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10 aktuelle Krisen, über die niemand mehr spricht.

10 aktuelle Krisen, über die (fast) niemand spricht

Das Leid bleibt, doch niemand schaut mehr hin: Die Hilfsorganisation Care hat ausgewertet, über welche zehn humanitären Krisen 2021 am wenigsten berichtet worden ist. Auch eine europäische Krise ist darunter.
16.01.2022, 21:24
Camilla Kohrs / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Die Bilder des Flughafens in Kabul kommen vielen Menschen in den Kopf, wenn sie an die Krisen im Jahr 2021 denken: Tausende Menschen, die zu fliehen versuchten, während die Taliban die afghanische Hauptstadt eroberten. Doch kurz nach dem vollständigen Abzug der westlichen Soldaten verschwand das Land weitgehend aus den Weltnachrichten. Es war wie so oft: Gewöhnt man sich an eine Krise, schaut bald kaum noch jemand hin.

Das Leid aber bleibt, wie der neue Report «Suffering in Silence» der Hilfsorganisation «Care» zeigt. Care wertet jedes Jahr aus, welche zehn Krisen im vergangenen Jahr am stärksten in Vergessenheit geraten sind. «Natürlich kann der Report nur einen Trend in der Berichterstattung aufzeigen», heisst es dazu in dem Bericht. Er gebe aber Aufschluss über die globale Aufmerksamkeit, die humanitären Krisen in den weltweiten Online-Medien zukommt.

Hinweis zur Methodik
In 41 Staaten sind 2021 mindestens eine Million Menschen von Konflikten, Krisen oder Naturkatastrophen betroffen gewesen. Von diesen 41 Staaten hat das internationale Medienbeobachtungs-Unternehmen Meltwater für Care dann jene zehn identifiziert, über die am wenigsten in den internationalen Medien berichtet wurde. Dafür wurden Online-Artikel auf Arabisch, Englisch, Deutsch, Französisch und Spanisch im Zeitraum von Januar bis September ausgewertet.

Zu Sambia etwa, in der Rangliste auf Platz eins, fanden die Autoren des Reports nur etwas mehr als 500 Artikel, zu dem zehntplatzierten Honduras knapp 4000.

Honduras

Bandenkriminalität gehört in dem lateinamerikanischen Land zum Alltag, seit Jahren gibt es hier eine der höchsten Mordraten. Auch die Korruption verunsichert die Einwohner. Immer mehr Menschen, oft Männer, verlassen das Land in Richtung USA, Frauen und Kinder bleiben zurück. Sie sind nicht nur überdurchschnittlich von Armut betroffen, sondern auch von Gewalt: Honduras gilt als eines der gefährlichsten Länder für Frauen.

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Ein Gang-Mitglied der «Mara-18» bei einer Verlegung in ein Hochsicherheitsgefängnis in Honduras. Das Bild wurde im Jahr 2017 aufgenommen, die Bandenkriminalität ist noch aktuell in Honduras. Bild: EPA EFE

Simbabwe

Von einer traurigen Premiere spricht Care. Das südafrikanische Land ist zum ersten Mal auf der Liste. Wie sein Nachbarland Sambia ist Simbabwe hart von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Die Ernte reicht in vielen ländlichen Gebieten nicht mehr für die Grundversorgung. In den Städten verloren viele in der Corona-Pandemie ihr Einkommen. Gleichzeitig stiegen die Nahrungspreise. Die Folge: 5,7 der knapp 15 Millionen Einwohner fehlt es an Nahrung.

Mar 18, 2016 - Murambinda, Zimbabwe - Ndakaitei Mukarati shows some of the wild fruits she and her family have had to eat due to lack of food in Buhera Zimbabwe in this Wednesday 18 March 2016 photo.Z ...
Ndakaitei Mukarati zeigt die Tagesration Nahrung ihrer Familie. Das Bild wurde 2016 aufgenommen, der Hunger ist geblieben.Bild: imago

Niger

«Es ist ein schweres Leben. Das Essen ist jeden Tag knapp», sagt eine Frau den Helfern von Care. Für sie reicht es nur für eine Mahlzeit am Tag. Die Ernährungskrise trifft auch die Kinder: Fast die Hälfte der Unter-Fünf-Jährigen ist chronisch unterernährt. Die Gründe sind auch hier abwechselnde Dürren und Überschwemmungen sowie bewaffnete Konflikte. Letztere trieben mehr als 300'000 Menschen in dem Land auf die Flucht.

