Kafi Freitag - Das Buch
Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.
Liebe Viola
Gell, Sie erlauben sich einen kleinen Scherz mit mir, wenn Sie fragen, ob ich das tüpflischiisserisch finde. Im Gegenteil! Mich entsetzt, was Sie da schreiben, wüki. Sehr sogar. Und traurig macht es auch. Denn was gibt es Schlimmeres, als nach einem Abend mit Freunden mit einem solch sauren Nachgeschmack leben zu müssen. Da hinterfragt man ja plötzlich alle und alles. Und schlussendlich auch noch sich selber, wie Sie es tun. Das darf doch einfach nicht wahr sein!
Über die Gründe kann ich nur rätseln. Es muss nicht sein, dass es um ein Souvenir geht, sondern vielleicht eher um eine zwanghafte Handlung. Ich erinnere mich gut an meinen Job in einer Boutique, in der in regelmässigen Abständen die Frau eines berühmten Lokalpolitikers klauen kam. Als ich sie dabei erwischte und die Polizei rief, kamen die Beamten an und begrüssten die Diebin mit Namen. Sie war für ihr Hobby stadtbekannt und ihr Mann hatte mit den meisten Geschäften einen Deal vereinbart. Man liess die Frau klauen und schickte ihm danach die Rechnung für den Verlust, liess die fleissige Gattin aber im Glauben, sie wäre dabei nicht erwischt worden. Es ging also um den Kick oder schlicht und ergreifend um das Krankheitsbild der Kleptomanie, die eine spezielle Form einer Zwangshandlung darstellt. Es war keine böse Absicht und vor allem keine Gier, welche die Frau zu ihrem Handeln drängte.
Und so könnte es auch in Ihrem Fall sein. Gut möglich, dass auch hier keine Vorsätzlichkeit hinter dem Diebstahl steht. Aber selbst wenn dem so wäre, verstünde ich Ihren Unmut sehr gut! Schliesslich ist es ein schlimmer Eingriff in die Privatsphäre und ein furchtbarer Vertrauensmissbrauch, wenn man Gäste zu sich nach Hause einlädt und dann beklaut wird. Das empfinden selbst Menschen so, bei denen eingebrochen worden ist und welche die Täterschaft nicht kennen. Wie muss man sich da erst fühlen, wenn man weiss, dass es sich um einen Freund handelt, den man am eigenen Geburtstag als Gastgeber grosszügig bewirtet hat?
Nun habe ich mich selber gefragt, wie ich in einer solchen Situation vorgehen würde, und ich kam zu folgendem Schluss: Ich würde eine Rundmail verschicken und erklären, dass da was abhandengekommen ist an jenem Abend. Dass ich an besagtem Gegenstand sehr hänge und er einen hohen emotionalen Wert für mich hat und darum bitten, mal in der Handtasche nachzusehen, ob er vielleicht versehentlich hineingerutscht ist. So im Wortlaut freundlicher Firmen, die im Mahntext schreiben, es könne ja jedem mal passieren, dass man eine Zahlung vergisst.
So verliert die besagte Person nicht so sehr das Gesicht und kann das Glas sorgfältig verpackt an Sie zurückschicken, gerne auch anonym. Das dürfen Sie ja gerne noch dazuschreiben. Und schreiben Sie die Mail an die ganze Gästeliste, und zwar so, dass jeder sehen kann, dass sie an alle ging. So fühlt man sich weniger betupft, als wenn man das Gefühl hat, man hätte als einzige Person eine solche Zuschrift bekommen.
Wenn das Glas dann wieder den Weg zu Ihnen zurückgefunden hat, können Sie davon ausgehen, dass es der Person peinlich genug ist, dass es nicht wieder vorkommen wird. Nichts zu unternehmen finde ich weniger sinnvoll, da die Sache dann immer mitschwingt, wenn Sie wieder Freunde im Haus haben. Und allzu heftig reagieren ist auch doof, weil es ja nur einen Menschen betrifft und nicht die ganze Gruppe.
Ich hoffe sehr, dass Sie mit meinem Rat was anfangen können, liebe Viola. Und wenn nicht, lassen Sie von jeder Person was Geliebtes mitlaufen und bieten dann einen Geiselaustausch an. Aber bitte keine Ehepartner, das Risiko wäre einfach zu gross, dass Sie darauf sitzen bleiben und das schöne Glas nie wiedersehen.
Mit herzlichem Gruss, Ihre Kafi