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Wie du mit einer konkreten Frage Scharlatane entlarven kannst

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Wie du mit einer konkreten Frage Scharlatane entlarven kannst

19.08.2023, 07:46
Hugo Stamm
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Wir Menschen tun uns schwer damit, offene existenzielle Fragen auszuhalten. Um unseren «Seelenfrieden» zu bekommen, suchen wir krampfhaft eine Antwort. Wenn sich keine plausible finden lässt, nehmen wir Zuflucht bei der nächstbesten.

Esoterische Erlebnisse
In der modernen Welt, in der spirituelle Konzepte den religiösen den Rang abzulaufen scheinen, übernehmen Esoteriker die Funktion der Wahrheitsverkünder.Bild: Shutterstock

Eine vernünftige Lösung wäre, die offenen Fragen vorurteilslos zu ergründen. Vielen Menschen ist dies aber lästig. Einerseits ist es anstrengend, andererseits haben sie mehr oder weniger bewusst Angst, dass die Antwort ihr Weltbild auf den Kopf stellen könnte. Oder dass es keine Antwort gibt. Sich einzugestehen, dass gewisse Fragen unser Erkenntnisvermögen übersteigt, löst Unsicherheit aus.

Eine dieser zentralen Fragen lautet: Gibt es Gott? Eine andere: Was passiert nach dem Tod?

Ein fundamentales Bedürfnis

Das Bedürfnis, diese Fragen zu beantworten, ist fundamental. Und wo ein grosses Bedürfnis oder eine grosse Nachfrage besteht, entsteht immer ein Markt. Dann drängen Menschen in den Vordergrund, die behaupten, wasserdichte Antworten gefunden zu haben. Bei der Frage nach Gott treten Propheten und Glaubensgemeinschaften als Verkünder der reinen Wahrheit auf. Sie liefern den Interessenten gleich noch angebliche Beweise für ihre Erkenntnisse.

In der modernen Welt, in der spirituelle Konzepte den religiösen den Rang abzulaufen scheinen, übernehmen Esoteriker die Funktion der Wahrheitsverkünder. Eine ihrer Disziplinen, mit denen sie die Existenz unsterblicher Seelen «beweisen» wollen, sind Jenseitskontakte.

In der Schweiz gibt es Hunderte von angeblich medial begabten Personen, die solche Kontakte mit Verstorbenen anbieten. Allein bei der Plattform meinmedium.ch sind 179 Medien aufgeführt, die angeblich mit Verstorbenen kommunizieren können. Bei einer Umfrage des Schweizer Fernsehens gab immerhin ein Viertel der 5000 befragten Personen an, an die Vermittlung von Botschaften von Verstorbenen aus dem Jenseits zu glauben.

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Nur ein Schleier

Das Medium Agnes Romhanyi beschreibt es so:

«Im Laufe der Sitzung übermittle ich Dir persönliche Botschaften der Verstorbenen, denn sie sind nur durch einen Schleier von uns getrennt und auch weiterhin mit uns verbunden. Ich arbeite als Vermittler zwischen Dir und der geistigen Welt.»

In einem Porträt des Schweizer Fernsehens sagte Pascal Voggenhuber, das wohl bekannteste Medium für Jenseitskontakte, es könne vorkommen, dass die verstorbene Mutter eines Kunden in der Schlange bei der Kasse ihn frage, ob er ihrem Sohn eine Botschaft übermitteln könne. Die Geistwesen scheinen zu wissen, dass Voggenhuber vermeintlich einen Blick ins Jenseits machen kann. Dabei drängt sich die Frage auf, weshalb die Mutter als geistiges Wesen nicht direkt mit ihrem Sohn sprechen kann.

Die meisten Esoteriker sind restlos überzeugt, dass es die geistige Welt gibt, in der die Verstorbenen hausen. Beweise dafür gibt es aber nicht. Und die Hinweise der Medien sind dürftig. Da bewegt sich alles auf der Ebene des Glaubens. Oder besser: Aberglaubens.

Unbewiesene Annahmen

Anhänger der Jenseitskontakte müssen weiter glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Und dass wir Menschen eine Seele besitzen würden. Beides sind unbewiesene Annahmen.

Trotzdem glauben Esoteriker an die übersinnliche Kraft der Medien. Viele haben selbst solche Séancen erlebt und sind überzeugt, im direkten Kontakt mit verstorbenen Angehörigen gewesen zu sein.

