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Zwar strahlt die ARD «Citizenfour» heute Abend erst um 23 Uhr aus. Doch soll der Oscar-prämierte Film mit dem Whistleblower Edward Snowden bereits ab 18 Uhr in der Online-Mediathek verfügbar sein, wie der öffentlich-rechtliche Sender mitteilt. Man kann die Doku also anschauen, wenn es passt und man noch richtig wach ist.
Dass der knapp zweistündige Film nun erstmals im deutschen Free-TV gezeigt wird, geschieht zum richtigen Zeitpunkt. Es scheint, als seien Snowdens Enthüllungen bei Politikern und Journalisten in Vergessenheit geraten. Oder besser: Sie werden bewusst ausgeblendet, weil populistische Forderungen gerade mehr gefragt sind.
Nach den blutigen Anschlägen von Paris mehren sich hierzulande die Stimmen, dass man den Geheimdiensten weitreichende Befugnisse einräumen solle und die Verschlüsselungs-Technik besser kontrollieren müsse.
Der Chefredaktor der «Sonntagszeitung», Arthur Rutishauser, kommentierte in der gestrigen Ausgabe: «In Zeiten, in denen Terroristen sich wahllos Opfer aussuchen und jede Lücke im Sicherheitssystem nutzen, um effektiv zuschlagen zu können, ist es höchste Zeit, einige Ideale über Bord zu werfen.»
Mit seinem Editorial (Titel: «Die naive Sorglosigkeit derer, die bisher verschont wurden») positioniert sich Rutishauer, der ab dem 1. Januar nebst der «Sonntagszeitung» auch die Reaktion des «Tages-Anzeigers» leitet, als Hardliner in Sachen Terror-Bekämpfung. Zum Schluss schreibt der Wirtschafts-Journalist: «... solange wir gezwungenermassen vor der Wahl stehen zwischen etwas mehr Anonymität im Netz und der Sicherheit an öffentlichen Orten, muss die Antwort eindeutig sein.»
Sprich: Dem Kampf gegen den Terror, respektive vermeintlich mehr Sicherheit, ist die Privatsphäre der Bürger zu opfern, starke Verschlüsselung ist des Teufels und innovative Firmen wie Threema sollen gezwungen werden, mit dem Staat zu kooperieren.
Dezidiert anderer Meinung sind zwei renommierte Journalisten aus dem angelsächsischen Sprachraum, die kürzlich an einer Security-Konferenz in Wien auftraten, wie heise.de berichtet. Der Brite Duncan Campbell, ein preisgekrönter investigativer Journalist, hat vor 15 Jahren das amerikanische Satelliten-Abhörsystem Echelon enthüllt. Und auch sein US-Kollege James Bamford berichtet seit Jahrzehnten über Geheimdienste.
Die unabhängigen Experten halten die Massenüberwachung für gescheitert und sprechen sich öffentlich für starke Verschlüsselung aus. So zerzaust Campell denn auch die krude Idee, in abhörsichere Apps wie Threema Hintertüren einzubauen, damit die Geheimdienste trotzdem heimlich mitlauschen können: «Politiker träumen von magischen Geräten, die gegen alle Feinde geschützt sind, aber der Regierung offen stehen», meint der Brite. «Es sind ausschliesslich Politiker, die solchen kindischen Mist verzapfen. Es wäre Magie. Es ist unmöglich.»
Campell sagt, dass die Geheimdienste viele Wege hätten, um Verschlüsselung zu umgehen. Aber es sei harte Arbeit. Dem pflichtet sein amerikanischer Kollege bei: «Wenn Sie Ende-zu-Ende verschlüsseln, zwingt das die Regierung dazu, spezifische Überwachung einzusetzen (statt Massenüberwachung), zum Beispiel, in dem sie Tastaturen verwanzen.»
Und genau dies soll in der Schweiz in Zukunft ja möglich sein, sobald die Revision des entsprechenden Gesetzes (BÜPF) in Kraft tritt und der Einsatz von Staatstrojanern offiziell erlaubt ist. Der Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber erklärte übrigens gegenüber der «NZZ am Sonntag», dass er nicht zögern würde, solche Schnüffelprogramme schon heute einzusetzen, wenn es um die Überwachung eines Terrorverdächtigen gehe.
Hingegen besteht bei der Massenüberwachung ein grundsätzliches Problem und das heisst Big Data: Die Geheimdienste erstickten in den gesammelten Daten und setzten ihre Prioritäten falsch, gibt der US-Journalist Bamford zu bedenken. Die NSA habe mit der Massenüberwachung einen Taxifahrer in San Diego erwischt, der 7500 US-Dollar an eine somalische Gruppe geschickt hatte. «Das ist alles, was wir für die Milliardeninvestitionen (...) bekommen haben.»
Die neuste Masche sei nun, Edward Snowden für die schrecklichen Taten der Islamisten verantwortlich zu machen. Aber Tatsache sei, dass die Geheimdienste schon alle grossen Terrorangriffe vor Snowdens Enthüllungen verpasst hätten. Eines der eindrücklichsten Beispiele war natürlich 9/11: Damals erfuhr die NSA aus dem Fernsehen von den Flugzeugen, die ins World Trade Center rasten.
Die angelsächsischen Journalisten sind sich laut Bericht einig, wie Anschläge am ehesten zu verhindern sind. «Echte Terrorismusbekämpfung würde eine Abkehr von der Wirtschafts- und Politikspionage sowie eine Abkehr von der Investition in riesige IT-Anlagen erfordern.»
Statt den gesamten weltweiten Datenverkehr zu erfassen und Rechenzentren auszuwerten, müssten die Geheimdienste wieder verstärkt ihr ursprüngliches Handwerk ausüben. Zu dieser Arbeit gehöre es, Verdächtige zu beschatten und Sprachspezialisten zur Auswertung von verdächtigem Material heranzuziehen. Im Geheimdienstjargon werden solche Aktivitäten HUMINT genannt, das Kürzel steht für «Human Intelligence».
Bleibt anzumerken, dass dies auch der Haltung von Edward Snowden entspricht. Der NSA-Whistleblower kritisiert die aus dem Ruder gelaufene «Signal Intelligence» (SIGINT) nicht nur aus demokratischen Überlegungen, sondern auch weil sie ineffizient sei. Nur schade, dass er sich seit längerem nicht mehr via Twitter zu Wort gemeldet hat.
Als Fazit gilt in Erinnerung zu rufen, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. In einer Demokratie könnten Terroranschläge nur ausgeschlossen werden, wenn die Bürger auf sämtliche Freiheitsrechte verzichten würden. Der deutsche Jungpolitiker Lasse Becker brachte es 2013 auf den Punkt: «Sonst kommt als Nächstes die ständige Handy-Ortung und die elektronische Fussfessel für alle Bürger.»
Nach den Anschlägen in Paris ist ein Abbau von Grundrechten die falsche Reaktion. https://t.co/U5H0MYtwMb pic.twitter.com/ElNOm6mMj5
— DigitaleGesellschaft (@digiges_ch) 23. November 2015