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Als Richterin Antje Ebner am Nachmittag das Urteil gegen Gina-Lisa Lohfink verkündet – 80 Tagessätze à 250 Euro wegen falscher Verdächtigung – kommt sie erst mal nicht weit. Lohfink-Unterstützerinnen erheben sich von ihren Plätzen und verlassen unter Buh-Rufen den Saal.
Und auch Lohfink, am Tag der Urteilsverkündung hochgeschlossen im weissen Hosenanzug, steht auf und stürmt, begleitet von ihrem Manager, nach draussen. Die Begründung, die an diesem Nachmittag folgt, wollen sie sich nicht anhören.
Über vier Jahre zieht sich das Verfahren nun. Erst ging es um Sexvideos, die nach einer Nacht zu dritt gegen den Willen des Models verbreitet worden sein sollten, dann wurde daraus ein Vergewaltigungsvorwurf. Und daraus wiederum eine Anklage gegen Gina-Lisa Lohfink.
Der Fall, über den die «Washington Post» berichtete, spalte Deutschland. Er befeuerte die Debatte über die Verschärfung des Sexualstrafrechts. Und nach anderen Bundespolitikerinnen hatte auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig Partei für Lohfink ergriffen: Ein «Hör auf» sei deutlich.
An diesem Tag ergreift Lohfink – aus eigener Sicht ein Opfer der sexistischen Justiz – die Gelegenheit zu einem letzten Wort. Es ist in diesem Verfahren zugleich ihr erstes: Sie stehe nicht vor Gericht, um berühmt zu werden, denn das sei sie ja schon, sagt sie unter Tränen. Sie habe den Sex nicht gewollt und auch nicht das Filmen.
Es sei pervers, was die Männer mit ihr gemacht hätten, den Schmerz werde sie bis zu ihrem Tod mit sich herumtragen. Sie sei keine Pornodarstellerin, keine Hure oder Schlampe. Und dann: «Ich überlege mir jetzt, mein Abitur zu machen und zu studieren.»
Auch Lohfinks Verteidigung ist nach vier Jahren Verfahrensdauer noch für eine Überraschung gut: Am letzten Verhandlungstag zieht Verteidiger Burkhard Benecken das Attest einer Frauenärztin aus seiner Aktenmappe, das die Ermittlerin des Landeskriminalamts schon 2012 eingefordert hatte.
Lohfink hatte behauptet, diese sei vom Anblick ihrer Wunden «geschockt» gewesen. Ebner verliest den Untersuchungsbefund der Gynäkologin: «Keine frischen oder älteren Hämatome, keine Kratzspuren, keine Verletzungen.»
Dann macht der toxikologische Gutachter Torsten Binscheck-Domass von der Berliner Charité deutlich, was er von Lohfinks Behauptung hält, sie sei womöglich mit K.o.-Tropfen betäubt worden: nichts. Null Hinweis auf den Einsatz von K.o.-Tropfen.
«Die Frau Staatsanwältin und ich kennen Videos, in denen nachweislich K.o.-Tropfen verabreicht wurden, in denen sieht man bewusstlose Frauen, die wie Gummipuppen rumgeschleppt werden», sagt der Sachverständige. «Die können nicht tanzen und rauchen und sprechen, die können nicht ihre Managerin anrufen und Pizza essen.» Alles Dinge, die Lohfink der Beweisaufnahme zufolge im fraglichen Zeitraum tat.
Staatsanwältin Corinna Gögge hatte sich zuvor beim Verteidiger noch nach den aktuellen Vermögensverhältnissen seiner Mandantin erkundigt: Für das Jahr 2014 hatte Lohfink ein Nettoeinkommen von 31'000 Euro angegeben, für 2015: voraussichtlich 18'000 Euro. Als Zeitpunkt für die Berechnung der Höhe des Tagessatzes gilt jedoch: jetzt. «Ist es zutreffend, dass Ihre Mandantin ins Dschungelcamp einziehen soll, Gage: 150'000 Euro, und dass schon ein Betrag geflossen sein soll?»
Gögge erhebt sich zum Plädoyer: Falsche Verdächtigungen kämen häufiger vor als gedacht, und meist führten sie nicht zu einer Anklage. Weil die Beschuldigenden irgendwann zurückruderten. Die Gelegenheit habe Lohfink verpasst. «Frau Lohfink sieht sich als Opfer, das zur Täterin gemacht wurde», sagt sie. «Das ist Unfug.»
An ihrem Platz auf der Anklagebank wippt Lohfink genervt mit ihren silbernen Stilettos, während Gögge noch einmal die Ungereimtheiten des Falls Revue passieren lässt: Die erste Strafanzeige, in der es hiess, es habe «einvernehmlichen» Sex gegeben. Die Nacht, die sie nach der angeblichen Vergewaltigung mit einem der angeblichen Vergewaltiger verbrachte.