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Ein unterernährtes Kind wird von der Organisation «Medecins sans Frontieres» gewogen. Das Bild wurde bereits 2005 aufgenommen. Und noch heute ist fast die Hälfte der Unter-Fünf-Jährigen in Niger chronisch unterernährt. Bild: imago

Burundi

Extremwetter, Unruhen, Flucht und Hunger: Die Ursachen für die unsichere Lage in Burundi sind besonders vielfältig. Knapp 90 Prozent der Bevölkerung leben von einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft, doch der Klimawandel schädigt immer weitere Teile. Immer mehr Menschen müssen wegen Dürren, Überflutungen und Erdrutschen ihre Wohnorte verlassen. Jeder Sechste leidet unter Hunger – noch mehr sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.

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Frauen aus Burundi und Ruanda auf der Flucht vor Unruhen und dem Hunger. Sie schlafen unter einer Brücke in Nairobi. Das Bild wurde 2020 aufgenommen. Bild: keystone

Kolumbien

2016 wurde nach fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg Frieden geschlossen, auch wirtschaftlich geht es dem Land immer besser. Doch die Corona-Pandemie hat hier eine Ernährungskrise ausgelöst, von der vor allem indigene Gruppen und die 1,8 Millionen Geflüchteten aus dem Nachbarland Venezuela betroffen sind. Zudem sind besonders viele Frauen von Gewalt bedroht. Eine Umfrage von Care in der abgelegenen Stadt Ocana zeigte, dass zwei von drei Frauen körperlich misshandelt wurden.

Protests in Colombia after soldiers were accused of raping indigenous teen in second case to emerge in a week Bogota Colombia Copyright: xDanielxGarzonx DGA-18-1234
Kundgebung in Bogota, Kolumbine, nachdem Soldaten beschuldigt wurden, indigene Frauen vergewaltigt zu haben. Das Bild wurde 2020 aufgenommen.Bild: imago

Guatemala

Zwar hat das kleine mittelamerikanische Land eine starke Volkswirtschaft, doch die Unterschiede zwischen Arm und Reich sind enorm. Das Land gilt als besonders unsicher: Die Mordrate ist im internationalen Vergleich sehr hoch, Tendenz steigend. Auch Migranten auf dem Weg in die USA werden immer wieder Opfer krimineller Banden. Seit 2015 sorgen zudem Dürren für Ernteausfälle, die eine grosse Nahrungsmittelkrise ausgelöst haben.

November 25, 2020, Chisec, Guatemala: Guatemalans villagers isolated by the high flood waters from Hurricane Iota unload humanitarian aid delivered by the U.S. Army Joint Task Force Bravo November 25, ...
Die US-Armee verteilt Essensrationen in Gueatemala nach dem Hurricane Iota. Das Bild wurde 2020 aufgenommen.Bild: imago

Zentralafrikanische Republik

Überfälle, Entführungen und Menschenrechtsverletzungen: Seit 2012 herrscht hier ein Bürgerkrieg, zahlreiche Menschen sind auf der Flucht. Zwar einigten sich Regierung und Rebellen im Oktober auf einen Waffenstillstand. Bei vorherigen Versuchen aber wurde die Hoffnungen auf Frieden immer wieder zerstört. Die Corona-Krise und Nahrungsknappheit erschweren das Leben zusätzlich. Kinderarbeit ist weit verbreitet, im Schnitt gehen sie weniger als vier Jahre in die Schule.

epa09002032 Children Internally displaced people (IDP's) from the Central African Republic wait to be registered by an NGO in Liton, Central African Republic, 10 February 2021. The Central Africa ...
Kinder, alle Binnenflüchtlinge, stehen Schlange, um von eine Hilfsorganisation registriert zu werden. Das Bild wurde 2021 aufgenommen. Bild: keystone

Malawi

40'000 Menschen fliehen pro Jahr aus ihren Heimatorten in andere Teile des Landes, weil der Klimawandel ihre Lebensgrundlage zerstört. Zwar gebe es Massnahmen, um sich anzupassen – jedoch können sich die meisten Menschen das nicht leisten. Fast 70 Prozent leben von weniger als 2 Franken pro Tag. Die Dürren, Überflutungen und verheerenden Wirbelstürme verschärfen zusätzlich die Ernährungssituation. Bereits jetzt sind fast 40 Prozent der Kinder unter fünf Jahren unterernährt.

