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>>> Wir tickern die zweite Partie heute ab 20.15 Uhr live.
Wie viel Glück erträgt der Mensch? Wie viele Siege eine Mannschaft? Seit dem Altertum beschäftigen sich Philosophen, Dichter und Denker mit diesem Thema. Sie haben Warnungen für das Volk in griffige Formulierungen gegossen. «Allzu viel ist ungesund» oder «Halte stets das Mass».
Eishockey-Playoffs sind eine sportliche Grenzerfahrung. Die richtige Dosis Selbstvertrauen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Diese richtige Dosis zu finden, ist manchmal für eine talentierte, grosse Mannschaft (ZSC Lions, SCB) gar nicht so einfach, wie es scheinen mag. Zu viel Selbstvertrauen ist sogar ein häufiger Grund für das Scheitern eines Favoriten. Weil der Übergang zu Leichtsinn und zu Arroganz oft fliessend ist.
Der SC Bern hat nur 28 der insgesamt 100 Qualifikationspartien unter Kari Jalonen verloren, 15 davon in der soeben beendeten Qualifikation 2017/18. Der finnische Erfolgstrainer hat die grosse, mächtige SCB-Maschine so gut getunt, dass die einzelnen Spieler oft gar nicht mehr gefordert und herausgefordert werden. Diese Leichtigkeit des Siegens hat den SC Bern gegen die ZSC Lions in eine kritische Situation gebracht. Die Zürcher haben das erste Halbfinale in Bern 3:2 gewonnen.
Die SCB-Reaktion auf diese Niederlage ist gut und gefährlich zugleich. Gut, weil das Selbstvertrauen intakt geblieben ist. Gefährlich, weil der Halbfinal-Fehlstart noch keine Trotzreaktion hervorgerufen hat. Zu viel Selbstvertrauen? Die Berner haben jedenfalls ihre Gelassenheit nach dem Spiel nachgerade zelebriert.
Nur Trainer Kari Jalonen wirkte beunruhigt. Mit Mühe wahrte er seine steife Würde und liess sich die Bemerkung entlocken, man habe dem Gegner drei Tore geschenkt. Ansonsten wich er provokativen Fragen mit dem Hinweis aus, er müsse erst das Video analysieren. Und nein, er sei nicht laut geworden, es sei jetzt nicht Zeit zum Toben (für «Pep Talks»). Seine Stimme klang allerdings ungewohnt heiser.
Er muss in den Pausen eben doch getobt haben. Was SCB-Kultverteidiger Eric Blum auf eine entsprechende Frage bestätigt: «Ja, für seine Verhältnisse war er etwas laut. Aber nicht laut, wenn wir Guy Boucher als Massstab nehmen …». Guy Boucher ist der kläglich gescheiterte, autoritäre und tobende NHL-General, der in Bern das Verpassen der Playoffs (als Titelverteidiger!) im Frühjahr 2014 auf dem Gewissen hat.
Die Gelassenheit der Berner hat nach dem Fehlstart ins Halbfinale etwas Künstliches. Logisch. Sie ist ein Mittel zum Zweck: Nur dem Gegner jetzt ja keine Anzeichen von Schwäche, Unsicherheit oder Zweifel zeigen.
Im Gegensatz dazu steht die echte Gelassenheit der Zürcher. Sie ist das Produkt einer grimmigen Entschlossenheit. So wie dem Innenleben der Berner nach zu vielen leichten Siegen der Pfeffer der Niederlage fehlt, so ist die Verfassung der ZSC Lions diese Saison durch die richtige Portion Niederlagen (plus Trainerwechsel) kräftig gewürzt worden.
Die Zürcher mahnen an den SCB, der im Frühjahr 2016 vom 8. Platz aus die Meisterschaft gewonnen hat. SCB-Trainer war damals Lars Leuenberger, heute strategischer Leiter der SCB-Sportabteilung. Er sagt: «Die Zürcher spielen genau so wie wir damals.»
Die ZSC Lions wie der SCB 2016? Warum nicht? ZSC-Trainer Hans Kossmann fällt Gelassenheit jedenfalls leichter als Kari Jalonen. Auf die vielfach gestellte Frage, wie er diese wundersame Wandlung seiner Mannschaft zuwege gebracht habe, gibt er eine kluge Antwort: «Das hat mir nichts zu tun. Die Spieler sind in sich gegangen und haben das selber geschafft.»
Für eine solche Wandlung ist die richtige Dosis verlieren ganz offensichtlich hilfreich. 29 Niederlagen waren es damals während der Qualifikation der Meister Saison 2015/2016 beim SCB. Also mehr Niederlagen in einer Qualifikation (2015/16) als bisher unter Kari Jalonen in zwei (2016/17 und 2017/18).
25-mal mussten die ZSC Lions in der soeben gespielten Qualifikation als Verlierer vom Eis. Die richtige Dosis liegt offensichtlich im Bereich zwischen 20 und 30 Niederlagen. 23-mal hatten nämlich die ZSC Lions während der Qualifikation verloren, als sie 2012 vom 7. Platz aus den Titel holten. Mit einem Finalsieg im 7. Spiel gegen den … SC Bern – in Bern.
Niederlagen, das Salz der Erde, das Salz des ZSC-Selbstvertrauens.