Vor einem Jahr war St. Gallen abstiegsgefährdet und Sie veränderten das Kader stark. Im Vergleich zu damals hatten Sie wohl eine gemütliche Winterpause, oder?
Alain Sutter: Es ist eine andere Winterpause als sonst. Alleine schon wegen der WM und des langen Unterbruchs. Zudem ist die Situation von damals nicht mit der heutigen zu vergleichen. Die Mannschaft ist eine andere.
Also mussten Sie sich heuer den Kopf etwas weniger zerbrechen?
Es gibt im Moment nicht weniger zu überlegen.
Hängt das vor allem mit der unerwarteten Rückkehr von Daouda Guindo nach Salzburg zusammen?
Die Rückbeorderung kam überraschend und erfolgte relativ spät. Wir haben mit Salzburg ja schon einige Leihgeschäfte gemacht und Verträge mit diesem Klub beinhalten immer Klauseln. Im vergangenen Jahr zogen wir im Winter die Option, als wir den verletzten Ousmane Diakité zurückgaben, damit er die Reha bei seinem Stammverein absolvieren kann. Nun machte Salzburg von der Option Gebrauch. Grundsätzlich sind das eher Pro-forma-Klauseln. Aber natürlich können immer Situationen eintreffen, die es erfordern, die Option zu ziehen.
Wie wollen Sie Guindo ersetzen?
Wir versuchen nie, Spieler zu ersetzen. Es wird eine Neubesetzung geben, mit einem anderen Spielertyp, einer anderen Persönlichkeit. Wir haben im Kader mit Michael Kempter und Isaac Schmidt zwei Akteure, die auf dieser Position gut spielen können. Deshalb ist bei uns auch keine Hektik ausgebrochen.
Das heisst, für die linke Verteidigerposition holen Sie keinen neuen Spieler?
Das sind interne Geschichten. Wir behalten den Markt im Auge, aber wir behalten vor allem unsere Mannschaft im Auge. Bis am 15. Februar haben wir die Möglichkeit, noch etwas zu machen.
Sie selbst sind seit Sonntag hier im Trainingslager. Wie sind Ihre Eindrücke?
Zu Hause bin ich an jedem Training dabei. Da habe ich schon einiges mitbekommen. Qualitativ wurde sehr gut gearbeitet, die Intensität war hoch. In Spanien geht es vor allem darum, perfekte Bedingungen vorzufinden bezüglich Plätzen, Wetter und Essen. Die haben wir. Es wird auch hier hervorragend trainiert. Angeschlagene Spieler gehören zu einer Vorbereitung dazu, weil die Belastung sehr gross ist.
Man hört, Sie seien auf der Suche nach einem Stürmer.
Wir schauen, wie unsere Spieler durch diese Vorbereitung kommen. Ist einer verletzt oder angeschlagen? Wir müssen gut beobachten: Julian von Moos ist in der Vorrunde lange ausgefallen, Alessio Besio ebenfalls, Emmanuel Latte Lath ist aufgrund seiner Spielweise gefährdet, weil er weder sich noch den Gegner schont. Fabian Schubert ist noch länger verletzt. Deshalb wäre es keine Überraschung, wenn wir im Angriff noch etwas machen würden.
Aufgrund dieser Ausfälle ist St. Gallen im Herbst in eine Resultatkrise geraten. Sehen Sie das auch so?
Wir müssen realistisch bleiben: Wir sind nicht YB, das über eine unglaubliche Kaderbreite verfügt und diese auch finanzieren kann. Deshalb ist es logisch, dass uns Ausfälle von wichtigen Spielern treffen. Doch wir haben in den vergangenen Jahren auch gesehen, dass bei uns jeder ersetzbar ist, weil wir vom Kollektiv, von der Begeisterung und von der Leidenschaft leben. In jener Phase in der Vorrunde fehlten uns sechs Spieler verletzt oder angeschlagen: Das war schon ein Faktor, weshalb die Resultate nicht mehr so gut ausfielen. Wir können viel auffangen, aber nicht alles.
Haben Sie die WM-Auftritte von Goalie Lawrence Ati Zigi verfolgt?
Natürlich. Zuerst habe ich mich gefreut, dass er aufgeboten wurde. Dann, dass er spielen durfte. Es gab in Katar zwei Mannschaften, denen ich die Daumen drückte. Ich habe es ja selber erlebt: Es ist etwas Grossartiges, als Spieler erstmals eine WM zu bestreiten. Das geht Zigi nicht anders. Er hat seine Sache gut gemacht. Hätten die Ghanaer etwas Glück gehabt, wären sie weitergekommen.
