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Mittlerweile ist Bruno Stefanini 92 Jahre alt und dement. Doch der Secondo mit italienischen Wurzeln hat aus dem Nichts ein fast unerhörtes Immobilien- und Kulturgüter-Imperium aufgebaut. Das ist die Geschichte eines Winterthurers, der vom Gymnasium flog und zum Milliardär wurde.
Dieser Mann war immer schon mehr Phantom als fassbare Person. Und Interviews mochte er schon gar nicht geben. Dafür ist jetzt die Biographie «Bruno Stefanini – Ein Jäger und Sammler mit hohen Idealen» des Historikers Miguel Garcia erschienen. Und das Phantom hat endlich Gestalt angenommen.
Stefanini wurde früh mit dem Arbeiten vertraut. Zuerst in der Genossenschaftsbeiz «Zum Salmen», die sein Vater führte. Sie gehörte zur Società Cooperativa, kurz «Copi». Diese italienische Konsumgenossenschaft verkaufte direkt aus Italien importierte Produkte zu günstigen Preisen. Und war damit jahrelang der einzige Ort in Winterthur, wo man an Mortadella und Salami herankam.
Die Matura machte Stefanini nicht, weil er wegen einer zerbrochenen Friedhofskappellen-Scheibe von der Kantonsschule im Lee flog. Also schrieb er sich an der ETH ein. Doch auch dieses naturwissenschaftliche Studium beendete er nicht, da ihn sein Geschäft mit Immobilien schon damals zu sehr in Beschlag nahm.
Stefanini fuhr mit seinem silbernen 356er Porsche Cabriolet durch die Altstadt. Manchmal rasierte er sich dabei gleichzeitig. Auf seinem Boot am Bodensee feierte er als junger Mann oft. Und einmal fiel er betrunken von Bord. Als er wieder auftauchte, hatte er noch immer die Zigarette im Mund. Sein Arzt riet ihm, aufgrund seiner Herzprobleme weniger zu rauchen und zu trinken. Also sagte sich Stefanini, er trinke fortan nur noch ein Glas Wein pro Tag. Dafür suchte er sich das allergrösste Glas, das er finden konnte.
Stefanini platzte mit seiner Immobilienverwaltung mitten in den Bauboom der Nachkriegsjahre. Die Bevölkerung wuchs, der Wohlstand machte sich allmählich breit, und es brauchte an allen Ecken Wohnungen, um die Menschen unterzubringen. Und so stampfte Stefanini gemeinsam mit dem Zürcher Hans Robert Jenny einen Wohnblock nach dem anderen aus dem Boden. Sie waren allesamt schlicht und einförmig, doch für ihre Zeit Pionier-Bauten.
Die Immobilienbarone der 50er kauften den Landwirten billig Land ab, und wurde es dann später zu Bauland, warf es enormen Gewinn ab. Dadurch entstand aber auch der viel kritisierte «Agglomerationsbrei», diese Aneinanderreihung von trostlosen Plattenbauten ohne eigene Seele. Spreitenbach ging als hervorstechendes Negativbeispiel für die Zersiedelung in die Geschichte des Schweizer Mittellandes ein.
Stefanini war enttäuscht. Es hatte ihn getroffen, dass man seine Arbeit nicht zu würdigen verstand. Mit 50 zog er sich mitsamt seinen Millionen aus dem Baugeschäft zurück. Die Zeit, in der man ein Projekt für drei Wohnblöcke in 36 Stunden auf die Beine stellen konnte, war vorbei.
Die Winterthurer Altstadtwohnungen, die sich Stefanini danach kaufte, waren alles andere als beliebt. Niemand wollte damals in diesen Lotterbuden wohnen, die teilweise nicht einmal an die Kanalisation angeschlossen waren. Böse Zungen behaupteten, Stefanini würde die Todesanzeigen durchlesen, um danach den verwitweten Frauen ihr Haus abzuknöpfen. Ein klassischer Witwenschüttler, sagten sie. Und womöglich schüttelte er tatsächlich ein paar trauernde Gattinnen, denn Stefanini war ein knallharter Geschäftsmann. Wie er auch immer an diese Häuser herankam, am Ende gehörten ihm 50 Liegenschaften. Zehn Prozent der Altstadt besass Stefanini – und er machte keine Anstalten, die alten Häuser zu renovieren.
Hunderte Inkassoverfahren liefen gegen Sefanini, der Millionär bezahlte seine Rechnungen erst auf der Türschschwelle zum Friedensrichter. Seine unterirdische Zahlungsmoral entsprang einem asketischen Sparzwang. Er sass in seinen verlotterten Altbauwohnungen und rühmte sich, dass er in seinem Leben noch nie Miete bezahlt habe. Unzählige Cheminées habe er gebaut, selbst aber nie eins besessen. Jeden Tag ass er einen Cervelat und trank ein Bier dazu. Er lief in abgewetzten Hosen rum und las in gebrauchten Büchern. Eigentlich sah er so aus wie seine heruntergekommenen Liegenschaften. Oder sie wie er.
