«Es ist Zeit für eine Frau.» Mit diesem Satz gab FDP-Präsidentin Petra Gössi an einer Medienkonferenz am Mittwoch die Richtung für die Nachfolge von Bundesrat Johann Schneider-Ammann vor. Um sich sogleich selbst aus dem Rennen zu nehmen: «Ich stehe für diese Bundesratswahl nicht zur Verfügung», sagte die Schwyzer Nationalrätin.
Überraschend kam diese Ankündigung nicht. Schon früher hat sich Gössi ähnlich geäussert. «Mit meiner Wiederwahl als Präsidentin im April habe ich mich verpflichtet, die Partei in die nationalen Wahlen 2019 zu führen», sagte sie am Mittwoch. Sie kann sich dies erlauben. Mit 42 Jahren ist Petra Gössi in einem Alter, das ihr im Hinblick auf künftige Vakanzen alle Möglichkeiten offen lässt.
Eine weibliche Nachfolge für Schneider-Ammann steht für sie dennoch im Vordergrund: «Ich persönlich glaube, es würde dem Freisinn gut anstehen, eine Frau in den Bundesrat zu entsenden.» Den Entscheid ihrer Partei wolle sie damit nicht vorwegnehmen, meinte Gössi. Dennoch rückt damit eine Person noch mehr ins Zentrum: Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter.
Als «ultrafavorite» bezeichnete sie die Freiburger Zeitung «La Liberté» in ihrer Ausgabe vom Mittwoch. Die 54-jährige St.Gallerin war schon 2010 auf dem FDP-Ticket, verlor aber gegen Johann Schneider-Ammann. Als Justizdirektorin ihres Kantons war sie in Bern kaum bekannt. Seit ihrer Wahl in den Ständerat ein Jahr später hat sich dies geändert.
Weitere Gründe sprechen dafür, dass das Parlament bei der Ersatzwahl, die vermutlich am 5. Dezember stattfinden wird, kaum an ihr vorbeikommt:
Die FDP stellte mit Elisabeth Kopp die erste Bundesrätin in der Geschichte der Schweiz – und seit ihrem unfreiwilligen Rücktritt 1988 gar keine mehr. Die Zeit für eine freisinnige Bundesrätin ist somit mehr als reif. «Wir haben immer wieder Frauen nominiert», betonte Petra Gössi. Es sei nicht die FDP gewesen, die die Frauen nicht gewählt habe, meinte sie mit einem Seitenhieb nach links.
Mit Gössis Verzicht ist Keller-Sutter auf dem FDP-Ticket so gut wie gesetzt. Eine Rivalin von entsprechendem Format ist nicht in Sicht. Die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh hat ein ähnliches Bekanntheitsmanko in Bern wie Keller-Sutter vor acht Jahren. Und mit Ständerat Ruedi Noser hat sie in ihrer Kantonalpartei einen gewichtigen Rivalen.
«Die FDP steht zur Zauberformel», sagten Petra Gössi und Vizepräsident Christian Lüscher an der Medienkonferenz vom Mittwoch. Damit betonten sie auch den Anspruch der Partei auf zwei Sitze in der Landesregierung. Dieser wird von keiner anderen Partei bestritten, auch nicht von den Grünen, die immer mal wieder auf einen der beiden FDP-Sitze schielen.
Damit ist auch klar, dass auf Johann Schneider-Ammann erneut eine Person aus der Deutschschweiz folgen wird. Karin Keller-Sutter hat neben ihrer Ostschweizer Herkunft einen weiteren Trumpf. Als ausgebildete Dolmetscherin spricht sie ausgezeichnet Französisch. Das dürfte ihr die eine oder andere Stimme aus der Westschweiz einbringen.
Die Ostschweiz fühlt sich vom Rest des Landes häufig vernachlässigt. Sie will acht Jahre nach dem Rücktritt des Ausserrhoders Hans-Rudolf Merz zurück in den Bundesrat. Auch das spricht für Karin Keller-Sutter aus Wil (SG). Ein möglicher Rivale ist der Bündner Ständerat Martin Schmid, doch Graubünden ist für «wahre» Ostschweizer kein Teil ihrer Region. Eher in Frage kommt der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni, doch er ist noch jung und vor allem ein Mann.
