer Rally in Youngstown (Ohio).Bild: EPA/EPA

Trump macht den Erdogan

Der US-Präsident mobbt den eigenen Justizminister, hetzt wieder gegen Hillary Clinton und missbraucht ein Pfadfinder-Treffen für politische Propaganda. Selbst Konservative machen sich Sorgen um den Rechtsstaat.
26.07.2017, 11:5627.07.2017, 04:40
Mehr «Wirtschaft»

Zuerst hat sich Donald Trump darüber geärgert, dass sein Justizminister Jeff Sessions in der Russland-Frage in den Ausstand getreten war. Dann hat er ihn in einem Interview mit der «New York Times» angepöbelt – und jetzt mobbt er ihn fast täglich auf Twitter. Sessions sei «schwach» und «stehe unter Druck», tweetete der Präsident.  

«Trumps Andeutungen, sein Justizminister müsse seine geschlagene Opponentin verfolgen, ist eine rohe politische Vergeltung, die man vom türkischen Präsidenten Erdogan oder dem philippinischen Präsidenten Duterte erwarten würde.»
«Wall Street Journal»

Nun ist Sessions zwar ein konservativer Hardliner, der Marihuana wieder streng verfolgen will und dem auch rassistische Züge nachgesagt werden. Doch Sessions ist auch eine ehrliche Haut und äusserst loyal. Als erster Senator hat er Trump öffentlich unterstützt und ist ihm seither stets zur Seite gestanden.  

epa06108942 (FILE) - Attorney General Jeff Sessions appears before the Senate Intelligence Committee on the FBI's investigation into the Trump administration, and its possible collusion with Russ ...
Wird vom eigenen Präsidenten gemobbt: Justizminister Jeff Sessions.Bild: EPA/EPA

Sessions ist zudem ein überzeugter Vertreter des Rechtsstaates. Deshalb ist er in den Ausstand getreten, als er bei der Anhörung im Senat zugeben musste, ein Treffen mit dem russischen Botschafter Sergei Kisljak verschwiegen zu haben. Ob er es vergessen oder bewusst unterschlagen hat, ist umstritten.  

Trump kann dies nicht verwinden. Er macht Sessions dafür verantwortlich, dass er den Sonderermittler Robert Mueller am Hals hat. Dass er sich dies mit der Entlassung des FBI-Chefs James Comey selbst eingebrockt hat, verschweigt er geflissentlich. Neuerdings wirft Trump Sessions nicht nur Schwäche vor, sondern dass er kein Verfahren gegen Hillary Clinton eingeleitet habe.

Selbst das «Wall Street Journal» schlägt Alarm

Das geht selbst Trumps Anhängern zu weit. Auf der Meinungsseite des «Wall Street Journal» – normalerweise eine feste Burg im Trump-Lager – ist zu lesen: «Trumps Andeutungen, sein Justizminister müsse seine geschlagene Opponentin verfolgen, ist eine rohe politische Vergeltung, die man vom türkischen Präsidenten Erdogan oder dem philippinischen Präsidenten Duterte erwarten würde.»  

Hillary Clinton holds up an illustrated children's version of her book, 'It Takes a Village', as she speaks at the American Library Association (ALA) Annual Conference and Exhibition, T ...
Muss einmal mehr als Feindbild herhalten: Hillary Clinton.Bild: AP/AP

Trump macht sich nicht nur über «präsidiale Haltung» lustig, er handelt auch nach diesem Motto. An einer Rally in der heruntergekommenen Industriestadt Youngstown (Ohio) verbreitete er wieder Wahlkampfstimmung und hetzte gegen Hillary Clinton. Seine Fans quittierten dies mit «Lock her up»-Gejohle. Ein Treffen von Pfadfindern in Glen Jean (West Virginia) missbrauchte er für Politpropaganda der übelsten Sorte. Unter anderem bezeichnete er Washington als «Kloake».  

Trump missbraucht Pfadfinder-Rede für politische Propaganda

Video: watson/Angelina Graf

Der Rechtsstaat stammt nicht von den Gründungsvätern

Was Trump in den letzten Tagen aufgeführt hat, ist mehr als schlechter Stil. Mit seiner Verunglimpfung des Justizministers missachtet der Präsident die Gewaltentrennung, mit seinen öffentlichen Auftritten schürt er die Wut des vulgären Mobs. All dies wird zu einem Angriff auf den Rechtsstaat.  

