Sektenblog
24.09.2016, 08:0024.09.2016, 20:10

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Fromme Christen aus freikirchlichen Vereinigungen zitieren immer wieder «Studien», die angeblich belegen, dass Beten das Leben verlängert. Man mag den Gläubigen gönnen, dass sie länger leben, weil sie Gott um Beistand bitten. Den Kausalzusammenhang darf man aber trotzdem bezweifeln.
Die Sache hat nämlich einen fundamentalen Haken.
Ich bezweifle, dass es ein wissenschaftlich fundiertes Untersuchungsdesign gibt, mit dem ein direkter Zusammenhang zwischen dem Beten und der Lebenserwartung bewiesen werden kann.
Da ist vielmehr der Wunsch der Vater des Gedankens. Denn viele Gläubige sehen in dieser These eine Art Gottesbeweis: Wer betet, der geniesst den besonderen Schutz Gottes und wird durch ein längeres Leben beschenkt.
Längeres Leben als Gottesbeweis
Für viele Gläubige ist vermutlich wichtiger, dass sie endlich einen (vermeintlichen) Gottesbeweis haben als ein längeres Leben. Und: Sie glauben nun zu wissen, dass Gott in den Lauf der Welt eingreift und seine frommen Schäfchen für ihr gottesfürchtiges Leben belohnt.
Kurz: Sie sind deshalb sicher, dass es sich lohnt, zu beten. Sie verdienen sich damit nicht nur das Himmelreich, sondern auch ein längeres und schöneres Leben.
Warum lässt Gott das alles zu?
Ich glaube schlicht nicht, dass Gott in den Alltag von uns Menschen eingreift, denn dieser Glaube führt zu fundamentalen Widersprüchen.
- Wieso lässt Gott unschuldige Kleinkinder an einem Herzfehler oder an Krebs sterben? Das ist insofern bedeutend, als Gläubige gern argumentieren, Krankheiten seien eine Strafe Gottes für fehlbares Verhalten. Das trifft auf kleine Kinder bestimmt nicht zu.
- Gott lässt es zu, dass christlich getaufte Kinder von «IS»-Schergen massakriert werden. Wie lassen sich solche Verbrechen mit der Liebe und Barmherzigkeit Gottes erklären? Warum schützt er die Kinder nicht, wenn er angeblich den Lauf der Welt dirigiert?
Das Paradox des Heilungsgottesdienstes
An diesem Beispiel lässt sich ein weiteres, himmelschreiendes Paradox aufzeigen: An Heilungsgottesdiensten können sich Gläubige in vielen Freikirchen von allen möglichen Unpässlichkeiten oder Gebrechen angeblich heilen lassen. Ein «Klassiker» sind die Gläubigen mit zwei vermeintlich ungleich langen Beinen.
Zuerst demonstriert der Pastor, dass die Beine des Gläubigen tatsächlich unterschiedlich lang sind. Doch dies ist ein Irrtum, denn durch ein leichtes Verschieben der Hüfte wirken sie ungleich. Dann schreitet der Prediger zum Ritual: Durch Beschwörungen und Gebete bittet er Gott oder Jesus um den heilenden Segen. Danach werden die Beine erneut «vermessen» – und siehe da, sie sind dank Gottes Wunderheilung gleich lang.
Könnte oder würde Gott tatsächlich in unseren Alltag eingreifen, müsste man ihm eine Grundlektion in Ethik und Moral verpassen.
In Wirklichkeit liegt der Gläubige diesmal korrekt mit ausgerichteter Hüfte da. Dies ist für die Gläubigen ein weiterer Beweis für die Existenz Gottes und seine Hilfsbereitschaft.
Daraus ergibt sich eine weitere Frage:
- Wie kommt Gott dazu, in der westlichen Welt kleine Wehwehchen oder Scheinprobleme von Gläubigen zu heilen, während er im Nahen Osten gläubige Kleinkinder im Kugelhagel sterben lässt? Könnte oder würde Gott tatsächlich in unseren Alltag eingreifen, müsste man ihm eine Grundlektion in Ethik und Moral verpassen.
Und den Gläubigen, die Gott wegen jeder Kleinigkeit für sich beanspruchen, müsste eine Moralpredigt gehalten werden, die sich gewaschen hat.
Gottesfürchtige leben seriöser
Übrigens: Natürlich leben Strenggläubige länger als «gewöhnliche» Christen oder Skeptiker. Um dies zu erkennen, braucht es keine Studie. Der einfache Grund: Gottesfürchtige Menschen leben wegen ihres Glaubens seriöser und leben deshalb länger.
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig:
Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem
Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
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Nicht nur Kinder erziehen scheint oft so etwas wie eine Glaubensfrage, sondern auch, sie zur Welt zu bringen. Ich, überzeugte Krankenhaus-Gebärende, fragte bei Geburtshaus-Fan Daniela Nagel nach ihren Erfahrungen.
Eines muss man der deutschen Roman- und Sachbuch-Autorin Daniela Nagel lassen: Sie hat wesentlich mehr Erfahrung im Gebären als ich. Ich habe zwei Kinder zur Welt gebracht, einmal Wassergeburt, einmal geplanter Kaiserschnitt wegen Querlage, beide im Spital. Daniela hat fünf Kinder, drei davon erblickten im Geburtshaus das Licht der Welt, die Zwillinge kamen per Kaiserschnitt im Krankenhaus. Von den Geburtshäusern ist sie so begeistert, dass sie gar eine Roman-Trilogie verfasste, die in diesem Umfeld spielt. Für mich ging das damals (meine Kinder sind mittlerweile fast 18 und 16 Jahre alt) eher unter so «Gschpürschmi-Zeug». Nicht mein Ding. Vielleicht hätte ich diese Diskussion mit Daniela schon früher führen sollen.