Ganz Bundesbern wartet darauf, ob Doris Leuthard ebenfalls auf Ende Jahr zurücktreten wird. In diesem Fall würde ihr Sitz als erster neu bestimmt. Das könnte auch die Schneider-Ammann-Nachfolge beeinflussen. Falls der CVP-Sitz an die Ostschweiz ginge, wäre Karin Keller-Sutter wohl aus dem Rennen. Allerdings drängt sich in der CVP kaum jemand aus dieser Region auf.
Die aussichtsreichsten Anwärter kommen aus anderen Gegenden, etwa der Zentral- und der Nordwestschweiz. Falls ein Mann zum Nachfolger von Doris Leuthard gewählt wird, hat das Parlament kaum eine andere Option, als den FDP-Sitz an eine Frau zu vergeben.
Als Sicherheits- und Justizdirektorin des Kantons St.Gallen galt Keller-Sutter als rechtsbürgerliche Hardlinerin. Sie trieb das Hooligan-Konkordat voran und lehnte den Beitritt der Schweiz zum Abkommen von Schengen/Dublin ab. Mit ihrer Wahl in den Ständerat wollte sie sich aus dieser Ecke befreien und politisch breiter aufstellen. Was ihr nach allgemeiner Einschätzung gelungen ist.
Das aus zehn Punkten bestehende Anforderungsprofil der FDP erfüllt sie wie kaum eine andere Person. «Für mich ist sie eine sehr kompetente Kandidatin», sagt die Thurgauer SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher. Sie kennt Karin Keller-Sutter schon sehr lange: «Sie war die Vorgesetzte meines Vaters, als er Personalleiter im St.Galler Justizdepartement war.»
«Es war für ihn ungewöhnlich, dass er kurz vor dem Pensionsalter eine Chefin erhielt, die so alt war wie seine Tochter», erklärt Graf-Litscher lachend. Dann aber hätten sie sehr gut zusammengearbeitet. Keller-Sutter habe sich durch eine gute Führungskompetenz ausgezeichnet. «Wenn sie sich für eine Kandidatur entscheidet, sind ihre Chancen sehr gross», so die Thurgauerin.
Edith Graf-Litscher mag nicht ganz unbelastet sein. Doch bei linken und grünen Politikern scheinen die Vorbehalte gegen die vermeintliche Hardlinerin generell abgenommen zu haben. «Frau Keller-Sutter nimmt weniger radikale Positionen ein, als man annehmen könnte», sagte der Berner SP-Ständerat Hans Stöckli zu Radio SRF. Für ihn ist seine St.Galler Kollegin eine valable Kandidatin.
In der Vergangenheit haben Linke und Grüne im Parlament wiederholt gegen bürgerliche Kandidatinnen gestimmt. Nun beharren sie darauf, dass mehr als nur eine Frau im Bundesrat vertreten sein muss. Sie fordern von der FDP ein reines Frauenticket. Wie auch immer die Partei entscheidet: Karin Keller-Sutter darf auf einige Stimmen aus dem linksgrünen Spektrum hoffen.
Die Ständerätin selbst will erst einmal in die Ferien gehen und sich mit ihrem Mann absprechen. Ernsthaft fürchten muss sie eigentlich nur, dass sie nach 2010 erneut eine Bundesratswahl verlieren könnte. In die Quere könnte ihr ausgerechnet die SVP kommen. Man kreidet ihr an, dass sie zu gut mit ihrem St.Galler SP-Amtskollegen Paul Rechsteiner harmoniere.
Die Wahl findet in zweieinhalb Monaten statt. Die FDP will das Prüfungsverfahren für die Kandidierenden nach dem Fall Maudet nochmals verschärfen. Beim heutigen Stand aber sieht es so aus, dass Karin Keller-Sutter sich eigentlich nur selbst schlagen kann.