Am 1. Januar 1893 rieb man sich in Zürich verwundert die Augen. Eben noch hatte man sich auf der Strasse gegrüsst und war Teil einer grösseren Dorfgemeinschaft und nun gehörte man zu den Einwohnern der ersten Schweizer Grossstadt. In der Nacht vom 31. Dezember 1892 auf den 1. Januar 1893 war Zürich um knapp 90'000 auf 121'000 Einwohner gewachsen. Auf diesen Zeitpunkt hin waren die Nachbargemeinden Aussersihl, Enge, Fluntern, Hirslanden, Hottingen, Oberstrass, Riesbach, Unterstrass, Wiedikon, Wipkingen und Wollishofen in die Stadt Zürich eingemeindet worden.
Mit dem Zusammenschluss wurden einige Probleme gelöst, die sich mit dem starken Wachstum der Städte im Zeitalter der Industrialisierung gebildet hatten. So war beispielsweise der Aufbau und die Pflege der arg strapazierten überkommunalen Infrastruktur ein langwieriger Prozess, da jede der beteiligten Gemeinden damit einverstanden sein musste. Zudem stand es finanziell nicht überall zum besten und ein gemeinsamer Weg in die Zukunft schien nicht die schlechteste Lösung. Nur in Wollishofen und Enge gab es breiten Widerstand. Die beiden Gemeinden waren wohlhabend und grundsätzlich nicht bereit, für die restlichen Orte von «Neu-Zürich» zu bezahlen. Vor allem Wollishofen wehrte sich und ging bis vor Bundesgericht. Allerdings ohne Erfolg.
Ein Erfolg war hingegen der gemeinsame Weg für Zürich. Nicht nur hatte man Genf, Basel oder Bern bezüglich der Einwohnerzahl weit überflügelt, auch punkto Siedlungsbau und Stadtarchitektur wurden in der Limmatstadt nach 1893 grosse Schritte gemacht. Die Wirtschaft entwickelt sich schnell und mit der Eröffnung des Flughafens Dübendorf 1910 wurde die Region auch rasch zu einem nationalen Verkehrsknotenpunkt.
Aber die neue Grösse hatte auch Schattenseiten. Der über Nacht zur Grossstadt gewordene Ort zog viele Arbeiter aus ländlichen Gebieten und aus dem Ausland an. Die jährliche Zuwanderungsrate lag nach der Eingemeindung bald bei rund fünf Prozent. Bereits 1900 hatte Zürich über 150'000 Einwohner. Fast ein Drittel davon waren Ausländerinnen und Ausländer. Neben einer steigenden Angst vor Überfremdung machten den Behörden vor allem eine steigende Armut, die massive Wohnungsnot und der Anstieg von Krankheiten zu schaffen. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs verschärfte sich die Situation und es kam zu sozialen Spannungen.
Erst in den 1920er-Jahren entspannte sich die Lage wieder und Zürich begann bald wieder an zu florieren. Mit der Eingemeindung von acht weiteren Vororten 1934 wuchs die Stadt erneut über Nacht um rund 50'000 Personen auf über 300'000 Einwohnerinnen und Einwohner. Obwohl auch andere Schweizer Städte wie Biel, Basel oder Genf Vororte in ihr Gemeindegebiet eingliederten, ist Zürich bis heute die grösste Schweizer Stadt geblieben. Mit Vor- und Nachteilen.
Übrigens, wenn Sie in Obersteckholz wohnen, gehören Sie seit dem 1. Januar zur Stadt Langenthal.
Wieso genau Zürich und nicht Bern so gross wurde und auch wieso andere Städte wie München oder Milano noch viel grösser sind oder etwas in diese Richtung