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Konsumenten sollen selber wählen, welche Medien Geld erhalten sollen

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Wenn es nach Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, geht, sollen Konsumenten in Zukunft selber entscheiden, welche Medien Gebührengelder erhalten sollen. Bild: KEYSTONE

Konsumenten sollen selber wählen, welche Medien Geld erhalten 

Nach der No-Billag-Debatte waren es ruhige Tage in der Medienpolitik. Nun regt sich erneut Widerstand. Private Verleger wehren sich mit innovativen Ideen gegen die Stellung der SRG: Von Voucher-Systemen und Netflix für Medien ist die Rede. 
28.08.2018, 10:1328.08.2018, 19:32
Helene Obrist
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Tobte der medienpolitische Kampf rund um die No-Billag-Debatte im Frühling noch wie wild, war es den Sommer über verdächtig ruhig. Und das obwohl Medienministerin Doris Leuthard Ende Juni das neue Mediengesetz für elektronische Medien präsentierte. Doch nun – zwei Monate später – regt sich Widerstand. Den Anfang macht Peter Wanner, Verleger der AZ Medien, zu denen auch watson gehört. In einem in der NZZ abgedruckten Plädoyer kritisiert Wanner das neue Mediengesetz aufs Schärfste.

Die SRG als «angeblich einziges Service-public Unternehmen» der Schweiz werde mit dem neuen Gesetz ein für alle Mal unter Denkmalschutz gestellt, erzürnt sich der Verleger. Die privaten Verleger würden dadurch «auf die Verliererstrasse gedrängt.» Die SRG, so Wanners Vorwurf, kassiere weiterhin 1.2 Milliarden Franken Gebührengelder und dürfe in Zukunft unbeschränkt Video- und Audio-Inhalte produzieren und ins Netz stellen. Damit mache die SRG genau denselben Job wie die privaten Verleger, mit dem entscheidenden Unterschied, dass die SRG mit ihrer ganzen Gebührenmacht produzieren kann, während die privaten Anbieter auf immer knapper werdende Werbeerträge angewiesen seien, schreibt Wanner.

Ebenfalls ein Dorn im Auge ist dem Verleger die Unterstützung von Online-Anbietern im Audio- und Video-Bereich. Diese wird durch das neue Gesetz vorgeschrieben. Dadurch würden die Angebote der privaten Verleger noch weiter konkurrenziert, denn dann müssten die für private lokale TV- und Radio-Anbieter vorgesehenen 6 Prozent aus dem Gebührentopf mit den neuen Angeboten geteilt werden. «Für die privaten lokalen TV-Anbieter ist das existenzgefährdend, sind sie doch besonders vom Rückgang der nationalen Werbeerträge betroffen», schreibt Wanner.

Ein Gutschein-System

Wanner kritisiert das neue Mediengesetz nicht nur, sondern liefert im gleichen Atemzug eine alternative Lösung. Er schlägt ein Voucher-System vor, mit welchem die Bürger Medien nach ihrer Wahl unterstützen können. Neu ist die Idee nicht. Medienpionier Roger Schawinski und Publizistikprofessor Otfried Jarren haben in der Vergangenheit bereits ähnliche Modelle vorgeschlagen. Auch die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran macht sich für Mediengutscheine zur Stützung der Presse stark. 

«Der Charme solcher Vorschläge liegt darin, dass die Bürger mitentscheiden können, welche Medien unterstützungswürdig sind und welche nicht», erklärt Wanner. Für welche Medien der Bürger dann stimmen könne, hänge davon ab, inwiefern das Medium zur Meinungs- und Willensbildung beiträgt und ob die Redaktion einen Informationsauftrag erfüllt. Die Subventionierung der Medien wäre laut Wanner damit geklärt. Auch die SRG würde weiterhin bestehen bleiben. Sie müsste sich jedoch auf den Kern ihres Auftrages beschränken, um in der Lage zu sein, mit 60 Prozent der Gebühren über die Runden zu kommen.

Wanners Voucher-System schliesst an eine Reihe von Ideen an, die alle versuchen, den privaten Verlegern unter die Arme zugreifen – und die hiesige Medienvielfalt zu bewahren. Denn es geht ums blanke Überleben. Das zeigen Ereignisse wie die Budgetkürzungen bei der SDA und der damit provozierte Streik oder die Einstellung der Westschweizer Tageszeitung «Le Matin».

Die SRF-Inhalte für alle

Für die Bewahrung der Medienvielfalt spricht sich auch Lukas Rühli, Ökonom und Senior Fellow beim Think Tank Avenir Suisse aus. In der Zeitschrift Schweizer Monat schlägt er eine SRG vor, die als reine Inhaltsproduzentin fungiert. Die produzierten SRF-Inhalte sollen dann für alle Privaten unbeschränkt zugänglich sein. So hätten die privaten Verleger nicht nur Zugriff auf sämtliche SRF-Inhalte, sondern hätten auch einen grossen Konkurrent weniger im Kampf um Nutzer und Werbekunden.