Stefanini schlief auf dem Liegebett in seinem Büro. Zuhause war er selten. Mit seiner Frau Vroni Winiger hatte er drei Kinder, mit denen er in einer baufälligen Villa am Winterthurer Goldenberg wohnte. Irgendwann ertrug sie diese Baustelle nicht mehr und zog mit den Kindern nach Bern. All die Jahre ertrug diesen herrischen Mann nur eine Frau: Seine Sekretärin Dora Bösiger. Er nannte sie Bö. Und die Leute dachten, sie sei seine Geliebte.
Mit dem Gewinn, den seine Liegenschaften abgeworfen hatten, gründete Stefanini die Stiftung Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG). Er begann wie ein Verrückter historische Gegenstände zu sammeln. Zuerst Waffen, Hellebarden, Gewehre und Armbruste. Danach griffen seine Hände nach allen möglichen Reliquien grosser Männer: einer Romanow-Prunkschale, nach Goethes-Tagebüchern, Hesses Gedichtheft, nach der Feldbadewanne des deutschen Kaisers Wilhelm II. und dem Dienstwagen von Churchill. 100'000 solcher Gegenstände sind heute in seinem Besitz.
Für John F. Kennedys Schreibtisch, auf dem dieser 1963 das Atomteststopp-Abkommen mit der Sowjetunion unterzeichnete, liess Stefanini 1,4 Millionen Dollar springen. Der höchste Schätzwert lag bei 50'000. Und als das Weisse Haus erfuhr, dass das geschichtsträchtige Möbelstück auf dem Weg in die Schweiz war, klingelte Stefaninis Telefon. Er möge den Tisch doch dem amerikanischen Staat verkaufen. Stefanini mochte nicht.
Doch auch für die Schweizer Kunst interessierte sich der leidenschaftliche Sammler. Tatsächlich gehörte er zu einer handvoll privater Sammler – darunter auch Christoph Blocher –, die nicht nur den den Wert Schweizer Kunst bestimmten, sondern zugleich auch definierten, wer als typischer Schweizer Künstler galt.
Hodler war so ein Beispiel: In den 50ern konnte sich ein Normalsterblicher einen Hodler ins Wohnzimmer hängen. Erst im Kalten Krieg wurde er wiederentdeckt und zum Nationalkünstler erhoben: Seine Werke galten fortan als Sinnbild der Schweizer Identität. Heute kann ein einzelnes Hodler-Gemälde über zehn Millionen Franken einbringen.
In seiner Sammlung waren Impressionisten und Realisten vertreten, Stilleben, Akt- und Landschaftsbilder in verschiedensten Stilrichtungen. Allein für den Kubismus konnte er sich nicht begeistern:
Diese riesigen Schätze verschwanden aber allesamt in den unzähligen Depots Stefaninis. All seine alten Waffen verrosteten ohne richtige Zuwendung in seinen Kellern, seine Böcklins, Giacomettis, Segantinis, Ankers und Hodlers fristeten ein gefährdetes Dasein in irgendwelchen Kartonschachteln.
Stefanini sammelte ohne System wild durcheinander. Er mischte millionenschwere Gemälde mit billigem Ramsch vom Flohmarkt.
Zeit, sich um die ganzen Sachen zu kümmern, blieb ihm aber nicht. Er machte keinen Inventar und lieh nur selten etwas an Museen aus. Auch, weil er oft gar nicht wusste, wo der betreffende Gegenstand sich befand.
Ihm lag die Pflege der abendländischen und schweizerischen Werte am Herzen. Und diese wollte er vor dem Untergang, vor dem Dritten Weltkrieg bewahren.
Auch die schweizerischen Kunstwerke wollte Stefanini keinesfalls in ausländischen Händen wissen. Hodlers «Heilige Stunde» bewahrte er vor den Klauen des Saint Louis Art Museum. Mit 2,5 Millionen Franken. Während sich auf seinem Kennedy-Tisch der Staub anzusetzen begann. Sein patriotischer Werte-Erhaltungs-Trieb verwehrte ihm wohl den Gedanken, dass es für einen Künstler nichts Grösseres gibt, als über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu sein.
Sein Traum eines eigenen Museums sollte sich nicht erfüllen. Als er 1990 das Sulzer-Hochhaus kaufte, und all seine Sammlungsgüter aus dem Brestenberg-Bunker mit 32 Lastwagenfuhren nach Winterthur holte, war er mit der Stadt über ein Stiftungsmuseum im Gespräch. Doch Winterthur wollte kein weiteres Kunstmuseum.
Stefanini war ein Secondo aus einfachen Verhältnissen. Ohne Matura. Seine Exfrau ist sich ziemlich sicher, dass seine Überbetonung der schweizerischen Werte wie Sparsamkeit und Bescheidenheit eine Art Kompensationshandlung war. Er wollte sich in die Tradition der Kunstsammler Reinhart und Hahnlosers einreihen. Ein homo novus mit italienischen Wurzeln, der versuchte, in die oberen Ränge der Gesellschaft zu klettern. Ein Messie, der nicht Abfall, sondern millionenschwere Kulturgüter hortete.
Jetzt ist Stefanini dement. Und vielleicht ist das sogar gut so. Weil er so den Krieg zwischen seinen Kindern und dem Stiftungsrat um sein milliardenschweres Imperium nicht mitkriegt, der an seinem Sterbebett geführt wird.