Und plötzlich schwenkten die Scheinwerfer um: Hatten die Flüchtlingskrise und der Bürgerkrieg in Syrien vergangenes Jahr die Schlagzeilen geprägt, nahm das Interesse an den beiden Themen dieses Jahr drastisch ab. Die Berichterstattung dazu brach um fast die Hälfte ein, wie eine Auswertung des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich zeigt.
Die «Medienagenda 2017» analysiert, über welche Player und Themen die Schweizer Leitmedien dieses Jahr am intensivsten berichtet haben (siehe Box). Dass US-Präsident Donald Trump mit seinen Eskapaden weit oben auf dem Treppchen steht, vermag kaum zu überraschen. Dass es ein Thema gibt, das noch öfter in den Schlagzeilen war, schon eher.
Tatsächlich wurde dieses Jahr über nichts anderes so häufig geschrieben wie über die Präsidentschaftswahl in Frankreich: Der Showdown zwischen der rechtspopulististischen Marine Le Pen und dem europafreundlichen Emmanuel Macron hielt die Schweizer Medien in der ersten Jahreshälfte in Atem.
Gross war aber auch das Interesse am hiesigen Politbetrieb: Die Abstimmung über die Rentenreform schafft es auf den dritten Rang der wichtigsten Themen, die Ersatzwahl für Didier Burkhalter auf den vierten. Dabei setzte sich mit Ignazio Cassis übrigens jener Bundesratskandidat durch, der die grössten Medienresonanz genossen hatte.
Unter den Top-Themen rangieren auch die Abstimmungen über die Energiestrategie und die Unternehmenssteuerreform III. Selbst die No-Billag-Debatte schaffte es in die Top 20 des Jahres 2017 – obwohl der Urnengang erst im kommenden März ansteht. «Diese frühe, hohe Aufmerksamkeit ist aussergewöhnlich», schreiben die Studienautoren.
Massiv an Gewicht verloren hat derweil, neben den Flüchtlingen und dem syrischen Bürgerkrieg, auch die Islamismus-Debatte. Der «IS»-Konflikt büsste sechs Plätze ein und rangiert jetzt noch auf Platz 17. Die Diskussion über Islamismus in der Schweiz verschwand gar ganz aus der Liste der wichtigsten 20 Themen.
Auch Terroranschläge prägten die mediale Berichterstattung dieses Jahr weniger als in den beiden vergangenen Jahren – obwohl Europa auch 2017 nicht von solchen Attacken verschont blieb. Zu nennen wären etwa die Anschläge in Barcelona, Manchester und London, aber auch der Amoklauf an einem Musikfestival in Las Vegas mit 58 Toten und über 500 Verletzten.
«Über diese Anschläge wurde für kurze Zeit jeweils intensiv berichtet – allerdings lösten sie nicht mehr die ganz grossen Grundsatz-Debatten aus», sagt Dominik Unternährer, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des FÖG für die Studie verantwortlich ist. «Man könnte sagen, es hat eine Normalisierung stattgefunden – oder: die Leute sind ein Stück weit abgestumpft.»
Es entspreche der normalen Medienlogik, dass der Nachrichtenwert abnimmt, wenn zum wiederholten Mal ein ähnliches Ereignis stattfindet. «In den Medien kämpfen verschiedene Akteure um Resonanz. Da ist es zwangsläufig so, dass sich die Prioritäten verschieben.»
Dass die Berichterstattung einer selektiven Logik folgt, zeigt sich etwa auch in der Kategorie Kriege und Konflikte: «Die seit Jahren andauernden, gewaltsamen Konflikte in Somalia, Nigeria und Südsudan beispielsweise erhalten hierzulande kaum Beachtung», heisst es im Bericht zur Medienagenda 2017. Der Fokus liege eher auf dem Nahen Osten oder Nordkorea.
Abseits dieser Ereignisse identifizierten die Forscher des FÖG auch übergeordnete gesellschaftliche Debatten, die dieses Jahr trendeten. Am stärksten an Beachtung gewonnen hat demnach die Digitalisierung. Machten sich Journalisten und Politiker schon seit einiger Zeit vermehrt Gedanken dazu, verhalf der erste «Schweizer Digitaltag» dem Schlagwort definitiv zum medialen Höhenflug. Drei Bundesräten und viel Brimborium sei Dank, wie unser Redaktor Peter Blunschi nach der «PR-Show» analysierte:
Gleich hinter der Digitalisierung folgen Debatten zu Gender- und Gleichstellungsthemen, die mit dem Weinstein-Skandal und dem Hashtag #MeToo kräftig an Schub gewonnen haben. Und schliesslich war 2017 auch das Jahr, in dem die Bitcoins ihrem Schattendasein entfliehen konnten. Dank einer breiten Berichterstattung – die Debatte rangiert auf Rang drei der gesellschaftlichen Trends – weiss bald jedes Kind über Kryptowährungen Bescheid.
Du hast die Diskussion verschlafen? Hier beantwortet watson-Redaktor Patrick Toggweiler die wichtigsten Fragen dazu: