Kafi Freitag - Das Buch
Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.
Lieber Fabian
Erst einmal vorweg: Die meisten Menschen erkennen sich im Spiegel beim Friseur kaum wieder. Und zwar nicht darum, weil der Coiffeur ein Wunder vollbracht hätte, sondern vielmehr, weil man sich plötzlich indirekt durch die Augen des Menschen hinter einem sieht. Wenn mein Lieblingsfriseur Danniel, noch bevor er mir ein Haar gekrümmt hat, mit seinen Händen durch meine Mähne fährt, sieht es immer so grossartig aus, dass ich gleich wieder gehen könnte, ungetaner Dinge. Wenn aber eine Coiffeuse hinter einem steht und sagt, der bestehende Schnitt würde das Gesicht komisch betonen, dann möchte man sich am liebsten für eine Totaloperation anmelden. Gleich anschliessend, ohne Umweg über zuhause! Es ist kein Witz, wenn ich sage, dass man sich vor diesem Spiegel immer ein bisschen nackig fühlt und darum besonders empfänglich für jede Art von Aussage und Blick ist. Ich habe das grosse Glück, einen Friseur zu haben, der mir das Gefühl gibt, die Allerschönste und Wunderbarste zu sein. Diesen Zustand kann ich dann mit etwas gutem Willen bis in die Abendstunden konservieren. Aber ich kann mich auch noch gut daran erinnern, wie ich mich zwei Wochen schlecht gefühlt habe, nachdem eine frühere Coiffeuse zu mir sagte, meine Haare seien nach der Schwangerschaft ganz schön ausgedünnt und es sei zu bezweifeln, dass sie jemals wieder so dicht würden, wie sie es zuvor waren. Wie gesagt: nackt und ausgeliefert!
Ziemlich ähnlich ist es, wenn man denkt, dass etwas an einem nicht stimmt. Als ich kürzlich nach einem Zahnarztbesuch einen narkotisierten Mund hatte und das Gefühl, meine Lippen stünden um etwa 45 Grad verkehrt herum im Gesicht, bildete ich mir ein, alle würden mich schief ansehen. Auch etwa 45 Grad schief, mindestens! Ich hatte sogar den Eindruck, die Leute würden auf mich zeigen. Dabei war es nur ein Baby, das auf alle vorbeigehenden Menschen zeigte. Der Nachhauseweg gestaltete sich tatsächlich spannend, weil ich jeden Blick, der mich streifte, als Beweis dafür erachtete, dass mit meinem Gesicht etwas nicht stimmte. Je mehr ich mir das einbildete, umso mehr wurde es für mich spürbar. Ich hätte mich wunderbar hineinsteigern können, wäre ich nicht auch schon zuhause angekommen und hätte im Badezimmerspiegel erkennen können, dass mein Gesicht aussieht wie immer; leicht windschief, aber freundlich.
Ich bin 41 Jahre alt und heute denke ich sehr lieb über mich. Aber ich weiss noch gut, wie ich mich Anfang 20 hinterfragt und kritisch beäugt habe. Ich fand mich überhaupt nicht schön und habe an mir herumgemäkelt, als gäb's kein Morgen. Mit 16 Jahren habe ich mir die Ohren richten lassen, weil ich überzeugt war, dass man mit «solchen» Ohren keinen Platz auf dieser Welt hat. Meine Ohren waren vollkommen normal, gerade mal mässig abstehend. Heute würde ich meine Ohren mögen, aber damals konnte ich das nicht. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir gut zugeredet und mir gesagt hätte, dass meine Ohren ok sind. Stattdessen hat man mir die OP bezahlt. In jungen Jahren ist es wertvoll, wenn man jemanden an seiner Seite hat, der einem gewisse Ideen und Unsicherheiten ausredet. Ich hatte niemanden in dieser Art. Sie vielleicht auch nicht.
Ich könnte mir drum gut vorstellen, dass bei Ihnen ein paar Dinge zusammenkommen und sich gegenseitig etwas schwierig potenzieren. Sie haben die Nase richten lassen und die Krankenkasse hat sogar dafür bezahlt. Kann gut sein, dass Sie den Eingriff sonst nicht gemacht hätten und sich durch die finanzielle Entlastung etwas haben leiten lassen. Aber mit Sicherheit haben Sie sich an ihrer Nase gestört, sonst hätten Sie das nicht gewollt. Nun stehen Sie mit einer neuen Nase im Leben und haben Mühe, sich damit abzufinden. Und soll ich Ihnen etwas sagen, lieber Fabian? Das ist ganz normal!
