Nicht Eishockey, nicht Basketball und auch nicht American Football – Baseball ist die traditionsreichste US-Sportart. Wenn von Anfang April bis Ende Oktober auf die 141,7 Gramm schwere, Leder-umhüllte Korkkugel eingedroschen wird, lässt das kaum einen Amerikaner kalt. Kein Wunder ist die Major League Baseball (MLB) mit einem Umsatz von neun Milliarden Dollar die wirtschaftlich stärkste Profi-Liga der Welt.
Längst ist Baseball aber auch Teil der amerikanischen Kultur geworden. Nichts verdeutlicht das schöner als das mehr als 100 Jahre alte Lied «Take Me Out to the Ball Game», das in den Stadien noch heute traditionell beim Seventh-Inning-Stretch – man muss sich zwischendurch ja auch einmal bewegen – gespielt wird. Es handelt von einem Baseball-verrückten Mädchen, das lieber zu einem Spiel als auf den Jahrmarkt ausgeführt werden will.
Das Lied veranschaulicht perfekt den sozialen Aspekt von Baseball. Auf den Rängen sitzen nämlich nicht nur Männer, sondern auch viele Frauen und Familien. Hooligans und Ausschreitungen kennt der Sport kaum und selbst die vielen Pausen stören niemanden. Im Gegenteil: Sie geben Gelegenheit zum Plaudern, Dösen, gedanklich Abschweifen oder zum allseits beliebten Besuch der Verpflegungsstände.
Hierzulande kann die Faszination für das entschleunigende Baseball kaum einer nachvollziehen. Der US-Nationalsport gilt als langweilig. Kein Wunder: Während den manchmal scheinbar unendlich langen Partien passiert im Gegensatz zum Fussball oder Eishockey oft nicht sehr viel und wenn, dann verliert man schnell den Überblick.
Die Regeln sind ausserdem ziemlich kompliziert, die Regular Season ist mit 162 Partien pro Team – oft findet an drei Tagen hintereinander die gleiche Begegnung statt – ziemlich aufgeblasen und die alles umfassenden Statistiken sind ausufernd. Auch die langen Hosen und die Statur der Kautabak spuckenden Spieler, die nicht selten ein kleines Bäuchlein vor sich her tragen, sind für unser Auge ziemlich gewöhnungsbedürftig.
Liebe auf den ersten Blick war es auch bei mir nicht mit dem Baseball. Obwohl «Die Indianer von Cleveland» als Teenager zu meinen Lieblingsfilmen gehörte und mein erstes Livespiel im Stadion ein Spektakel war. Naja, zumindest für die Amerikaner. Tim Lincecum, Pitcher der San Francisco, warf beim 4:2-Sieg gegen die Pittsburgh Pirates 15 Strikeouts.
45 Mal warf er den Ball also so, dass ihn der Batter der gegnerischen Mannschaft nicht treffen konnte. Während der Rest des Publikums tobte, schauten meine zwei Kollegen und ich uns nur fragend an. Schliesslich hatten wir keine Ahnung, warum jetzt plötzlich alle durchdrehten.
Also so schnell wie möglich die Regeln lernen – was ich dann auch tat. Meine nächsten beiden Livespiele wurden aber zur grossen Enttäuschung. Bei einem Spiel der Tampa Bay Rays langweilte ich mich 2011 in einem fast komplett leeren Stadion zu Tode und selbst im altehrwürdigen Fenway Park der Boston Red Sox drei Jahre später wollte der Funken nicht überspringen. Und so beschloss ich, dem Baseball endgültig den Rücken zuzukehren. Letzte Chance, vorbei!
Besonders begeistert war ich deshalb nicht, als während meiner gerade zu Ende gegangenen Texas-Reise im TV ständig die MLB-Playoffs statt NHL (Hockey ist in Texas allerhöchstens eine Randsportart) oder NBA lief. Aber die Houston Astros – eines der beiden texanischen MLB-Teams – waren halt gerade drauf und dran, sich gegen die New York Yankees zum zweiten Mal in ihrer Geschichte für die World Series zu qualifizieren.
Es blieb mir als Sportbegeistertem also nichts anderes übrig, als an Football-freien Abenden im Hotelzimmer oder in einer Bar die Spiele der Astros zu schauen. Und schnell war ich begeistert. Vielleicht, weil es in den Playoffs im Gegensatz zur elend-langen Regular Season auch wirklich um etwas geht? Egal. Das Regelwerk hatte ich schnell wieder intus und erstmals begriff ich, wie faszinierend die Mischung aus Individual- und Mannschaftssport eigentlich ist.
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Zunächst ist da der Zweikampf zwischen Pitcher und Batter, welche sich einen regelrechten Psychokrieg liefern. Der eine versucht den Ball so zu werfen, dass ihn der andere mit seinem Schläger nicht oder nur unzureichend treffen kann. Schier endlos sind dabei die taktischen Möglichkeiten, die per Zettel im Baseball-Cap oder mit seltsam anmutender Zeichensprache von Trainer zu Spieler weitergegeben werden. Die Spannung im Spiel steigert sich kontinuierlich und eine wirklich sichere Führung gibt es nicht.
Plötzlich war es alles andere als schlimm, als sich die Astros tatsächlich für die World Series qualifizieren konnten. Noch mehr Baseball! Weil ich zum Zeitpunkt der drei Astros-Heimspiele (Spiel 3 bis 5) per Zufall gerade in Houston war, versuchte ich Tickets zu organisieren. Bei einem Preis von über 750 Dollar pro Spiel musste ich allerdings passen.
Doch auch in der Bar waren die ersten Duelle des MLB-Finals gegen die Los Angeles Dodgers ein einmaliges Happening. Denn die beiden Teams boten unfassbares Spektakel. Vor allem die zweite und die fünfte Partie der noch laufenden Best-of-Seven-Finalserie hatten es in sich. Beide wurden in der Verlängerung entschieden. Beim 7:6-Sieg der Astros zum 1:1 in der Serie wurden gleich zwei Rekorde aufgestellt:
Lots of heroes tonight.
— MLB (@MLB) 26. Oktober 2017
But Super Springer topped them all! pic.twitter.com/BB6NJ9GiW9
Die Astros-Fans in der Sportbar waren kaum zu halten und erklärten mir überaus freundlich all meine Fragen zum Spiel. Noch dramatischer war die bislang letzte Partie: In einem 5:17 Stunden dauernden Fight glichen die Astros nach einem 4:7- und 8:11-Rückstand im letzten Inning mit zwei Runs noch zum 12:12 aus und siegten schliesslich in der Verlängerung mit 13:12. In der Finalserie führen sie jetzt mit 3:2, noch ein Sieg fehlt ihnen zum erstmaligen Gewinn der World Series.
Relive the epic scene at Minute Maid Park after the @astros' Game Five walk-off win via #BallparkCam! #WorldSeries #EarnHistory pic.twitter.com/AvQreYUhY3
— MLB Network (@MLBNetwork) 30. Oktober 2017
Spiel 6 steigt in der Nacht auf morgen Mittwoch im Dodgers Stadium in Los Angeles. Wer die Partie live (DAZN überträgt) sehen will, muss allerdings mit wenig Schlaf rechnen. Das sechste Duell beginnt um 1.00 Uhr MEZ. Aber langweilig wird's garantiert nicht!