Das Problem der schrumpfenden Werbeeinnahmen ist damit aber nicht vollends gelöst. Denn ein grosser Teil der Gelder wandert ins Ausland – an internationale Konzerne wie Facebook und Google. Die Tech-Intermediäre werden die privaten Verleger zunehmend unter Druck setzen.

Das Netflix für Medien

Eine Lösung für dieses Problem könnte das Westschweizer Projekt «Timoty» sein. Dahinter stecken Fathi Derder, ehemaliger Chefredaktor der Schweizer Wirtschaftszeitung «L’Agefi» und FDP-Nationalrat sowie Start-up-Gründer und Parteikollege Philippe Nantemod. «Timoty» soll die Art und Weise revolutionieren, wie wir Nachrichten konsumieren, schreibt die Handelszeitung. «Timoty» funktioniert ähnlich wie der Streaming-Gigant Netflix oder die Musikplattform Spotify: Der Nutzer zahlt eine monatliche Gebühr und hat dabei Zugriff auf eine grosse Anzahl verschiedener Artikel. Dabei werden die Nachrichten nach dem jeweiligen Standort des Nutzers ausgerichtet, um auch regionale Medien zu unterstützen.

FILE - In this April 22, 2011 photo, the logo of Netflix is displayed at the headquarters in Los Gatos, Calif. Netflix has enjoyed top billing before: it was the biggest gainer in the S&P 500 in 2 ...
Monatlich zahlen, ein grosses Angebot nutzen: Gibt es das auch bald in der Schweizer Medienlandschaft?Bild: AP/AP

Die Plattform soll laut Fathi Derder die Vertriebsform der Medien auf die Bedürfnisse der Nachrichtenkonsumenten zuschneiden. Lanciert wird «Timoty» im September. Ein Abonnement soll zwischen 10 und 20 Franken im Monat kosten. Bei 10 Franken hat man Zugang zu einer begrenzten Anzahl Artikel, bei 20 Franken den vollen Zugang. Der Betrag entspricht ungefähr dem, was Schweizer derzeit monatlich für Zeitungen bzw. Online-Medien ausgeben. Die Einnahmen, so die Gründer, würden mit den Verlagen abgerechnet, je nachdem wie häufig ihre Artikel gelesen wurden. 

Eine Spielwiese für alle

Eine weitere Vision hat der Journalist und watson-Gründer Hansi Voigt. Vor gut einem Jahr gründete er die Open-Source-Platform «Wepublish». «Wepublish» soll als digitales Gemeinschaftsgut funktionieren und veraltete mediale Infrastrukturen ablösen. «Wepublish» will Journalisten der Zukunft nicht nur untereinander vernetzen, sondern ihnen auch eine topmoderne IT-Infrastruktur zur Verfügung stellen. Das Projekt wird finanziell von Google unterstützt. Im Rahmen der «Digital News Initiative» vergibt der Techgigant regelmässig Unterstützungsbeiträge für innovative Projekte. 

«Traurig» – Die letzte Ausgabe einer Schweizer Zeitung

Video: srf
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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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aglio e olio
28.08.2018 10:44registriert Juli 2017
"«Der Charme solcher Vorschläge liegt darin, dass die Bürger mitentscheiden können, welche Medien unterstützungswürdig sind und welche nicht», erklärt Wanner."

Uncharmant finde ich dabei, dass das die "Blut, Busen, Büsi" Berichterstattung weiter vorantreiben wird und letztendlich der Vielfalt schadet.
Das ist ja z.B. auch beim Fernsehen gut zu beobachten.
Wer Geld bekommt weil er gefällig ist, wird in Zukunft auch gefällig sein. Kritischer Journalismus wird es dadurch nicht einfacher haben.
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Hierundjetzt
28.08.2018 12:33registriert Mai 2015
Super Idee: Nicht. Kritische Stimmen wie die WOZ oder Republik verlieren, Pendlerzeitungen gewinnen. Was ich kenne, erhält meine Stimme. Nicht das unbekannte.
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Bruno Wüthrich
28.08.2018 13:34registriert August 2014
Möglicherweise ist in unserer schönen, freien Presselandschaft auch etwas gar viel Einheitsbrei. Zudem etwas gar wenig Tiefgang. Man watet lieber im seichten Gewässer. Das heisst: heute nähern sich die unterschiedlichsten Medien in dem was sie bringen, wie sie es aufbereiten und im Erscheinungsbild einander an. Zudem scheint es heute nicht mehr opportun zu sein, Fakten zu liefern. Lieber ist man Influencer, auch wenn man dazu Fakten permanent unterschlagen muss. Dass dies zunehmend die Werber nicht mehr interessiert, erscheint mir logisch. Es ist nicht nur SRF schuld.
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