Die Nase ist das Zentralste in unserem Gesicht. Natürlich schauen wir unserem Gegenüber in die Augen und küssen uns auf die Lippen. Aber die Nase entscheidet oft darüber, ob wir ein prägnantes Gesicht haben, oder eines, das man in der Masse schnell wieder vergisst. An eine 0815-Nase kann man sich in der Regel schlecht erinnern, weil sie sich nahtlos ins Gesicht einfügt. Wenn jemand aber eine charakteristische Nase hat, dann kann man diese gut aus der Erinnerung heraus beschreiben. Ich persönlich habe eine Schwäche für charakteristische Gesichter, ich habe auch schon darüber geschrieben, was ich über grössere Eingriffe im Gesicht denke. Ich bin davon überzeugt, dass sie uns mehr verändern, als dass wir uns vorstellen können. Sie haben Ihr Gesicht 23 Jahre lang im Spiegel angeschaut. Sie kennen jede Narbe, jedes Fältchen und Grübchen, jede Asymmetrie und jeden angeblichen Makel. Nun schauen Sie sich im Spiegel an und erkennen sich nicht wieder. Das kann Angst machen, das verstehe ich gut.
Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Sie sich über Nacht von einem 3-Jährigen zu einem 23-Jährigen entwickelt hätten; Sie würden sich auch nicht wieder erkennen, einverstanden? Da sich die Veränderung aber in winzigen Schritten vollzogen hat, konnten Sie sich langsam an die Veränderung gewöhnen. Mit einer Operation hebelt man diesen Prozess aus und sieht wie über Nacht verändert aus. Dass die Seele da Mühe hat, mit dem neuen Äusseren klarzukommen, ist verständlich. Schliesslich hatte sie keine Chance, sich in Teilschritten an das Ergebnis heranzutasten. Diesen Effekt kennt man von Menschen, die sich beinahe in den Tod hungern und sich im Spiegelbild trotzdem noch als fett sehen. Das Auge und die Wahrnehmung spielen nicht zusammen, das Bild, das auf der Netzhaut ankommt, hat mit dem Bild im Kopf nichts zu tun. Bei Ihnen ist es ganz ähnlich. Ihre Wahrnehmung sieht im Moment nur das, was nicht passt. Wir Menschen sind genau darauf geschult, wir können instinktiv in einer riesigen Menschenmenge innert Sekunden erkennen, wenn jemand hinkt oder auf andere Weise anders ist als die Norm. In der Steinzeit war das eine wichtige Fähigkeit, man musste sehr schnell erkennen, wenn etwas anders war als gewöhnlich. Heute führt es dazu, dass unser Unterbewusstsein auf Menschen anderer Hautfarbe anders reagiert, als wenn wir jemandem begegnen, der gleich ist wie wir. Dahinter steckt kein Rassismus, es ist unser menschlicher Instinkt, der alles betont, was anders ist. Im Coaching reden wir von match und missmatch.
Bei Ihnen werden im Moment die neue Nase und die neuen Gesichtszüge betont. Das ist ganz normal, daran können Sie nichts ändern. Ihr Auge und Ihre Wahrnehmung brauchen Zeit, sich daran zu gewöhnen. Sie können diesen Prozess beschleunigen, indem Sie die neue Nase willkommen heissen in Ihrem Gesicht. Das mag jetzt vielleicht absurd klingen, aber unser Unterbewusstsein wird kooperativ, wenn es spürt, dass der neue Gast ein willkommener ist. Das bedeutet nicht, dass Sie sich im Spiegel ins Gesicht lügen müssen und sich selber einreden, wie grossartig Sie die neue Nase finden. Aber eine Einstellung, welche die Veränderung annimmt und das neue Aussehen integrativ behandelt, wird es Ihnen sehr viel leichter machen. Fangen Sie mit einem Satz an, den Sie mit Überzeugung denken und aussprechen können. So einer könnte heissen: «Ich bin lernfähig und kann mich an mein neues Äusseres gewöhnen». Oder aber: «Ich kann darauf vertrauen, dass ich mich an diese Veränderung gewöhnen werde, so wie an viele andere in meinem Leben».
Suchen Sie sich einen Satz, der bei Ihnen keinen Widerstand auslöst. Das Unterbewusstsein sträubt sich in der Regel gegen Sätze, die zu ambitioniert sind. Aber es weiss, dass Sie in Ihrer Vergangenheit schon sehr viel gelernt haben und oft mit Veränderungen klarkommen mussten. Darum wird es einen Satz in der vorgeschlagenen Art eher akzeptieren. Machen Sie sich diesen Satz zu Ihrem persönlichen Mantra. Schreiben Sie ihn auf einen Zettel und tragen Sie ihn mit sich herum. Sagen Sie den Satz immer wieder auf. Zuhause laut, im Bus ganz leise. Seien Sie geduldig mit sich und geben Sie sich genügend Zeit. Sie sind 23 Jahre lang mit einem anderen Gesicht herumgelaufen, es wird ein paar Monate brauchen, bis Sie sich an das neue gewöhnt haben. Sie werden sehen, dass es Ihnen helfen wird, wenn Sie sich gut zureden. Es gibt zig Studien, die beweisen, dass wir Menschen uns durch unsere Gedanken und unsere Aussagen beeinflussen können. Nutzen Sie diese Tatsache zu Ihren Gunsten und denken Sie und reden Sie so lieb wie möglich über sich. Egal, ob Sie gut oder schlecht über sich reden, Ihre Worte werden zur Wahrheit! Darum wählen Sie diese mit Bedacht!
Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi