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Drei Tage Musik, keinen Kontakt zur Restwelt, abtauchen an einem Festival. Das war früher. Früher, als man das Bier noch selber mitbringen musste. Damals war nicht alles besser. Auf Schritt und Tritt überwacht aber, das wurden wir nicht.
Heute sind die Open Airs Konsumtempel. Mit Discos, mit kalten Drinks an unzähligen Ständen und Werbung von grossen Firmen überall. Love, Peace und Happiness sind zwar noch immer möglich. Doch sehen die Veranstalter immer genauer, wo wir was treiben.
Ein Besuch am Open Air St.Gallen zeigt dies eindrücklich. Im Sittertobel kann nur noch bargeldlos bezahlt werden. Jeder Festivalbesucher lädt sich so viel Geld auf seinen Chip auf dem Eintrittsbändel, wie er zu verprassen gedenkt. Das kann er online schon zuhause machen oder während dem Festival an einer der Ladestationen. An den Stationen kann auch jederzeit nachgeladen werden.
Das Cashless-System vereinfacht und beschleunigt den Ablauf an der Kasse: Bier bestellen. Bändel ans Lesegerät halten und warten, bis der Betrag abgebucht ist. Trinken. Dadurch sind die Warteschlangen kürzer und es müssen keine Portemonnaies herumgeschleppt werden, die gestohlen werden könnten. Doch wir hinterlassen Spuren. Denn die Daten werden aufgezeichnet.
Da die Daten nicht nur für den Anbieter, sondern für jeden einzelnen Open-Air-Besucher ersichtlich sind, können wir bis ins kleinste Detail verfolgen, was wir alles weitergeben (siehe Listen unten). Aufgezeichnet wird jeder Geländeein- und -Austritt, jedes gekaufte Bier, jedes Schnitzelbrot – mit dem genauen Zeitpunkt und dem Ort. Wir werden zum gläsernen Festival-Besucher (siehe auch folgendes Video).
Auf der Homepage von Intellipay, dem Anbieter des Cashless-Systems des Open Airs St.Gallen, kann ich jede einzelne Konsumation anschauen. Hier ein Beispiel:
Klickt man auf das blaue Kästchen rechts oben, werden die Details zum Kauf aufgelistet:
Die Liste meiner Konsumationen während zwei Tagen: Angefangen beim Laden des Chips am Bahnhof (+150.–), über die Rückgabe eines einzelnen Jetons in der Walliserstube (+1.–), bis zum Kauf von Longdrinks an der Habsburgbar (−40.–).
Diese Daten sind nicht einfach nur lustig für Festivalbesucher, die nach einem Filmriss versuchen, ihre Nächte zu rekonstruieren. Diese Daten sind vor allem auch für die Veranstalter wertvoll. Sabine Bianchi, Sprecherin des Open Airs St.Gallen, sagt: «Wir sehen dadurch, wann wir an welchen Ständen wie viel verkaufen und können so das Personal besser einsetzen.» Durch das Ein- und Ausstempeln an den Haupteingängen wüssten sie zudem, wie viele Besucher sich auf dem Gelände befinden und könnten so das Sicherheitsdispositiv anpassen, so Bianchi weiter.
Doch die Daten bringen den Veranstaltern noch viel mehr. Indem sie sehen, wo wie viel verkauft wird, können sie zum Beispiel die Standmieten anpassen. Oder sie so hoch ansetzen, dass niemand mehr mitbieten kann. Ob dies bereits Schule gemacht hat, darüber lässt sich streiten. Fakt ist, dass auf dem Gelände im Sittertobel an mehr als einem Ort Festzelte vom Open Air selber betrieben werden, wo früher noch Private wirtschafteten.
Würden die Festivals die einzelnen Daten ihrer Besucher analysieren, könnten sie zudem personalisierte Werbung verkaufen. Möglich wäre theoretisch auch, dass konsumfreudige Open-Air-Gänger Vorverkaufsrechte für Tickets im Folgejahr bekommen.
In St.Gallen sei man allerdings nicht so weit, sagt Bianchi: «Mit den Daten einzelner Besucher machen wir nichts, wir haben gar nicht die Zeit dazu.» «Würden wir das je in Erwägung ziehen, holen wir selbstverständlich eine Erlaubnis unserer Gäste ein.»
Wie weit ist es überhaupt legal, Daten zu sammeln? Francis Meier, Sprecher Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter, sagt: «Veranstalter, die Cashless-Bezahl-Systeme einsetzen, müssen die Sicherheit der erfassten Personendaten gewährleisten und dürfen sie nur solange aufbewahren, wie sie für den angegebenen Zweck erforderlich sind.» Personenbezogene Auswertungen der Chip-Daten (zum Beispiel welche Getränke Besucher XY konsumiert hat) dürften nur mit Einwilligung der Kunden erfolgen. Wichtig sei, dass die Festivalbesucher die Möglichkeit hätten, auch «anonym» zu bezahlen, also ohne dass sie sich registrieren müssten, sagt Meier weiter. Dies ist beim Open Air St.Gallen der Fall.
Noch hat sich das bargeldlose Bezahlen nicht an allen Festivals durchgesetzt. Doch es dürfte nicht mehr lange dauern. Während das Zürich Open Air voll auf Cashless setzt, stellt das Open Air Gampel erst um, wenn die Systeme fehlerlos sind und die Ausfallquote niedriger ist. Beim Gurtenfestival heisst es, man wolle in Zukunft eine Lösung anbieten, «die den heutigen Umgang mit Zahlungsmitteln reflektiert». Das Gurtenfestival möchte den Gästen eine Auswahl lassen. Am Open Air Frauenfeld, das diese Woche über die Bühne geht, ist bis auf Weiteres das gute alte Bargeld Trumpf.