Es reicht nicht, Sitze zu gewinnen. Die Bürgerlichen wollen die Dominanz der Linken in den Städten brechen. Zunächst suchten die Bürgerlichen in Basel den «Aufbruch». Mit einem vielversprechenden Viererticket wollten CVP, LDP, FDP und SVP das linke Bündnis bodigen und Basel wieder in bürgerliche Hände überführen.
Auch in Bern witterten die Bürgerlichen Morgenluft, als sich das dominierende Rot-Grün-Mitte-Bündnis wegen des Stadtpräsidiums zerstritt. Und in Zürich hofften die Bürgerlichen am Sonntag, mit der «Top 5»-Liste auf eine historische Wende.
Alle Angriffe scheiterten kläglich. In Basel landete der SVP-Mann Lorenz Nägelin abgeschlagen auf dem neunten Platz, FDP-Kandidat Baschi Dürr musste um seine Wiederwahl zittern. In Bern gewann Rot-Grün-Mitte gar den vierten von fünf Sitzen. Und in Zürich schafften es die Bürgerlichen nicht einmal, die Lücke auszunützen, welche SP-Stadträtin Claudia Nielsen mit ihrem kurzfristigen Rücktritt einen Monat vor den Wahlen schuf. In Zürich regiert links-grün weiterhin mit einer 6:3-Mehrheit.
Was machen die Bürgerlichen falsch? Die Wenderhetorik sei «komplett überholt», sagt Politgeograf Michael Hermann mit Blick auf den Wahlkampf. Die bürgerlichen Parteien suggerierten, sie wollen nicht nur besser werden, sondern eine Wende herbeiführen.
Hermann: «Durch das mobilisieren sie die Gegner.» Tatsächlich schwang die SP Zürich trotz Fiasko bei den Stadtspitälern und Nielsen-Rücktritt oben auf: Zusammen mit der Alternativen Liste und den Grünen hat die SP sieben Sitze im Stadtparlament gewonnen, die absolute Mehrheit. Die Linken regieren aber nicht mehr nur die Grossstädte, sie dehnen ihre Macht zunehmend auch in mittelgrossen Städte wie Luzern oder St. Gallen aus.
Bürgerliche Politik und Städte — passt das zusammen? Politologe Hermann sagt, bürgerliche Parteien verfolgten eine Agglo-Politik, schauten die Städte von aussen an: «Sie fordern mehr Parkplätze, einen flüssigeren Autoverkehr, wollen die Arbeitgeber unterstützen: Das spricht alles Wähler an, die nicht in der Stadt leben — und also auch nicht dort abstimmen.»
Das politische Profil der städtischen Bevölkerung sei links-progressiv. Die Städter seien bereit, für einen guten Service public zu bezahlen. Steuersenkungen? Damit kann man in den Städten nicht punkten. Hermann zieht ein vernichtendes Fazit: «Bis zu einem gewissen Grad liegt es ausserhalb der Macht der bürgerlichen Parteien, in den Städten zuzulegen: Die Mehrheit wählt nicht bürgerlich.»
Kopf in den Sand? Für städtische Bürgerliche ist das keine Strategie. Sie glauben, dass sie das urbane Lebensgefühl der Bevölkerung auffangen können — wenn sie ihre Politik ändern.
Claudine Esseiva, die ehemalige Generalsekretärin der FDP Frauen, politisiert im Berner Stadtparlament. Sie sieht die Ursache für die linke Dominanz bei den Bürgerlichen selbst. Es ist eine Kritik, die zumindest bei den Freisinnigen der Stadt Bern en vogue ist. Man habe die wichtigen Themen für die städtische Bevölkerung total verschlafen. Die da wären: Wohnen, Verkehr, Betreuungsplätze für Kinder.
Christoph Zimmerli, der Präsident der Stadtberner FDP gab letzte Woche in der «Berner Zeitung» ein bemerkenswertes Interview. Die Stossrichtung ist die gleiche. «Unsere Partei ist zu lange alten Denkmustern nachgehangen.» Spötter sagen, bürgerliche Verkehrspolitik beschränke sich auf den Kampf gegen den Abbau von Parkplätzen. Der Solothurner FDP-Stadtpräsident und Nationalrat Kurt Fluri macht ein anders Beispiel: «Tempo-30-Zonen zu bekämpfen, ist sinnlos. Die Anwohner wünschen sich verkehrsberuhigte Strassen.» Punkt.
Was tun also? Die FDP gründet diese Woche in Bern die neue Organisation «FDP Urban». Der Anstoss kam aus der Stadt Zürich — mit dabei sind Freisinnige der grössten acht Schweizer Städte. Die Freisinnigen fühlen sich herausgefordert durch die rot-grüne Dominanz in den Städten: «Wir wollen uns besser vernetzen und den Austausch pflegen, um eine liberale Stadtpolitik zukunftsfähig zu machen», sagt Beat Habegger, Leiter «FDP Urban» und Vizepräsident der FDP Stadt Zürich.
Habegger ist überzeugt, dass es liberale Antworten auf die Herausforderungen der Städte bedarf. Ein Beispiel dafür sei der Verkehr. Mobilitätspolitik dürfe nicht bei der Veloförderung enden: «Es geht um den effizienten Einsatz verschiedener Verkehrsträger», sagt Habegger.
Ein Beispiel, aus dem die Bürgerlichen in den Städten Hoffnung schöpfen, sind die Betreuungsgutscheine: «Statt jedem Kind einen Kita-Platz zu finanzieren, haben wir Betreuungsgutscheine entworfen, welche jene finanziell unterstützen, die sie brauchen», sagt der Stadtberner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen. Er ist sicher, liberale Rezepte zu finden, wenn man sie sucht.
Sich dem urbanen Lebensgefühl anzunähern, birgt Risiken. Wie passt es zusammen, dass die Stadtberner FDP einen vierwöchigen Vaterschaftsurlaub für die städtischen Angestellten unterstützt, die Mutterpartei einen solchen aber ablehnt? Oder wenn Zimmerli dem genossenschaftlichen Wohnungsbau das Wort redet, die FDP auf nationaler Ebene die Unterstützung für den gemeinnützigen Wohnungsbau aber ablehnt?
Politologe Hermann spricht von einem Risiko, wenn die FDP ihre Politik anpassen will: «Städter gehören nicht zur Kernwählerschaft der FDP. Die Partei kann in den Städten viel weniger gewinnen, als in den Agglomerationen verlieren.»
Weil die nationale Partei das Image präge, könne eine Stadtsektion nicht plötzlich ein anderes Image haben. Er empfiehlt den stattdessen, wählbare Personen zu positionieren, die nicht nur die eigene Klientel ansprechen – wie die SP-Ständeräte Pascale Bruderer (AG) oder Daniel Jositsch (ZH). Genau. Anschauungsunterricht dafür gibt es bei den Linken.