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Du willst nur das Beste? Voilà:
Unbestritten ist: Ein Wohnzimmer mit einem Bücherregal sieht einfach fabelhaft aus. Aber das allein ist es nicht, was die Menschen dazu bewegt, tonnenweise Bücher in ihrer Wohnung zu horten. Sie wollen als hochgradig gebildet erscheinen. Vor ihrem Besuch. Vor sich selbst.
Und so erwischt man sie, wie sie vor ihrer prallen Protz-Bibliothek stehen, liebevoll über die Rücken ihrer Lieblinge streicheln, und irgendwo zwischen der sehr kritischen Nietzsche-Gesamtausgabe und den Gedichten von Ingeborg Bachmann hockt sich ein süffisantes Lächeln in ihre Mundwinkel. Sie nicken sich zu und sagen Sachen wie «Haiaiai», so als könnten sie selbst kaum glauben, was sich da vor ihren Augen an geballter Weisheit zusammengefunden hat.
Und dann werfen sie sich mit ihrer ganzen Seele in dieses wohltuende Gefühl der intellektuellen Vollkommenheit, das allein dem wahren Kulturmenschen vorbehalten ist.
Der heuchlerische Bildungsbürger stiehlt dieses Gefühl nur. Es handelt sich dabei um einen astreinen Selbstbetrug. Ein solch gearteter Blöffsack unterscheidet sich vom BMW-Protzer allein darin, dass seine Inszenierung nicht auf der Strasse, sondern in den eigenen vier Wänden stattfindet.
Die Rücken seiner Bücher sind tatsächlich das Einzige, was der Besitzer einer potemkinschen Bibliothek angefasst hat. Unzählige der weisen Inhalte bleiben auf Ewigkeiten unberührt. Und wie über einem vergessenen Grab das Unkraut wuchert, setzt sich der Staub auf die Werke. Und ihre Rücken beginnen unter der Last zu ächzen. Geputzt wird nämlich höchstens mit dem Finger, der kurz über den vorderen Teil der Regale streicht. Einfach damit der Verrat nicht augenscheinlich ist. Damit jeder glaubt, diese Bibliothek lebe, da würden ununterbrochen Bücher raus- und wieder reingeschoben.
Mein bester Freund zum Beispiel behauptet, es gebe nur ein einziges Buch in seiner mächtigen Bibliothek, das er niemals gelesen habe. Dabei handelt es sich um die gigantische, von Kurt Flasch kommentierte und allseits hochgelobte Ausgabe von Dantes «Göttlicher Komödie».
Eine kurze interne Umfrage bei watson hat folgendes Bild der Zustände in diversen Heimbibliotheken ergeben: Es verstauben die Biographien von Hillary Clinton, Christoph Blocher, Joschka Fischer und Robbie Williams, ferner Bourdieus «Die feinen Unterschiede», allerhand von Kafka, zwei Mal Spenglers «Der Untergang des Abendlandes», Laurence Sternes «Tristam Shandy», der Koran, Dostojewskis «Schuld und Sühne» und seine «Aufzeichnungen aus dem Kellerloch», Döblins «Berlin Alexanderplatz», Thomas Manns «Zauberberg», Musils «Mann ohne Eigenschaften», Prousts «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit» und Joyces «Ulysses».
Für den echten Protzer zählt allein die Wirkung seiner Bücherregale. Was sie über den Besitzer aussagen. Dabei spielt die Ordnung der Lektüre eine wichtige Rolle. Es gibt die klassische und ernste Form der thematischen Gruppierung; nach Autoren, Epochen, Ländern oder anderen Kriterien.
Gehört hab ich auch von Leuten, die ihre Bücher alphabetisch ordnen. Das macht irgendwie wenig Sinn. Eigentlich genauso wenig wie das Ordnen nach Farben der Buchcovers. Allerdings muss man sagen, dass die ästhetischen Vorzüge dabei nicht zu verachten sind:
Und selbst im Chaos lässt sich eine gewisse Logik ausmachen. In diesem Beispiel sehen wir auf den ersten Blick einen ungeordneten Haufen Bücher. Er könnte frei sein von jeglicher Protzerei, läge da nicht das rote Buch so prominent an der Spitze dieses Bildungseisbergs.
Selbst mein verehrter und sehr belesener Vater ist nicht frei von der prahlerischen Besitzgier aller Werke von Rang. Vor einigen Jahren hab ich ihm Bulgakows «Der Meister und Margarita» geschenkt. Ein Klassiker der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Aber das wusste er damals noch nicht. Erst als zwei Jahre später irgendeine bedeutende Literatur-Koryphäe in einer hochkulturellen Radiosendung das Buch in den höchsten Tönen lobte, kam er zu mir:
Es ist nun also an der Zeit, die volle Wahrheit herauszufinden. Darf ich vorstellen, das ist meine bescheidene Bücherwand. Sie besteht aus Literaturklassikern und ein paar seichten Büchern, aus Krimis und vielen Geschichtsbüchern, wovon die Hälfte die alten Römer behandeln. Und ganz besonders die Kaiser des ersten Jahrhunderts.
Ich habe alle Bücher gezählt. Und dann festgestellt, wie viele ich davon nicht gelesen habe, hier ist das Ergebnis:
Ja, ich bin schuldig. Es ist an der Zeit, dies vollumfänglich zuzugeben. Diese Zahlen lügen nicht. Sie sagen unumstösslich: Ja, du betreibst zu schauderhaft grossen Teilen einen Buchfriedhof.
Und es käme mir nicht im Traum in den Sinn, meine Toten einzuäschern. Ich liebe sie alle. Ich liebe ihren Geruch. Ich liebe sogar das, wofür sie stehen. Und wer weiss, vielleicht werde ich sie ja doch noch lesen.
Nein. Das werde ich nicht.
Gut also, hab ich mir grad vier neue Bücher bestellt.