Wie er es geschafft hat, die FDP-Basis zu überzeugen, kann sich Andri Silberschmidt (24) selber nicht genau erklären. Überraschend sind die Delegierten am Samstag dem Chef der Jungfreisinnigen gefolgt – und haben mit einer Mehrheit von über 70 Prozent die Nein-Parole zum Geldspielgesetz beschlossen.
Damit vollzieht die Partei eine Kehrtwende: Im Parlament hatten die FDP-Vertreter das Gesetz noch grossmehrheitlich unterstützt. «Offensichtlich ist es uns gelungen aufzuzeigen, dass es schlecht zur FDP passen würde, ein protektionistisches Gesetz zu unterstützen», sagt Silberschmidt, dessen Partei zusammen mit anderen Jungparteien das Referendum ergriffen hatte.
Die FDP verstehe sich als Partei des Fortschritts, der Digitalisierung, sagt Silberschmidt. «Es wäre schwer zu vermitteln gewesen, wenn der Freisinn in dieser Frage nun digitalen Heimatschutz betrieben hätte.»
Das Geldspielgesetz, über das die Schweizer Stimmbürger im Juni befinden können, legalisiert die bislang verbotenen Online-Glücksspiele. Allerdings nur für konzessionierte Schweizer Casinos. Ausländische Anbieter sollen mit Netzsperren belegt werden, sodass die Schweizer Nutzer nicht mehr auf ihre Seiten zugreifen können.
Zu den Befürwortern innerhalb der FDP zählt der Aargauer Nationalrat Matthias Jauslin (55). Der Entscheid der Delegierten hat ihn auf dem falschen Fuss erwischt. «Schade, dass Generation Z & liberale Idealisten nun die soziale Verantwortung ausblenden», ärgerte er sich auf Twitter.
Über 50'000 CH-GeldspielerIn wegen Überschuldung mit Spielsperren belegt. Diese weichen auf verbotene Onlinespiele aus. #Geldspielgesetz will mit gezielter #Netzsperre Gegensteuer geben. Schade, dass Generation Z & liberale Idealisten nun die sozialen Verantwortung ausblenden.
— Matthias Samuel Jauslin (@JauslinMatthias) 25. März 2018
«Die Jungen in unserer Partei blenden leider aus, dass auch die virtuelle Welt kein rechtsfreier Raum ist», führt Jauslin im Gespräch mit watson aus. Für die konzessionierten Spielbanken gälten in der realen Schweiz strenge Auflagen, etwa in Bezug auf den Spielerschutz. «Wenn wir im Internet Wild-West-Verhältnisse zulassen, ist das ein falsch verstandener Liberalismus.»
Tatsächlich zieht sich in der Glücksspiel-Frage ein Generationengraben durch die Partei. Bereits im Parlament waren es primär jüngere FDP-Exponenten, die vom Ja-Kurs abgewichen waren. So hatten bei der Schlussabstimmung im Nationalrat fünf Freisinnige den Nein-Knopf gedrückt, darunter Christian Wasserfallen (36), Philippe Nantermod (33) und Marcel Dobler (37).
Am Samstag habe wohl auch das flammende Plädoyer von Hans-Jakob Boesch den einen oder anderen Delegierten umgestimmt, glauben Beobachter. Der Chef der Zürcher Kantonalpartei gehört mit seinen 38 Jahren ebenfalls zu einer neuen Generation freisinniger Politiker.
Wie Jauslin auf der Pro-Seite kämpft Peter Schilliger (58), FDP-Nationalrat und Verwaltungsrat der Kursaal Casino AG in Luzern. Auch er betont: «Die schöne freie Welt existiert im Bereich der Glücksspiele schlicht nicht». Laut Verfassung sei der Bund dafür zuständig, Geldspiele zu regulieren. «Wenn wir zuschauen, wie online der Schwarzmarkt floriert, ist das nicht liberal, sondern einfach nur ungerecht.»
Sowohl Schilliger als auch Jauslin verweisen auf die 50’000 Personen, die heute in den Schweizer Casinos aus Präventionsgründen gesperrt sind. «Wir haben als Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, dies gilt auch in der virtuellen Welt», so Jauslin. Netzsperren trügen dazu bei, dass auf Onlineplattformen faires und ehrliches Spielen möglich sei.
Dies sei illusorisch, kontert Silberschmidt. «Die Alibi-Sperren werden kaum einen Laien ernsthaft davon abhalten, online zu spielen – und erst recht keinen Spielsüchtigen.» Besser wäre aus Sicht der Jungfreisinnigen eine Lösung nach dänischem Vorbild. «Dänemark vergibt Online-Konzessionen und hat den Schwarzmarkt so nahezu ausgetrocknet.» Der Spielerschutz sei auf diese Weise gewährleistet.
Es bestehe keine Dringlichkeit, eine unausgegorene Reform durchzuboxen, so Silberschmidt. Denn bei einer Ablehnung des Geldspielgesetzes werde niemandem etwas weggenommen.
Schilliger widerspricht: «Ein Nein führt dazu, dass weiterhin Geld aus illegalen Spielen nach Malta und Gibraltar abfliesst, während die inländischen Casinos und Lotteriegesellschaften ihre Gewinne brav zugunsten der AHV und gemeinnütziger Projekte abgeben.»
Der Generationen-Streit in der FDP gipfelt darin, dass sich die beiden Seiten gegenseitig mit Lobbying-Vorwürfen eindecken. «Viele, die sich in der Partei für das Gesetz stark machten, haben einen Posten in der heimischen Casino-Industrie», sagt Silberschmidt. Ihre Absichten lägen auf der Hand: «Kommt das Gesetz durch, bedeutet das für die Schweizer Casino-Anbieter faktisch eine Profitgarantie.»
Der Vorwurf treibt Casino-Verwaltungsrat Schilliger zur Weissglut: «Es sind die Jungfreisinnigen, die in dieser Frage nicht sauber sind! Sie lassen sich ihr Referendum von illegalen ausländischen Geldspielanbietern finanzieren, gegen die wir nicht vorgehen können, weil sie ihren Sitz in Steueroasen haben.» Der Umsatz ausländischer Internetcasinos in der Schweiz wird auf rund 250 Millionen Franken pro Jahr geschätzt.
Bekannt ist, dass Firmen wie Pokerstarks, Interwetten und BWin das Referendumskomitee der Jungfreisinnigen mit rund einer halben Million Franken unterstützt haben. Silberschmidt sieht darin kein Problem – man habe stets mit offenen Karten gespielt. «Ohne die Gelder aus dem Ausland könnten wir jetzt gar nicht über die Netzsperre abstimmen.»