Schauten Sie sich Zigis Spiele mit gemischten Gefühlen an, weil andere Klubs allenfalls auf ihn aufmerksam werden könnten?
Nein. Ich habe ihm gesagt: «Hey, Zigi. Unterschreib den Vertrag vor der WM, liefere ein riesen Turnier, dann kommt dein Lieblingsklub Manchester United, kauft dich und ich fahre dich da hinauf.» Je besser er spielt, desto grösser sind die Mannschaften, die sich für ihn interessieren, desto attraktiver ist es auch für uns. Deshalb habe ich gehofft, dass er eine gute WM spielt. Für ihn, für uns.
Sie sehen das pragmatisch.
Es ist nichts als fair in einer Partnerschaft mit einem Spieler. Wir wollen ihn nicht an uns ketten, sondern etwas gemeinsam erschaffen: Dass er besser wird und die Mannschaft besser wird – dann gehört es zum Geschäft, dass Spieler interessant werden für andere. Es wäre absurd zu hoffen, dass der eigene Spieler an einer WM schlecht spielt.
Liegt ein konkretes Angebot auf dem Tisch, das Sie für prüfenswert befinden?
Nein.
Also gehen Sie davon aus, dass Zigi der Goalie des FC St. Gallen bleibt?
Wir alle wissen: Wenn ich jetzt auf mein Zimmer gehe und aufs Handy schaue, kann schon alles wieder anders sein. Wir freuen uns einfach über ihn, solange er bei uns ist. Ich glaube, auch für Zigi persönlich müsste ein richtig gutes Angebot kommen, damit er sagt: Jetzt gehe ich.
Mit Leonidas Stergiou verfügen Sie über einen weiteren Spieler, der Interesse weckt. Sein Vertrag läuft 2024 aus. Die Chance dürfte klein sein, dass er noch die nächste Saison für St. Gallen spielt.
Wenn man den Vertrag anschaut, kann man eins und eins zusammenzählen. Aber auch für ihn gilt dasselbe wie für Zigi: Es muss eine gute Offerte kommen, die für ihn spannend ist und die für uns stimmt. Stergiou will den nächsten Schritt machen. Bis jetzt trat aber noch nie eine Konstellation ein, die für alle passte. Mit ihm und seinem Umfeld haben wir eine offene Kommunikation. Alle wissen, was die Bedingungen sind.
Den Vertrag zu verlängern, ist keine Option?
Nein. Er hat den Wunsch, etwas anderes zu sehen, den nächsten Schritt zu machen, was völlig legitim ist. Ein Angebot, den Kontrakt zu verlängern, wäre sinnlos gewesen. Aber natürlich: Für uns sind der nächste Sommer oder Winter die letztmöglichen Momente, eine Ablösesumme zu generieren.
Der FC St. Gallen will junge Spieler ausbilden, oder Akteuren, die verletzt waren, eine Chance geben, um sie dann zu verkaufen.
Das wäre dann ein Geschäftsmodell. Aber nicht unseres. Es war nie eine Strategie, dass wir die Spieler einsetzen, um sie dann bald zu verkaufen. Wir wollen sie weiterentwickeln, damit sie bei uns gut sind, damit wir eine attraktive, erfolgreiche Mannschaft haben, die dem Publikum Freude bereitet. Und die Fans deshalb so zahlreich wie möglich erscheinen. Das ist unsere Strategie, damit verdienen wir unser Geld. Unser Business sind die Zuschauerinnen und Zuschauer. Transfererlöse sind ein Bonus, aber nicht das Ziel. Wir müssen keine Transfereinnahmen generieren, um ein ausgeglichenes Budget zu haben. Wir haben den Luxus, auch einmal Nein sagen zu können.
Sie selbst waren an der WM in Katar. Wie ist die Einladung zustande gekommen?
Die FIFA verfügt über ein Legendenprogramm. Ich wurde von Pascal Zuberbühler eingeladen, der für den Weltverband im technischen Stab arbeitet. Ich war in guter Gesellschaft. Es gab ein paar Legendenspiele auf einem kleinen Platz, den sie ins Meer gebaut haben. Da spielten wir jeweils mittags mit Roberto Carlos, Lothar Matthäus, Hristo Stoichkov, John Terry oder Kaká. Ich habe auch alle Schweizer Spiele vor Ort gesehen. Es war ein grosses Erlebnis, das ich nicht vergessen werde – auch, weil ich es mit meinem Sohn teilen durfte.
Bin stolz auf unseren FCSG!