Der Rechtsstaat wurde den Amerikanern nicht – wie fälschlicherweise oft vermutet – von ihren Gründervätern in die Wiege gelegt. Bis weit ins 19. Jahrhundert hatten die Vereinigten Staaten eine Klientelherrschaft, in der mächtige Clans das Sagen hatten.

In seinem Buch «Political Order and Political Decay» stellt Francis Fukuyama fest: «Amerika hatte 1880 viel gemeinsam mit den heutigen Entwicklungsländern. Es hatte zwar demokratische Institutionen und freie Wahlen, aber die Stimmen waren mit Begünstigungen gekauft.»  

Rechtsstaaten prosperieren, Bananenrepubliken nicht

Erst vor rund 100 Jahren wurden die USA zu einem Rechtsstaat. Nochmals Fukuyama: «Zwischen 1880 und 1920 haben die Vereinigten Staaten das Klientelsystem in kleinen Schritten abgeschafft und die Grundlage für eine professionelle Verwaltung geschaffen, wie es sie in Europa schon seit Generationen gab.»

Der Rechtsstaat ist die wichtigste Errungenschaft der Aufklärung, wichtiger noch als die Demokratie – und schwieriger zu errichten. In ihrem Editorial schreibt die «Washington Post» heute:  

«In einem Rechtsstaat ist die gewaltige Macht der Regierung, Menschen zu verfolgen und einzusperren, unparteiisch aufgeteilt, mit Bedacht und nach definierten Regeln. Diese Regeln gelten gleichermassen für Arme und Reiche, Mächtige und Schwache, für die regierende Partei und die Opposition. In solchen Staaten machen Individuen Karriere wegen ihren Leistungen und nicht wegen ihren Verbindungen. Unternehmen investieren dort, wo sie den höchsten Profit erwarten und nicht, um den Mächtigen zu gefallen. Deshalb prosperieren Rechtsstaaten langfristig. Bananenrepubliken tun es nicht.»

Unter Trump besteht ernsthaft die Gefahr, dass die USA wieder zu einer Bananenrepublik mit Klientelherrschaft werden. Das sollte nicht nur die Amerikaner beunruhigen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
40 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
saukaibli
26.07.2017 14:05registriert Februar 2014
Naja, man muss aber zugeben, dass der Rechtsstaat in den USA schon lange auf dem Rückzug ist, mindestens seit Präsident Reagan. Arme und Reiche haben da ganz andere Chancen auf Recht, Arme Menschen können sich das amerikanische Justizsystem schon lange nicht mehr leisten. Arme werden nicht nur rechtlich, sonden auch schulisch und sonst überall benachteiligt in den USA, Reiche können sich die Justiz hingegen kaufen und auf gute Privatschulen gehen. Trump ist nur der, der die kranke Gesellschaft offensichtlich macht.
10933
Melden
Zum Kommentar
avatar
Ohniznachtisbett
26.07.2017 13:55registriert August 2016
Das Amerikanische Rechtssystem war, abgesehen von den de jure unparteiischen Richtern, nie vergleichbar mit jenem, auf römischem Recht basierendem Europäischen Rechts. Im Strafrecht gibt es fast ausschliesslich Geschworenenprozesse. Das Haftpflichtrecht ist staatlich legitimierte Erpressung und das Verfassungsgericht urteilt hauptsächlich nach politischer Couloir. Was hingegen in Amerika immer funktioniert hat, war die Gewaltentrennung. Es war quasi der heilige Gral. Trump mag noch so viel Müll rauslassen, für einen eingriff in die Gewaltentrennung müssten ihn selbst die Reps impeachen...
474
Melden
Zum Kommentar
avatar
Quacksalber
26.07.2017 14:39registriert November 2016
Immerhin sorgt 45 von seiner selbst eingesifften Kloake aus dafür, dass die rechtskonservative Politik überhaupt nichts zustande bekommt.
Die Demokraten und besonnene Konservative täten gut daran sich auf die Nachkloakenaera zu konzentrieren.
529
Melden
Zum Kommentar
40
Warum Elon Musk der nützliche Idiot von Donald Trump (und den Rechtsradikalen) ist
X (ehemals Twitter) ist zum wichtigsten Propagandakanal der Rechtsradikalen geworden.

Am vergangenen Samstag hat die Aargauer Polizei Martin Sellner vorübergehend in Haft genommen. Der Rechtsextremist aus Österreich weilte in der Schweiz, um sein neues Buch über die Remigration vorzustellen. Mit dieser These hat er kürzlich in Deutschland mit einem Geheimtreffen in der Nähe von Berlin wochenlang für Schlagzeilen gesorgt.

Zur Story