Kein Scherz: China, das alles und jeden überwacht, führt Regeln für Gesichtserkennung ein
China baut ein umfassendes Überwachungssystem mit Gesichts- und Gangerkennung auf. Die Polizei nutzt es, um Verbrecher aufzuspüren, und die biometrische Überwachung fliesst auch in das seit Jahren geplante Sozialkredit-System ein. Das Ziel: das finanzielle, das soziale, das moralische und auch das politische Verhalten seiner Bürger zu überwachen, zu bewerten und zu regulieren.
Parallel hielt die Gesichtserkennung in den vergangenen Jahren im Alltagsleben Einzug. Das Gesicht ersetzt Bargeld, Wohnungsschlüssel, Boardingpass und vieles mehr. An der Kasse oder an der Haustüre bleiben Portemonnaie oder Schlüssel zunehmend in der Tasche, da der schnelle Gesichts-Scan für viele bequemer ist.
Children in China now pay for their food order with facial recognition. pic.twitter.com/2PmUur4jif
— Suzanne Seddon (@suzseddon) September 12, 2022
Gesichtserkennung im öffentlichen Raum wird von Staat und Unternehmen gleichermassen genutzt – wenn auch mit meist unterschiedlichen Motiven.
Chinas Cyberspace-Hüter greifen durch
Die Cyberspace-Verwaltung, sie reguliert unter anderem Chinas umfassende Internet-Zensur, hat am Dienstag einen Verordnungsentwurf publiziert, wie Gesichtserkennung reguliert werden soll.
So dürfen nach Artikel 6 «Personenidentifikationsgeräte nicht in Hotelzimmern, öffentlichen Badezimmern, Umkleidekabinen, Toiletten und anderen Orten installiert werden, die die Privatsphäre anderer verletzen könnten».
Laut Artikel 9 soll Gesichtserkennung «in Unternehmen wie Hotels, Banken, Flughäfen, Kunstgalerien usw. nicht zur Überprüfung der persönlichen Identität verwendet werden».
So weit, so gut. Hellhörig macht ein anderer Artikel.
Verbot von Gesichtserkennung zur Bestimmung der Ethnie oder Religion
Laut Artikel 11 wäre es künftig Organisationen und Einzelpersonen unter anderem verboten, mit Gesichtserkennung die ethnische Herkunft von Menschen zu analysieren.
Von besonderem Interesse ist Artikel 11. Dieser besagt:
Die Cyberspace-Verwaltung schreibt nicht, ob die Kommunistische Partei Chinas als «Organisation» gilt, sprich Artikel 11 für den Staatsapparat gilt. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass die geplante Gesetzesänderung darauf abzielt, privatwirtschaftliche Überwachung mit Gesichtserkennung und ähnlichen Methoden im Sinne der Kommunistischen Partei zu regulieren. 
Die Verordnung schreibt beispielsweise vor, dass vor der Verarbeitung von Gesichtsinformationen eine Einwilligung eingeholt werden müsse, ausser in Fällen, in denen eine solche Einwilligung nicht erforderlich sei. Damit sind mutmasslich Personen gemeint, welche angeblich die nationale Sicherheit gefährden. Staatliche Behörden dürften also weiterhin freie Hand haben, wenn es um Gesichtserkennung im öffentlichen Raum geht – insbesondere im Umgang mit der muslimischen Minderheit der Uiguren.
Uiguren mit Gesichtserkennung überwacht
In den vergangenen Jahren gab es wiederholt Berichte, dass chinesische Firmen den Behörden Videoüberwachungs-Ausrüstung lieferten, die Minoritäten identifizieren kann.
In China, wie in vielen anderen Ländern, sind Überwachungskameras in Städten inzwischen teils omnipräsent. Der Lesart des Regimes zufolge sollen so vermisste Personen oder Terroristen aufgespürt werden. Allerdings wird mit Software, die Gesichter oder die Gangart erkennen kann, auch die Minderheit der Uiguren auf Schritt und Tritt überwacht und unterdrückt. Die Gesichtserkennungstechnologie ist so programmiert, dass sie Uiguren aufgrund ihres Aussehens herausfiltern soll.
Bereits 2019 berichtete die «New York Times», dass China Künstliche Intelligenz (KI) für das sogenannte Racial Profiling einsetzt, das heisst, für die Polizeikontrolle von Menschen aufgrund ihrer Haut- und Haarfarbe sowie ihrer Gesichtszüge.
«Systematische Unterdrückung»
Menschenrechtsorganisationen haben glaubhaft dargelegt, dass Uiguren systematisch unterdrückt und routinemässig mithilfe von Gesichtserkennung überwacht werden. «Darüber hinaus werden sie inhaftiert, zur Zwangsarbeit gezwungen, umerzogen, um ihren Glauben und ihre kulturellen Praktiken aufzugeben, und können sogar Sterilisierungskampagnen unterzogen werden», ruft The Register in Erinnerung.
Die chinesische Propaganda streitet dies ab, beschönigt und gibt höchstens zu, was sich nicht mehr leugnen lässt. Nachdem Peking die Existenz dieser Lager zunächst geleugnet hatte, sprach sie später von «Berufsbildungszentren» zur Deradikalisierung islamischer Extremisten.
Internierung von Uiguren
Mehr Datenschutz in China?
Laut chinesischer Cyberspace-Verwaltung besteht der Zweck der neuen Verordnung darin, «die Anwendung der Gesichtserkennungstechnologie zu regeln» und «personenbezogene Daten sowie andere persönliche Rechte und Eigentumsrechte zu schützen». So muss mit Schildern auf den Einsatz von Gesichtserkennung aufmerksam gemacht und Daten dürfen nur anonymisiert gespeichert werden.
Ausserdem dürfe Gesichtserkennung nur eingesetzt werden, «wenn es eine hinreichende Notwendigkeit gibt, strenge Schutzmassnahmen ergriffen werden und nur, wenn nicht-biometrische Massnahmen nicht ausreichen».
Wer gegen diese Vorschriften verstosse und anderen Schaden zufüge, «werde straf- und zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen», hält die Cyberspace-Verwaltung fest.
Kaum ein Land verzichtet auf Gesichtserkennung
Die biometrische Überwachung der Bevölkerung ist längst nicht mehr auf autoritäre Staaten wie China oder Russland beschränkt. 2019 erlaubten 109 Länder automatisierte Gesichtserkennung zu Überwachungszwecken, davon 32 in Europa. Auch in der Schweiz setzen mehrere Polizeikorps seit Jahren automatisierte Gesichtserkennungssoftware ein. 
Mit Gesichts- oder Ganganalysen können einzelne Menschen in einer Menschenmenge, beispielsweise während einer Demonstration, identifiziert werden. Hierzu erfolgt ein Abgleich mit den in einer Datenbank hinterlegten biometrischen Daten. Die Software bedeute primär eine Zeitersparnis, sagt die Polizei.
Die grösste Gefahr drohe durch eine Kombination von Videoüberwachung und Gesichtserkennung, warnen Datenschützer. Datenschutzorganisationen forderten daher 2021 per Online-Petition ein Verbot von Gesichtserkennung und biometrischer (Massen-)Überwachung in der Schweiz. Das Missbrauchspotenzial sei zu gross.
In der Schweiz haben erst vereinzelte Städte Gesichtserkennung im öffentlichen Raum verboten, im letzten Jahr etwa St.Gallen.
Lesetipp: So einfach ist es, eine Überwachungsmaschine zu bauen