Kind sitzt auf einem Getreidesack in Malawi, Lilongwe, 06.01.2019 Lilongwe Malawi *** Child sitting on a grain sack in Malawi Lilongwe 06 01 2019 Lilongwe Malawi Copyright: xUtexGrabowskyx/xphotothek. ...
Kinder sitzen auf Getreidesäcken in Malawi. Das Bild wurde 2019 aufgenommen.Bild: imago

Ukraine

Eine 420 Kilometer lange «Kontaktlinie» trennt in der Ostukraine das von der Regierung kontrollierte Gebiet von dem der pro-russischen Separatisten. An dieser Linie ist das Leben besonders gefährlich: Landminen, Rückstände von Kriegsmunition und Schusswechsel bringen die Menschen täglich in Lebensgefahr – und es gibt kaum mehr Möglichkeiten, ein eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Mehr als 3,4 Millionen Menschen sind nach Schätzungen der UN auf humanitäre Hilfe angewiesen.

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Der ukrainische Präsident Volodymyr Zelensky bei einer Visite der «Kontaktlinie». Das Bild wurde 2021 aufgenommen.Bild: keystone

Sambia

Der südafrikanische Staat ist bekannt für die beeindruckenden Victoria-Wasserfälle an der Grenze zu Simbabwe. Dennoch leidet das Land unter langanhaltender Dürre. Mehr als 1,2 Millionen Menschen haben nicht genug zu essen – fast sieben Prozent der Bevölkerung. Die steigenden Nahrungsmittelpreise und Einkommensverluste wegen der Corona-Krise verschärfen das Problem.

Zambia, charcoal ZAMBIA, Sinazongwe District, illegal deforestation, poor villagers sell charcoal to survive *** SAMBIA, Sinazongwe Distrikt, illegale Abholzung, arme Dorfbewohner holzen Wälder ab und ...
Ein sambische Frau verkauft illegal Kohle, um zu überleben. Das Bild wurde 2019 aufgenommen.Bild: imago

Die Hilfsorganisation Care wurde 1945 in den USA gegründet, um die europäische Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg zu versorgen. Heute setzt sie sich für Menschen in mehr als einhundert Ländern weltweit ein.

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UNO warnt vor Hungersnot in Jemen
Video: srf
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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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josh89
16.01.2022 21:35registriert Januar 2018
Für sowas ist vor lauter illegal umherreisenden Tennisspielern halt kein Platz. Da kann man nichts machen ;-)
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R10
16.01.2022 21:43registriert Juli 2016
Und was fällt auf? In der überwiegenden Mehrheit dieser 10 Krisen ist der Klimawandel hauptverantwortlich für die Katastrophen. Aber klar, wir können dieses Problem ja einfach weiterhin ignorieren, ist ja alles am anderen Ende der Welt und betrifft uns ja nicht.

Noch nicht.
16434
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Amadeus
16.01.2022 22:50registriert September 2015
Ich würde hier gerne mehr über diese Krisen informiert werden statt Dutzende Artikel zur Krise zwischen einem serbischen Tennisspieler und Australien zu lesen.
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51
Prager Spital führt Abtreibung bei falscher Patientin durch

Infolge einer Verwechslung hat ein Prager Krankenhaus an einer schwangeren Frau eine Abtreibung durchgeführt. Wie tschechische Medien am Donnerstag berichteten, wollte die Frau nur zu einer Routinekontrolle im Rahmen ihrer Schwangerschaft in die Gynäkologie-Abteilung der Klinik. Sie wurde aber mit einer Patientin verwechselt, die zu einer sogenannten Kürettage (Gebärmutter-Ausschabung) gekommen war.

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