Das Telefonat, das Lohfink am nächsten Nachmittag von der Wohnung aus führte, in der sie angeblich noch immer festgehalten und bedroht wurde. Darin teilte sie ihrer Managerin mit, sie esse noch eine Pizza und werde dann kommen. Gögge: «Wenn sie Gelegenheit hat zu telefonieren, wieso wählt sie dann nicht die 112?»
Unschuldige durch falsche Verdächtigung ins Visier von Ermittlungen zu bringen, sei eine Straftat von einigem Gewicht, sagt Gögge. Zumal bei Vergewaltigung, Strafmass: zwischen zwei und zehn Jahren. Am Ende fordert sie 80 Tagesätze à 300 Euro. Aber noch eines ist ihr wichtig zu sagen: So dreist, wie die Verteidigung den Fall betrieben habe, mit einer «permanenten Verdrehung der Tatsachen», sei es «eine Verhöhnung und Irreführung aller Frauen und Männer, die tatsächlich Opfer einer Straftat geworden sind».
Verteidiger Benecken sieht das in seinem Plädoyer ganz anders: «Dies ist der Fall, der zu einem neuen Gesetz geführt hat, das die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen in Deutschland verbessert», sagt er. «Das ist ein riesengrosser Erfolg von Frau Lohfink.» Wenn das Vorgehen der Staatsanwaltschaft im Fall Lohfink Schule mache, «dann gute Nacht für alle Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind oder zumindest zur Polizei gehen und das behaupten».
Dann kommt er, auf den Anklagevorwurf bezogen, zum überraschenden Schluss, seine Mandantin habe die beiden Männer nie der Vergewaltigung bezichtigt. Also nicht explizit jedenfalls, und deshalb könne sie auch niemanden zu Unrecht beschuldigt haben. Die logische Konsequenz: Freispruch.
Nun also die Urteilsbegründung: Als wieder Ruhe im Saal eingekehrt ist, sagt Richterin Antje Ebner, es habe viele Fragen gegeben, die sie Frau Lohfink nicht habe stellen können, weil die Verteidiger dies nicht zuliessen. Sie hätte sie zum Beispiel gerne gefragt, wie es sein könne, dass eine Frau mit schmerzhaften Wunden von einer Vergewaltigung sich am nächsten Abend fit genug fühle, um mit einem ihrer angeblichen Vergewaltiger erneut Sex zu haben. Nun gut, alles nicht mehr zu klären.
«Es ist kein Blümchensex zu sehen», sagt Ebner über die Videos. «Was man sieht, ist nicht jedermanns Geschmack. Aber nirgendwo ist zu sehen, dass Frau Lohfink sich nicht wohlfühlt.» Auch das am Vormittag vorgelegte Attest – keine Verletzungen, alles normal – zeige, dass Lohfink bewusst wahrheitswidrig ein Verbrechen angezeigt habe, «mit allen Konsequenzen für die Angezeigten».
Ebner will am Ende dieses Verfahrens etwas geraderücken, das der Verteidiger gerade einmal mehr als Meilenstein in Sachen Sexualstrafrecht gepriesen hat: Es sei eben nicht «der Fall», erklärt Ebner ans Publikum gerichtet, also kein Riesenerfolg für Lohfink. Stattdessen hätten schon die Vorgänge in der Silvesternacht in Köln dazu geführt, dass Deutschland sein Sexualstrafrecht verschärft – und damit, wie andere Länder zuvor, die sogenannte «Istanbul-Konvention» umgesetzt habe.
Anders als ihr Verteidiger behaupte, habe eine Frau auch nie nachweisen müssen, dass sie sich während der Tat gewehrt habe, damit der Sex als Vergewaltigung gilt: «Wir haben hier schon Männer verurteilt, obwohl wir nichts anderes hatten als die Aussage der Frau und die Aussage des Mannes.»
Frau Lohfink habe es jedoch vorgezogen, sich nicht vor Gericht zu äussern, stattdessen im Beisein ihrer Verteidiger in den Medien. Aber auch die Verteidiger hätten das Verfahren für «nicht prozessrelevante Interessen» missbraucht – sprich: Eigen-PR.
Verteidiger Benecken blättert demonstrativ in einem Buch, während Ebner weiter in Richtung Verteidigung Luft ablässt: In der Öffentlichkeit hätten «Organe der Rechtspflege» bewusst Fakten verdreht. «Damit sind grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats missachtet worden.»
Dann ist die Urteilsverkündung zu Ende. Vor dem Saal richten sich die Kameras auf Verteidiger Benecken, der spricht von einem «schwarzen Tag für die Frauen in Deutschland.» Draussen warten die Unterstützerinnen vom #TeamGinaLisa, sie rufen: «Bildet Banden, macht sie platt, Macker gibt's in jeder Stadt.»