Wie funktioniert das? In der Fachsprache nennt man das Phänomen «cold reading». Das Medium stellt dabei seiner Kundin zuerst sehr allgemeine Fragen zur verstorbenen Person. Zum Beispiel:

«Ich sehe, dass deine Mutter im letzten Lebensjahr sehr krank war.»

Die Antwort der Tochter:

«Ja, sie hatte Lungenkrebs und war mehrheitlich in Spitalpflege.»

Eine andere Frage des Mediums:

«Ich sehe mit meinem geistigen Auge auch, dass deine Mutter gut kochte. Sie ass auch gern, was sich in ihrem Gewicht niederschlug.»

Antwort der Tochter:

«Ja, genau, sie war eine gute Köchin und ziemlich übergewichtig.»

Bei diesem Frage- und Antwortspiel erfährt das Medium immer mehr über die Verstorbene, weshalb es immer präzisere Botschaften vermitteln kann. Das beeindruckt die Kundin, die nun definitiv von den Jenseitskontakten überzeugt ist. Meistens mündet die Sitzung in der tröstlichen Antwort:

«Deine Mutter teilt mir mit, dass es ihr in der geistigen Welt gut geht und dass sie dir vergibt, weil du nicht genug Zeit hattest, dich intensiv um sie zu kümmern. Sie lässt dir auch ausrichten, dass sie dich beschützt.»

Genau solche Absolutionen und tröstlichen Worte wollen die Kunden der Medien hören, um ihr Gewissen zu entlasten. Deshalb sind sie noch so gern bereit zu glauben, dass die Jenseitskontakte mit ihren verstorbenen Angehörigen real waren.

Es gäbe einen einfachen Weg, die Medien als Scharlatane zu entlarven. Man müsste ihnen lediglich konkrete Fragen stellen: «Fragen sie meine Grossmutter nach ihrem Todestag, nach ihrer letzten Adresse, nach den Namen und Geburtstagen ihrer Enkelkinder, nach ihrer Handynummer usw.»

Wetten, dass das Medium keine einzige richtige Antwort von der verstorbenen Mutter erhält.

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Hugo Stamm, Sektenblog
Bild: zvg
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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563 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Arodon
19.08.2023 09:39registriert Juli 2022
Bassend zem Thema hets vor e baar Joor e Schnitzelbangg gää:

In letschter Zyt kaa me als wie mee,
uff alle Sänder so Hellseeher gsee.
Doch lyttisch denne so aim aa,
froggt die Pfyffe "wär isch draa?"
🤣
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tychi
19.08.2023 08:24registriert Juli 2016
Spannender finde ich die Frage (unabhängig der Wahrheitsfrage und Beweisbarkeit): Sind solche Jenseitskontakte hilfreich oder hinderlich im Leben? Gibt es da Untersuchungen? Was sind die Bewertungskriterien, wann es kritisch wird?

Positives Beispiel: Meine Großmutter ging fast täglich zu ihrem Mann ans Grab und redete mit ihm. Zuerst schimpfend, dann immer zärtlicher. Auf dem Hin- und Rückweg machte sie ihre Besorgungen, erledigte die Zahlungen, traf sich mit anderen zum Kaffee und hatte gleich ihr Fitnessprogramm. Später lernte sie auf dem Friedhof sogar nochmals einen Partner kennen.
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tychi
19.08.2023 08:18registriert Juli 2016
Das Problem an den von Hugo Stamm vorgeschlagenen sehr konkreten Fragen ist, dass sie einfach umschifft werden können? z. B.: Als Wesen der geistigen Welt braucht man solches erdgebundenes Wissen wie Daten, Zahlen und Nummern nicht mehr. Es geht doch um Beziehungen oder innermenschliche Vorgänge.

Ich finde es einfach schlimm, wenn dann damit Abhängigkeiten erzeugt und schamlos ausgenutzt werden.
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Darf ich den Baum des Nachbars zurückschneiden?
«My home is my castle, my garden is my paradise». In den helvetischen Gärten Eden setzt das Nachbarrecht der Gestaltungsfreiheit jedoch die eine oder andere Grenze.

Während sich in Australien 3.4 Personen einen Quadratkilometer teilen, leben in der Schweiz etwa 212 Personen auf derselben Fläche. Das ist eng und bereits ein Ast, der vom nachbarlichen in den eigenen Garten ragt, kann zu viel des Guten sein. So dürfen denn die Kantone auch Vorschriften erlassen, wie nah an deinem Grundstück der Nachbar Büsche und Bäume pflanzen darf.

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